Heiberg

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Heiberg 1) Peter Andreas, dän. Satiriker und Dramatiker, geb. 16. Nov. 1758 in Wordingborg, gest. 30. April 1841 in Paris, versah nach glanzvoll beendeten akademischen Studien seit 1787 den Posten eines Regierungstranslators in Kopenhagen, entwickelte aber außeramtlich als Schriftsteller eine so unerschrocken satirische Tätigkeit, die sich gegen die Regierung, den Adel, das Deutschtum in Dänemark und gegen alle mögliche andern vermeintlichen oder wirklichen Übelstände richtete, daß er nach mehreren Vorstrafen schließlich auf Grund des strengen Preßgesetzes von 1799 des Landes verwiesen wurde. Seine Frau, die später unter dem Namen Gyllembourg-Ehrensvärd (s. d.) berühmte Schriftstellerin, ließ sich von ihm scheiden. H. selbst zog nach Paris, wo er unter dem ersten Kaiserreich als Chef du bureau des rélations Extérieures angestellt wurde. Später begleitete er Talleyrand auf diplomatischen Reisen nach Deutschland und Österreich. Er wurde 1817 pensioniert. In seinen letzten Lebensjahren war er erblindet. Von Heibergs seiner Zeit sehr populären, fast immer satirischen Werken verdienen besondere Erwähnung: »Die Schicksale des Talerscheines« (1787–89, 2 Bde.), das Lustspiel »Die Von's und die Van's« und das Singspiel »Die Chinafahrer« (beide 1792). Es war Heibergs Bestreben, nach dem Vorbilde Holbergs eine nationale Komödie mit Stoffen aus dem Alltagsleben zu schaffen, eine Aufgabe, zu deren Erfüllung seine Kräfte nicht ausreichten, und die erst von seinem Sohne durchgeführt wurde. Seine sämtlichen Dramen erschienen gesammelt, von ihm selbst herausgegeben 1792–94, 2 Bde., vollständiger von Rahbek 1806–1819, 4 Bde.; Auswahl von Borchsenius und Winkel-Horn 1884. Beiträge zu seiner Lebensgeschichte lieferte H. selbst in den Büchern »Drei Jahre in Bergen« (Drammen 1829) und »Erinnerungen aus meiner Wirksamkeit in Frankreich« (Christ. 1830). Vgl. Christen Thaarup, Peter Andreas H. (2. Aufl., Kopenh. 1883); Schwanenflügel, Peter Andreas H. (1891); Fr. Bayer, Nordens politiske Digtning (das. 1878); Joh. Luise Heiberg, Peter Andreas H. og Thomasine Gyllembourg (3. Aufl., das. 1883).

2) Johan Ludvig, dän. Dichter und Literarhistoriker, Sohn des vorigen, geb. 14. Dez. 1791 in Kopenhagen, gest. 25. Aug. 1860 auf Bonderup, Seeland, durfte nach den Bestimmungen seines landesverwiesenen Vaters nicht von seiner Mutter erzogen werden und fand erst als Student bei ihr, die inzwischen den Baron Gyllembourg-Ehrensvärd geheiratet hatte, ein Heim, dessen intelligenter Verkehr, Feinheit und Takt seine eigne vielseitige und vornehme Begabung entwickelte. 1813 trat H. in seinem »Marionettentheater« mit einer Bearbeitung des »Don Juan« und einem romantischen Schauspiel »Töpfer Walter« vor die Öffentlichkeit, unter anderm von Öhlenschläger als ein ausgehender Stern begrüßt. Angeregt durch weitgehende literarische Studien, verfaßte er 1816 das Schauspiel »Frisch gewagt ist halb gewonnen« und 1817 die Doktordissertation »De poëseos dramaticae genere hispanico, praesertim de Petro Calderone de la Barca«. Als er 1816 in seiner berühmten Komödie »Weihnachtsscherze und Neujahrsspäße« im Stil der deutschen Romantiker die Tränenseligkeit Ingemanns parodierte, rief er eine literarische Fehde hervor, in der sich besonders Grundtvig betätigte. 1819–22 weilte H. in Paris, 1822–25 war er Lektor in Kiel. Nachdem er bei einem Besuch in Berlin 1824 Hegel kennen gelernt hatte, widmete er sich eifrig dem Studium dieses Philosophen, unter dessen Einfluß 1824 die Schrift »Über die menschliche Freiheit« entstand, die der Hegelschen Philosophie zuerst Eingang in Dänemark verschaffte. In denselben Spuren wandelt die Schrift »Über die Bedeutung der Philosophie für die Gegenwart« (1833) und die Zeitschrift »Perseus, Journal für spekulative Philosophie«. 1829 übernahm H. die Stelle eines »Theaterdichters«; 1830 bis 1836 war er Lehrer der Ästhetik und Literatur an der Militärakademie in Kopenhagen und von 1849–1856 Direktor des königlichen Theaters in Kopenhagen. – In Paris hatte H. die dramatische Kunst der Franzosen und besonders das Vaudeville eingehend studiert. Von bühnenreformatorischen Ideen erfüllt, beschloß er, bei seiner Rückkehr das Vaudeville auf der dänischen Bühne einzuführen, um in dieser leichten, komischen Darstellung des alltäglichen Lebens, gefällig mit Musik verbunden, die Bühne von der hinfälligen Romantik wieder in das echt nationale Holbergsche Gleis überzuleiten. Er begann 1825 mit »König Salomo und der Hutmacher Jörgen«, dem »Die Aprilnarren« (1825), »Der Rezensent und das Tier« und »Der 28. Januar« (beide 1826) folgten. Um die zahlreichen Angriffe gegen dieses Genre von Singspiel zu widerlegen, schrieb er 1826 »Über das Vaudeville als dramatische Dichtungsart« (»Om Vaudevillen som dramatisk Digtart«), eine Abhandlung, deren Kunstprinzipien bis zum Auftreten von Georg Brandes die dänische Kritik beherrscht haben. Unter den vielen Stücken, die jetzt mit immer größerm Erfolg ausgeführt wurden, nennen wir »Ein Abenteuer auf Rosenborg« (1827, deutsch 1844), das romantisch nationale Singspiel »Elfenhügel« (»Elverhöi«, 1828; deutsch von Schmidt, Berl. 1848), wo zur Verstärkung des romantischen Kolorits der Volksliederton meisterhaft verwendet worden ist, »Die Unzertrennlichen«, vielleicht seine beste Komödie (1830), »Nein« (1836), »Ja« (1839), »Ulla geht tanzen« (»Ulla skal paa Bal«), wodurch er Bellman in Dänemark bekannt machte und die Märchenkomödie »Elfen« (nach Tiecks »Märchen«, 1835) sowie »Fata Morgana« (1838; beide deutsch von Kannegießer, Leipz. 1844). 1840 erschienen die »Neuen Gedichte«, die neben dem anmutigen Romanzenzyklus »Die Neuvermählten« (deutsch 1850) und der satirischen Komödie »Eine Seele nach dem Tode« (deutsch 1861) zu seinen besten Leistungen gezählt werden. Inzwischen hatte H. 1827 bis 1830 das literarische Wochenblatt »Den flyvende Post« herausgegeben, wo er kritisch und polemisch gegen den herrschenden Dilettantismus in Kunst und Geschmack auftrat und die spätern, etwas nachlässigen Produktionen Öhlenschlägers, vor allen Dingen aber die seiner verschwommenen Epigonen, einer besonnenen Kritik unterwarf. Von ähnlicher Tendenz waren die »Interimsblade« (1834–37) und die »Intelligensblade« (1842–43). H. setzte gewissermaßen Baggesens Tätigkeit fort, indem er das Manierierte und die Formlosigkeit der Romantik bekämpfte, nur war sein kritisch-polemisches Auftreten urbaner und taktvoller. Vor allem aber führte er dadurch zuerst eine systematische Kritik ein, die auf Hegelscher Grundlage eine objektivere Wertschätzung an die Stelle des bisher beliebten subjektiven Ästhetisierens setzte. Lange war er der unbestrittene Gesetzgeber auf dem dänischen Parnaß. Da er die Neugeburt der Literatur aus formellen Bedingungen erwartete und dabei wenig für die Umgestaltung des modernen Lebens übrig hatte, aus der die neue realistische Dichtung schon im Emporblühen war, entzweite er sich in seinen letzten Jahren mit der öffentlichen Meinung und dem zunehmenden Liberalismus. Vereinsamt zog er sich in aristokratischer Unnahbarkeit zurück und widmete die letzten Jahre seinen astronomischen Liebhabereien. Eine annähernd vollständige Ausgabe seiner Werke erschien 1861–62 in 22 Bänden; deutsch: »Ausgewählte dramatische Werke«, Leipz. 1847, 2 Bde. Vgl. Hansen, Om J. L. H. (Kopenh. 1866); Jul. Clausen, Kulturhistoriske Studier over Heibergs Vaudeviller (das. 1897), E. Gigas, Literatur og Historie (das. 1898).

3) Johanne Luise, Gattin des vorigen, geborne Pätges, geb. 22. Nov. 1812 in Kopenhagen, gest. 21. Dez. 1890, von 1829–64 am königlichen Theater ihrer Vaterstadt angestellt und seit 1831 mit H. verheiratet, war eine berühmte Schauspielerin und Verfasserin immer noch gespielter Vaudevilles (»Ein Sonntag auf Amager«, »Die Affenkatze«). Nach ihrem Tod erschienen ihre kultur- und literarhistorisch interessanten Memoiren u. d. T. »Ein Leben, in der Erinnerung noch einmal durchlebt« (1891; deutsch, Berl. 1901). Vgl. Clara Bergsöe, Joh. Luise H. et Billede fra Romantikens Tid (Kopenh. 1896).

4) Hermann, Schriftsteller, geb. 17. Nov. 1840 in Schleswig, besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, erlernte den Buchhandel, übernahm 1859 einen von seinem Vater begründeten Verlag, den er 1870 verkaufte, siedelte als geschäftlicher Leiter der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« nach Berlin über, übernahm 1872 die Direktion der »Spenerschen Zeitung« und trat dann in die Direktion der Preußischen Bankanstalt ein, in der er bis zur Liquidation des Instituts (1878) verblieb. Seit 1880 widmete er sich ausschließlich der literarischen Tätigkeit und lebt jetzt in Schleswig. Schon mit seinem Erstlingswerk: »Plaudereien mit der Herzogin von Seeland« (Hamb. 1881; neue Ausg. u. d. T.: »Aus den Papieren der Herzogin von Seeland«, Leipz. 1886), gewann er Teilnahme; die weitere Folge seiner Novellen und Romane bewährt eine gewisse Kraft realistischer Schilderung, die jedoch bei allzu rascher Produktion Anmut und Poesie öfter vermissen läßt. Aus der großen Zahl seiner Romane und Erzählungen nennen wir: »Acht Novellen« (Leipz. 1882), »Ernsthafte Geschichten« (das. 1883), »Ausgetobt« (das. 1883), »Die goldene Schlange« (das. 1884), »Ein Buch« (das. 1885), »Apotheker Heinrich« (das. 1885), »Eine vornehme Frau« (das. 1886), »Esthers Ehe« (das. 1886), »Ein Weib« (das. 1887), »Der Januskopf« (das. 1888, 2 Bde.), »Schulter an Schulter« (das. 1889, 2 Bde.), »Menschen untereinander« (das. 1888) mit der Fortsetzung: »Kays Töchter« (das. 1889), »Dunst aus der Tiefe. Berliner Roman« (das. 1890, 2 Bde.), »Ein Mann« (das. 1891). – »Drei Schwestern« (das. 1891), »Todsünden« (Berl. 1891), »Wer trifft das Rechte e« (Leipz. 1892), »Eheleben« (das. 1893), »Blinde Liebe« (das. 1893), »Dr. Gaarz' Patienten« (das. 1894), »Fieberndes Blut« (das. 1895), »Zwischen drei Feuern« (Berl. 1895), »Zwischen engen Gassen« (Stuttg. 1896), »Ein doppeltes Ich« (Berl. 1897), »Die Rixdorfs« (Leipz. 1897), »Merkur und Amor« (das. 1898), »Durchbrochene Dämme« (Berl. 1899), »Vieles um eine« (Dresd. 1900), »Zwei Frauen« (Leipz. 1901), »Heimat« (Berl. 1902), »Die schwarze Marit« (das. 1903). Seine »Gesammelten Werke« erschienen in Leipzig 1894–96 (18 Bde.).

5) Johan Ludvig, Philolog, geb. 27. Nov. 1854 in Aalborg, promovierte 1879 mit »Quaestiones Archimedeae« und wurde 1884 Gymnasialdirektor in Kopenhagen, 1895 Professor der klassischen Philologie an der Universität daselbst. Einer der hervorragendsten Forscher auf dem Gebiete der antiken Mathematik, gab er heraus: Archimedes (Leipz. 1880 bis 1881, 3 Bde.), Eukleides (mit Menge, das. 1883 bis 1896, 7 Bde.), Apollonios von Perge (das. 1891 bis 1893, 2 Bde.), »Sereni Antinoensis opuscula« (das. 1896), »Simplicii in Aristotelis de caelo commentaria« (Berl. 1894), Claudius Ptolemäus (bis jetzt 2 Bde., Leipz. 1898–1903).

6) Gunnar, norweg. Schriftsteller, geb. 18. Nov. 1857 in Christiania, studierte seit 1874 vielfach im Ausland und wirkte 1884–88 als Chef und Szeneninstruktor am Bergener Theater. Nach verschiedenen kleinern Publikationen erregte er 1888 auch in Deutschland Aufsehen mit dem Drama »König Midas«, in welchem er Ibsen und vor allen Björnson angriff, dessen Prophetentum und Wahrheitsfanatismus Illusionen und Träume zerstörten und somit dem häßlichen Leben den Schleier der Schönheit entzögen. Seine spätern Stücke. »Künstler« (1893), »Gerts Garten« (1894), das wegen moralischer Kühnheit stark angegriffene Schauspiel »Der Balkon« (1894), die sozialen und politischen Parodien »Das große Los« (1895; deutsch, Leipz. 1896), »Der Volksrat« (1897), »Harald Swans Mutter« (1899) und »Nächstenliebe« (1903), zeigen große Beherrschung der künstlerischen Mittel, geistvollen Dialog und Witz. Die dramatische Technik ist immer originell und experimentiert mit neuen Zusammenstellungen. Als geistvoller, nachempfindender Kritiker übt H. großen Einfluß aus. Vgl. Hjalmar Christensen, Vort Literäre Liv (Christiania 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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