Gletscher

Gletscher

Gletscher (hierzu Tafel I»Gletscher « mit 4 Kärtchen, und Tafel II u. III), Eisströme, die ihren seeartigen Ursprung in den Firnschneefeldern haben und sich langsam talabwärts bewegen; in Tirol Ferner genannt, in Glarus Firre, Firn, in Kärnten und Salzburg Kees, Keß, in den Tauern Kahr, franz. Glacier, in den Pyrenäen Serneille, in den italienischen Alpen Ghiacciaja, im rätoromanischen Gebiet Vedretto oder Vadret, in Wallis Biegno, in Piemont Ruiz, norweg. Brae (Sneebrae, Jisbrae), isländ. Jökull. Die Firnschneefelder (A der Fig. 1 auf Tafel II) bilden sich aus den atmosphärischen Niederschlägen in der Region des ewigen Schnees, in den höchsten Tälern und auf breiten Gipfeln der Hochgebirge, unter hohen nördlichen und südlichen Breiten im Innern des polaren Binnenlandes. Durch Druck darüber ausgebreiteter neuer Schneefälle und durch Zusammensintern wird der zuerst lockere Schnee in grobkörnigen Firn (névé) umgewandelt; echte Firnfelder können sich mithin nur dort bilden, wo sich auf hohen Bergen niederer Breiten oder auf niedrigem Gelände hoher Breiten Schnee anhäufen kann. Der grobkörnige Firnschnee vereist in den tiefsten Lagen des Firnfeldes mehr und mehr, tritt als Gletschereis an einer tiefsten Stelle (Firnlinie) aus dem Firnlager in Stromesform aus und fließt nun im engen Anschluß an die Konfiguration des zu Tal führenden Weges, mit ihm sich verbreiternd oder verengernd, und Bergriegel, die quer durch das Tal ziehen, übersteigend, langsam hinab. Firnschnee, Firneis und Gletschereis sind in ihren typischen Varietäten trotz mannigfacher Übergänge gut unterscheidbar und charakterisieren sich besonders durch einen abnehmenden Gehalt an eingeschlossener Luft. Das Gletschereis hat eine eigenartige körnige Struktur. Die Größe der Eiskörner ist am obern Ende des Gletschers geringer als an den tiefern Stellen, wo sie bei kleinern Gletschern Walnußgröße erreichen, bei größern selbst bis zu 10 cm und darüber anwachsen kann. Durch den Wechsel, dem die Korngröße des Gletschereises unterliegt, ist in dem obern Teil des Gletschers häufiger und deutlicher als weiter talwärts eine Schichtung im Eis des Gletschers nachweisbar. Viel markierter ist aber eine Blätterstruktur im Eis, die widersinnig zur Schichtung, wenn diese überhaupt nachweisbar ist, verläuft, also eine Art falscher Schieferung (s. d.), mit der sie auch hinsichtlich der Entstehung durch Druck identifiziert worden ist. Sie beruht auf einem Wechsel zwischen Blättern von blasenreichem, mehr an Firneis erinnerndem weißen Eis und solchen eines blasenfreien und dichtern blauen Eises (Blaublätterstruktur, Tafel II, Fig. 3). Da das letztere schwerer schmelzbar ist als das erstere, so entstehen an der Oberfläche des Gletschers durch stärkeres Abschmelzen des weißen Eises Rillen, die, schwächer entwickelt, eine Art Moirézeichnung auf der Oberfläche hervorbringen und, tiefer eingeschnitten, eine Sammelstelle für Staub und Sand abgeben können, so daß sich Schmutzstreifen bilden, die aber von denjenigen scharf zu unterscheiden sind, die oft in konvex nach unten gebogenen Kurven von variierenden Abständen über den G. hinüberziehen. Die letztern sind das Ausgehende der im G. durch verschiedene Vorgänge gebildeten Staubschichten, das durch die gegen das Gletscherende zu immer intensiver werdende »Ablation« ausgeschmolzen wird.

G., die ihr Material aus nur einem Firnfeld beziehen, heißen einfache G. (Rhonegletscher, Oberaargletscher), zusammengesetzte solche, bei denen zwei oder mehrere Quellströme sich vereinen; der Viescher G. in Wallis und der Vernagtgletscher im Ötztal seien als Beispiel für zweifach, der Gorner G. am Monte Rosa und der Aletschgletscher in Wallis (vgl. das Kärtchen, Tafel I, Fig. 1) für mehrfach zusammengesetzte angeführt. Auch unterscheidet man die großen, ihr Eis tief ins Tal hinab sendenden G. als solche erster Ordnung oder Talgletscher von denen zweiter Ordnung (Hängegletscher, Hochgletscher, Jochgletscher), den kleinern, kürzern, die nur auf hochgelegenen Gehängen oder Mulden liegen (s. Tafel »Talbildungen«, Fig. 2: Hochgall), wobei freilich viele Übergänge vorhanden sind. Heim stellt drei Typen der G. auf: die alpinen, zu denen auch die des Kaukasus, des Himalaja etc. zählen, langgestreckte Eisströme von verhältnismäßig geringer Breite mit relativ nicht großen Firnfeldern; die norwegischen, ausgezeichnet durch ungeheure, ganze Hochplateaus bedeckende Firnfelder, und die grönländischen, radial gegen das Meer ausstrahlende Abfuhrkanäle des sanft ansteigenden Eises des Binnenlandes (Inlandeis). Dazu fügt Hans Meyer neuerdings den tropischen Gletschertypus, der namentlich durch kurze Eisströme uno durch enorme Zersetzung der Eisoberfläche charakterisiert ist.

Der Neigungswinkel des Weges, den die G. einschlagen, ist sehr verschieden. Sind bei Hängegletschern Winkel selbst über 30° häufig, so ist das Bett der Talgletscher meist nur 5–8°, ganz selten bis zu 30° geneigt und gewöhnlich dann nur an einzelnen Stellen, an denen sich ganz analog zu den Wasserfällen Eisstürze ausbilden (Gletscherkaskade, Gletscherkatarakt, Eisfall, Eislawine: Rhonegletscher, Pasterze am Großglockner, Tafel I, Fig. 2 u. 3). Die gewaltigen grönländischen G. haben meilt nur eine sehr geringe Neigung (wenige Minuten). Unebenheiten des Untergrundes führen zur Bildung von Querspalten, und zwar Erhöhungen zu Tagesspalten, die nach oben, Vertiefungen zu Grundspalten, die nach abwärts weiter klaffen. Längsspalten entstehen bei Verbreiterungen des Bettes, und durch gleichzeitige Herausbildung von Längs- und Querspalten wird die Eismasse in schroffe, scharfkantige, oft haushoch aufragende Blöcke (Eisnadeln, Seracs, Eisberge, Tafel III) zerspalten. Besonders da, wo mächtige G. an steilen Abhängen zur Tiefe stürzen, sieht man häufig Seracs, durch tiefe Spalten von der Hauptmasse der G. und voneinander getrennt, mit höchst bizarren Formen und bei schön blauer und grüner Färbung des Eises im Sonnenlicht oft von einer unbeschreiblichen Farbenpracht; bei dem Vorrücken der G. stürzen die überhängenden Seracs plötzlich zusammen, und andre Eisnadeln treten an ihre Stelle.

Bewegung der Gletscher.

Die Schnelligkeit der talwärts gerichteten Bewegung ist sehr verschieden. Großer Nachschub aus bedeutendem Firnfeld und damit wachsende Dicke des Eisstroms, größere Neigung des Terrains, größere Wärme bei Tag und im Sommer, Durchtränkung mit Schmelzwasser wirken beschleunigend, der Mangel dieser Bedingungen verlangsamend auf die Bewegung ein. Ferner haben verschiedene Punkte desselben Gletschers nicht die gleiche Bewegung. Im Oberlauf wandert der G. schneller, im Unterlauf langsamer und, ganz analog einem Fluß, in der Mitte schneller als an den Rändern. In toten Winkeln kann Stillstand, ja selbst ein lokales Aufwärtswandern eintreten. Die folgende Tabelle gibt zunächst Zahlen für den mittlern täglichen Fortschritt einiger G.:

Tabelle

Wie aus den obigen Zahlen ersichtlich, können die grönländischen G. nach Hellands Untersuchungen eine ganz abnorme Geschwindigkeit erreichen, und doch sind sie nur wenig geneigt. Der enorme Nachschub aus den Vorräten des Inlandeises wirkt hier als beschleunigende Kraft. Die Schweizer Regierung und die Schweizer Naturwissenschaftliche Gesellschaft stellen seit 1874 am Rhonegletscher (Tafel I, Fig. 2) Beobachtungen an, bei denen aus farbigen Steinen hergestellte Linien den G. an mehreren Stellen durchschneiden und, alljährlich kontrolliert, ein getreues Bild der Bewegungsdifferenzen in verschiedener Höhe und Breite des Gletschers geoen.

Bezüglich der Ursachen der Bewegung der G. stehen sich mehrere Theorien gegenüber: einige Forscher (unter diesen Drygalski) führen die Bewegung auf die Ausdehnung zurück, die das Wasser beim Gefrieren erfährt, und setzen im G. selbst einen steten Wechsel zwischen Auftauen (Druckverflüssigung) und Gefrieren (Regelation) voraus; andre finden die Ursache ausschließlich in der Vergrößerung der den G. zusammensetzenden Eiskörner durch Ankristallisieren von Infiltrationswasser (thermische Theorie), die überwiegende Mehrzahl (unter andern Tyndall, Forbes, Helmholtz, Heim, Pfaff, Mac Connel und Mügge) rekurrieren auf die Plastizitätsverhältnisse (Translationsfähigkeit), die das Eis in der Nähe des Schmelzpunktes zeigt, und führen auf diese im Verein mit Schwerewirkung das Fortschreiten zurück, das demnach am besten mit der Bewegung einer dickflüssigen Masse auf geneigter Ebene zu vergleichen wäre (mechanische oder Schweretheorie). Speziell bei denjenigen arktischen Gletschern, in deren Eis die Parallelstruktur nachgewiesen ist, nehmen Hamberg und Mügge an, daß die Bewegung so erfolge, daß die eine Schicht über die andre hingleite. Diese Theorie wenden andre auch auf die nicht-arktischen G. an.

Vermindert wird der G. zunächst durch oberflächliche Abschmelzung in Gegenden und zu Zeiten, wo eine höhere Temperatur als 0° herrscht. Das dabei gebildete Wasser versinkt teils in Haarspalten, teils in größern Schlöten (Gletschermühlen, Moulins) bis zum Untergrund, auf dem es sich unter dem G. talabwärts bewegt, bis es am Gletschertor (B der Fig. 1 auf Tafel II), am untern Ende des Gletschers, als Gletscherbach (C der Figur) hervortritt. Diese seine untere Grenze findet der Eisstrom dort, wo die Abschmelzung (Ablation) durch die im Tal herrschende höhere Temperatur dem Nachschub an Eis die Wage hält, ein Punkt, der in unsern Breiten meist tief unter der Schneelinie des betreffenden Territoriums liegt. Als Beispiel diene folgende Zusammenstellung (nach Heim):

Tabelle

Die untere Grenze der G. ist (ebenso wie ihre Mächtigkeit) veränderlich. Die warme Jahreszeit schiebt sie hinauf, in der kalten wandert sie talwärts. Außer diesen jährlichen Schwankungen sind aber auch große Perioden des Vorrückens und des Rückschreitens der G. unterscheidbar. So ist der Rhonegletscher 1856–80 um 854 m, Mer de Glace 1866–78 im jährlichen Durchschnitt um 73 m zurückgegangen; 1879–80 hielt sich der letztere stabil, Ende 1880 rückte er wieder vor. Zurzeit sind die meisten G. der Erde im Rückgang, in den Alpen namentlich alle G. des Oberengadins, so besonders der Roseggletscher, der Mortratschgletscher, der Palügletscher, der Poemergletscher; der Fornogletscher ist in den letzten Jahren durchschnittlich um 14,2 m zurückgewichen und an zwei Stellen um 6,5 m vorgerückt. An den mit Marken versehenen Gletschern des Haute Maurienne, der Grandes Rousses und des Oisans hat sich nach den Beobachtungen der französischen Gletscherkommission der in frühern Zeiten sehr rasche Rückgang in den letzten Jahren sehr verlangsamt und ist 1902 ganz zum Stillstand gekommen. Während also die einen G. vorrücken, gehen andre zurück. Von den seit 12 Jahren beobachteten Gletschern des Berner Oberlandes waren nach Forel:

Tabelle

Im allgemeinen stellt sich aber doch heraus, daß, soweit die für früher allerdings nur dürftigen Notizen reichen, alle alpinen G. wenigstens ungefähr, d.h. mit geringen Abweichungen in den Jahreszahlen des Eintritts des Wechsels, dieselben Perioden des Vorrückens und des Schwindens gehabt haben. Solche Perioden sind: vorrückende Tendenz 1595–1610, 1630–40, 1677–81, 1710–16, 1760–86, 1811–1822, 1840–50 oder 1855; rückschreitende Tendenz 1750–67, 1800–1812, 1822–44, 1855–80. Der Gorner G. und der Unteraargletscher haben in der letzten Periode erst 1867 und 1871 den Rückzug angetreten. Bemerkenswert ist, daß in den Zeiten des Vorrückens die Bewegung der G. meist größer ist als während des Rückganges, und daß deshalb der Vorstoß sich stets in kürzerer Zeit vollzieht als der Rückzug. So ist der untere Grindelwaldgletscher seit 1893 auf der rechten Seite um 90 m, auf der linken um 50 m vorgerückt, von 1895–97 aber hat der mittlere Teil, dem der Lech entfließt, um 20–30 m gewonnen; von 1898 an schwand der G. wieder rasch und beständig und zwar bis 1902 um 40 m. Der obere Grindelwaldgletscher ist seit 1893 um 233 m zurückgegangen; der Eigergletscher auf seiner rechten Seite um 40–70 m, während er auf der linken unverändert geblieben ist. Die Steigerung und Abschwächung der Gletschertätigkeit steht offenbar im Zusammenhang mit dem meteorologischen Charakter der betreffenden Zeitperiode, also mit der Abweichung in der Temperatur und in den Niederschlagsmengen von den mittlern Werten. Daß eine weiter zurückliegende geologische Periode (das mittlere Diluvium) besonders günstige Verhältnisse für ein Anwachsen der G. dargeboten haben muß, wurde unter »Eiszeit« und »Diluvium« besprochen.

Die Meereshöhe der untern Gletschergrenze (s. obige Tabelle) ist abhängig von der mittlern Temperatur der Gegend und nähert sich deshalb in hohen Breiten mehr und mehr dem Meeresspiegel. Einen sehr wichtigen, diesen allgemeinen Satz wesentlich alterierenden Einfluß aber üben lokale Verhältnisse aus. So befördert die Kombination von kühlen Sommern und gemäßigten Wintern die Gletschertätigkeit im Gegensatz zu heißen Sommern, selbst wenn diese mit kältern Wintern gepaart auftreten. Daß nicht allein hohe Kälte, sondern vielmehr gerade reichliche Niederschläge die Gletscherbildung begünstigen, geht auch daraus hervor, daß im Himalaja die den wasserbeladenen Meereswinden ausgesetzte Südseite weiter hinunter vergletschert ist als die von trocknen Landwinden bestrichene Nordseite. Aus demselben Grund ist die Südseite des Kilimandscharo stärker vergletschert als die Nordseite, und wohl ähnliche lokale Verschiedenheiten sind die Ursache, daß die G. Patagoniens unter 47° noch bis an das Meer reichen, während die Schmelzlinie in den unter gleicher nördlicher Breite liegenden Alpen 1000–1700 m ü. M. liegt.

Geographische Verbreitung der Gletscher.

Die am meisten vergletscherten Gebiete Europas sind, abgesehen von Island und Spitzbergen, welche Inseln, ihrer Lage unter hohen Breiten entsprechend, bedeutende G. besitzen, die Alpen, die Pyrenäen und die norwegischen Gebirge. In den Alpen werden 1155 G. gezählt und das vergletscherte Territorium auf 3000–4000 qkm geschätzt.

Der längste unter den Alpengletschern ist der große Aletschgletscher mit 24 km Länge und einer Breite von 1,8 km, was einer Gesamtoberfläche von etwa 130 qkm entspricht (Tafel I, Fig. 1). Die Mächtigkeit der Eismasse schätzt Heim auf 200–400 m, und daraus berechnet er für die ganze Eismasse 10,800 Mill. cbm. Die Pyrenäen haben nur kleinere Hängegletscher, besonders auf ihrer Nordseite, aufzuweisen. Norwegens Hauptgletschergebiet sind die Jostedalsbraen, von denen 24 G. erster Ordnung und mehrere hundert zweiter Ordnung entspringen (Tafel I, Fig. 4). Von Europas Grenzgebirgen ist der Ural gletscherfrei, der Kaukasus dagegen in seinen höhern Gipfelgruppen stark vergletschert, sein größter G. ist der Kaltschidon oder Karagan von etwa 8 km Länge. Asiens größte G. liegen im Himalaja, im Hindukusch und im Karakorumgebirge. Aus letzterm wird ein G. von 58 km Länge und 1,5–4 km Breite beschrieben, der Baltorogletscher, der nach Vereinigung mit dem Biafogletscher eine Gesamtlänge von 103 km erreicht. Afrika ist gletscherfrei bis auf einige Gletscherbildungen am Gipfel des Kilimandscharo, des Kenia und des Runsoro, ebenso das australische Festland; dagegen besitzt Neuseeland eine große Anzahl sehr bedeutender G. In Nordamerika konzentriert sich die Gletschertätigkeit in Grönland, wo eine große Anzahl gewaltiger G. die Massen des Binnen- (Inland-) Eises dem Meer zuführen. Als großartigster wird der Humboldtgletscher genannt, der in einer Mächtigkeit von weit über 200 m und einer Breite von nahezu 100 km in das Meer mündet. Ein großer Teil der mitunter weit südwärts wandernden Eisberge (s. Eis, Fig. 1) wird durch das Abbrechen der Stirnen grönländischer, in das Meer mündender G. geliefert (»Kalben« der G.). Im übrigen Nordamerika tragen die bedeutenden Bergzüge im W. vom Norden an bis etwa zum 43. Breitengrad zahlreiche G., von da ab nach S. fast gar nicht mehr. In Südamerika tragen die zwischen den Wendekreisen gelegenen Kordilleren an mehreren Stellen G., z. B. Antisana, Chimborazo, Huascan, Sorata, Illimani; weiter nach Süden mehren sich die G. rasch und steigen schon in der chilenischen Provinz Colchagua (unter 34° südl. Br.) bis zu 1800 m Meereshöhe herab. In den tropischen Breiten zeigen sich die G. durch eine sehr zerfressene Oberfläche aus und bilden Übergänge zu dem Nieve penitente oder »Büßerschnee« (s. d.).

Wirkungen der Gletscher.

Die geologische Wichtigkeit der G. beschränkt sich nicht auf den Transport des Eises von Bergeshöhen hinab in das Tal, vielmehr dient der G. auch als Vehikel für bedeutende Steinmassen, die von den Felswänden längs des Gletscherbettes durch die Einwirkung der Atmosphärilien abgelöst werden und auf den G. niederfallen. Durch die langsame, aber stetige Bewegung talabwärts ordnen sich die Blöcke zu zwei Reihen an, parallel zur Längsachse des Eisstroms, nahe den beiderseitigen Ufern (Seitenmoränen, Gandecken in Bern, Moraines latérales, Tafel II, Fig. 1 a). Bei Gletschern, die aus der Vereinigung zweier Einzelströme entstanden sind, legen sich zwei Seitenmoränen zu einer Mittelmoräne (Gufferlinie, Bandes, Moraines médianes, b der Figur) zusammen, die sich in Mehrzahl wiederholen, wenn sich drei oder mehr G. vereinen. Sie überragen oft bedeutend die Oberfläche des Gletschers, zumal da der durch die Gesteinsbedeckung vor der Einwirkung der Sonne geschützte Gletscherstreifen weniger abschmilzt als der übrige ungeschützte Teil. Besonders deutlich ist dies bei den sogen. Gletschertischen (Champignons, c der Figur) nachweisbar, einzelnen in die Mitte des Stromes geratenen Blöcken, unter deren Schutz sich Eissäulen, meist 0,5–1 m, mitunter selbst 2–4 m hoch, erhalten haben, denen nun das Gesteinsstück wie der Hut eines Pilzes aufsitzt. Aber auch am Grunde des Gletschers bewegt sich Gesteinsmaterial, vorwiegend in Form eines Zerreibungspulvers, das in dem dort sich bewegenden und als Gletscherbach austretenden Wasser suspendiert wird und demselben oft eine intensive graue Färbung (Gletschermilch) erteilt. Daneben kommen auch größere Gesteinsstücke, mitunter fest im Eis eingewachsen, am Grunde vor, die bei ihrer Wanderung talwärts den felsigen Untergrund und die Seitenwände des Gletschers ritzen und polieren (Gletscherschliffe), dabei selbst aber geritzt und gestreift werden (gekritzte Geschiebe, Scheuersteine). Unebenheiten des Untergrundes werden geebnet, Felszacken allmählich entfernt und namentlich in der Richtung des anstoßenden Gletschers, also talauf, gerundet und dadurch die eigentümlichen, mit Streifung versehenen runden Formen erzeugt, die man als Rundhöcker (Roches moutonnées, s. Tafel »Erosion«, Fig. 5) bezeichnet. Wo der G. sein Ende findet, wird grobes und seines Material zugleich zum Absatz kommen (Endmoränen, Stirnmoränen, Moraines frontales, d der Figur). Eine besondere Wichtigkeit besitzen die Gletscherstreifen, geritzten Gerölle, Rundhöcker und Stirnmoränen (Geschiebewälle) als bleibende Signale, wenn sich der G. zurückzieht, und von ihrem Nachweis ist die Kenntnis der weiten Verbreitung der G. in geologischer Vorzeit (s. Eiszeit) ausgegangen. Immerhin ist bei der Deutung solcher Anzeichen Vorsicht zu empfehlen, da die an ehemalige Gletschertätigkeit geknüpften Erscheinungen (soz. B. die sogen. Riesentöpfe, s. Tafel »Erosion«, Fig. 4, mit Text) recht ähnlich auch durch fließendes Wasser und andre Einflusse erzeugt werden können.

Geschichte der Gletscherforschung.

Unter den alten Geographen kennt schon Strabon die Eisberge und G.; unter den neuern gibt Sebast. Münster 1543 in seiner »Kosmographie« die erste Kunde davon, genauer Simler 1574, der schon Firn und G. unterscheidet. Hottinger und Scheuchzer stellten im Anfang des 17. Jahrh. die erste Theorie über das Vorrücken der G. auf, das sie aus der Ausdehnung des in den Gletscherspalten gefrierenden Wassers und der Ausdehnung der im Gletschereis eingeschlossenen Luft herleiteten. Christen und Altmann (1751) verbreiteten die phantastische Vorstellung eines den höchsten Rücken der Alpen von der Rheinquelle bis nach Grindelwald bedeckenden wirklichen Eismeers, aus dem die Gletscherströme sich in die Nachbartäler verbreiteten, erklärten aber ihr Vorrücken richtiger aus den Wirkungen der Schwere. Gruners 1760 erschienenes Werk über die Eisgebirge der Schweiz faßt die ganze damalige Kenntnis der G. zusammen. Von großer Wichtigkeit für die Kenntnis der G. wurden Saussures Untersuchungen der G. von Chamonix in den Jahren 1760 und 1761. Das Ansehen dieses Gelehrten ließ freilich die zuerst von Bordier 1773 über das Vorrücken der G. ausgesprochene Ansicht, daß sie sich wie eine zähflüssige Masse bewegen, lange Zeit wenig Beachtung finden, bis sie erst in unsrer Zeit durch Messung und Experiment als die richtige erkannt wurde. In Kuhns Werk »Versuch über den Mechanismus der G.« (1787) werden zum erstenmal die über das heutige Eisgebiet hinausragenden Moränen verfolgt und so der Grund zur Kunde eines in vorgeschichtlichen Zeiten größern Umfanges der Gletschertätigkeit gelegt. Aber erst mit Hugis kühnen Forschungsreisen auf den Gletschern und firnbedeckten Gipfeln des Berner Oberlandes, deren Beschreibung 1830 erschien, beginnen die genauen Untersuchungen der G. Sie wurden dann besonders 1841–43 von Agassiz und Wild (dem Bearbeiter der vortrefflichen Karte des Unteraargletschers), Désor, K. Vogt u.a., von Forbes und den Gebrüdern Schlagintweit gefördert und seit 1880 auf Anregung der Schweizer Eidgenossenschaft, des Schweizer Alpenklubs und der Schweizer naturforschenden Gesellschaft systematisch betrieben, zunächst am Rhonegletscher, später auch an der Pasterze und anderwärts, z. T. auch mit Unterstützung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. Eine durch Anregung des französischen Alpenklubs entstandene französische Gletscherkommission fördert eifrig die Untersuchung der französischen G. 1894 hat sich auf dem internationalen Geologenkongreß in Zürich eine internationale Gletscherkommission gebildet, die alle auf G. bezüglichen Arbeiten einheitlich veröffentlichen will. Eine Konferenz von Gletscherforschern tagte im Sommer 1899 zu Gletsch im Wallis und 1901 zu Vent im Ötztal und einigte sich über weitere wünschenswerte UntersuchungenPetermanns Mitteilungen«, 1900, S. 80 ff.; 1902, S. 15 ff.).

Aus der umfangreichen Literatur sind im folgenden nur einige größere oder für die Geschichte der Gletscherkunde besonders wichtige Werke (soweit sie nicht schon oben erwähnt wurden) herausgegriffen: Hugi, Alpenreise (Soloth. 1830); Charpentier, Essai sur les glaciers et sur le terrain erratique (Lausanne 1841); Agassiz, Études sur les glaciers (Neuchât. 1840, deutsch 1841) und Nouvelles études (Par. 1847); Forbes, Norway and its glaciers (Lond. 1853; deutsch, Leipz. 1855); Mousson, Die G. der Jetztzeit (Zür. 1854); Dollfus-Ausset, Matériaux pour l'étude des glaciers (Par. 1863–1873, 13 Bde.); Tyndall, Die G. der Alpen (deutsch, Braunschw. 1898); Penck, Die Vergletscherung der deutschen Alpen (Leipz. 1882); Heim, Handbuch der Gletscherkunde (Stuttg. 1885); E. Richter, Die G. der Ostalpen (das. 1888) und Neue Ergebnisse und Probleme der Gletscherforschung (Wien 1899); Forel, Essai sur les variations périodiques des glaciers (Genf 1881 u. 1900); Böhm v. Böhmersheim, Geschichte der Moränenkunde (Wien 1902); Machaček, Gletscherkunde (Leipz. 1902); H. Heß, Die G. (Braunschw. 1904). Vgl. auch die Artikel »Eis, Eiszeit, Diluvium und Polarforschung«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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