- Gehirnhautentzündung
Gehirnhautentzündung (Meningitis), von den Laien gewöhnlich schlechthin als Gehirnentzündung bezeichnet, tritt in mehreren Formen auf, die wegen ihrer verschiedenen Ursachen, ihrer anatomischen und klinischen Eigentümlichkeiten streng voneinander geschieden werden müssen. Meistens ist die Entzündung vorwiegend oder ausschließlich in der weichen Gehirnhaut lokalisiert, sehr selten in der harten, und dann mit unten zu erwähnenden Ausnahmen nur von der Nachbarschaft fortgeleitet und ohne klinisches Interesse. Die wichtigsten Formen der G. sind:
1) Die einfache G. (M. acuta simplex), bei der sich ein mehr oder minder reichliches, eiteriges Exsudat in den Maschen der weichen Gehirnhaut an der Hirnoberfläche ansammelt. Diese Eiteranhäufung wird vorzugsweise an der Konvexität der Großhirnhemisphären, seltener an andern Stellen der Hirnoberfläche, z. B. an der Basis, beobachtet. Manchmal ist nur eine Hemisphäre mit Eiter überzogen und die andre frei davon, oder es tritt die Eiterbildung an einer kleinen umschriebenen Stelle auf. Die Rindensubstanz des Gehirns ist ödematös und von Eiterzellen durchsetzt. Die einfache G. ist meistens eine sekundäre und entsteht durch Verschleppung von Krankheitskeimen bei Lungenentzündung, Herzklappenentzündung, Scharlach, Pocken, Typhus etc. Ost auch schließt sich die einfache G. an eine Verletzung oder an entzündliche Prozesse der Kopfhaut (Kopfrose, fortgepflanzt durch die Emissaria Santorini) oder der Schädelknochen oder an solche der harten Hirnhaut an, wobei vor allen Dingen an die eiterige Zerstörung der Mittelohrknochen zu denken ist (vgl. Gehirnabszeß). Die einfache G. verläuft akut und mit heftigem, zuweilen mit einem starken Schüttelfrost beginnenden Fieber. Der Puls ist anfänglich sehr frequent, macht 120–140 Schläge in der Minute, geht aber später trotz des anhaltenden Fiebers auf 60–80 Schläge in der Minute herab. Die Kranken klagen über heftigen Kopfschmerz, sind aufgeregt, unruhig und schlaflos und fangen frühzeitig an zu delirieren. Wiederholt findet Erbrechen statt. Im weitern Verlauf verfallen die Kranken in Schlafsucht und Bewußtlosigkeit, werden völlig unempfindlich gegen äußere Reize, sind nicht imstande, die Glieder zu bewegen, es treten Zuckungen und zumal bei Kindern Krämpfe in den Muskeln auf, auch bleibende Kontraktion und Starrheit. Die vorher engen Pupillen werden jetzt sehr weit, der Puls weniger frequent. Unter andauernder Bewußtlosigkeit stellen sich die Zeichen fortschreitender Lähmung ein, und die Kranken sterben meist schon nach wenigen Tagen, seltener erst in der zweiten oder dritten Woche. Der Tod ist der fast regelmäßige Ausgang, tritt Heilung ein, so sind Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose in hohem Grade gerechtfertigt, zumal ähnliche Krankheitserscheinungen wie bei G., namentlich bei kleinen Kindern, durch Blutüberfüllung des Gehirns herbeigeführt werden können. Trotzdem ist eine energische entzündungswidrige Behandlung ratsam: man setzt 6–8 Blutegel an die Stirn und hinter die Ohren, bedeckt den vorher kahl geschornen Kopf mit Eisbeuteln oder eiskalten Umschlägen und gibt Abführmittel. Andre empfehlen wiederholte kalte Sturzbäder und Übergießungen des Kopfes mit kaltem Wasser. Gewöhnlich kommen die Kranken durch die kalten Übergießungen wieder zum Bewußtsein. In seltenen Fällen kommt es weder zur Heilung, noch unterliegt der Kranke, sondern es bilden sich Verdickungen der weichen Gehirnhaut, und der entzündliche Prozeß besteht als chronische G. weiter fort. S. unten 3).
2) Die epidemische Cerebrospinal-Meningitis (Kopfgenickkrampf) ist eine eiterige Infiltration der weichen Hirn- und Rückenmarkshäute, die in Deutschland zum erstenmal 1863 in Schlesien auftrat, überhaupt erst 1805 zum erstenmal (in der französischen Schweiz und Frankreich) als eine besondere Krankheit erkannt wurde und in neuerer Zeit wiederholt in epidemischer Verbreitung auftritt, sie befällt plötzlich vollkommen gesunde, kräftige Individuen, sowohl Kinder als junge Männer, und tötet fast immer schnell. Das männliche Geschlecht ist in höherm Grade disponiert als das weibliche. Als Erreger dieser Infektionskrankheit ist ein dem Pneumonie-Kokkus ähnlicher Mikroorganismus anzusehen; derselbe wird als Meningococcus intracellularis bezeichnet, liegt vielfach in den Eiterkörperchen, kommt aber auch lebhaft beweglich frei in der Spinalflüssigkeit vor und ist durch Spinalpunktion nachzuweisen. Ansteckung von Mensch zu Mensch kommt nicht vor, dagegen scheinen ungünstige hygienische Einflüsse, überfüllte Wohnungen u. dgl., der Entwickelung der Krankheit Vorschub zu leisten. Die von der epidemischen G. verursachten anatomischen Veränderungen bestehen vor allem in eiteriger Durchtränkung und Blutüberfüllung der weichen Häute des Gehirns und Rückenmarks. Die eiterige Infiltration der Häute wird an der Konvexität und an der Basis des Gehirns, vorzugsweise aber an der letztern beobachtet. Auch das Kleinhirn ist streckenweise von Eiter umspült. Am Rückenmark sammelt sich der Eiter vorzugsweise in der Gegend der Lendenanschwellung an. – Dem Ausbruch der Krankheit geht manchmal Kopf- und Rückenschmerz einige Tage lang voran, in der Regel aber beginnt sie plötzlich und unerwartet mit einem Schüttelfrost, an den sich sofort heftiger Kopfschmerz und in den meisten Fällen auch Erbrechen anschließt. Der Kranke ist sehr unruhig, die Pupillen sind verengert, das Sensorium ist frei. Der Puls macht 80–100 Schläge in der Minute, die Temperatur ist nur mäßig erhöht, die Atemzüge folgen sehr schnell auseinander, 30–40 in der Minute. Bald werden die Nackenmuskeln steif und dabei der Kopf etwas nach hinten gezogen; die Schmerzen verbreiten sich vom Kopf aus über den Nacken und Rücken, die Unruhe des Kranken erreicht eine beängstigende Höhe. Im Laufe des dritten und vierten Krankheitstages tritt der Starrkrampf der Nacken- und Rückenmuskeln, manchmal auch der Kaumuskeln, immer stärker und deutlicher hervor. Der Rumpf wird dabei nicht selten bogenförmig nach rückwärts gekrümmt, ist steif und unbeweglich. Das Bewußtsein schwindet. Der Stuhlgang ist angehalten, der Leib eingezogen, der Urin geht unwillkürlich ab oder er häuft sich in der Blase an und muß mit dem Katheter abgenommen werden. Endlich verfällt der Kranke in die tiefste Bewußtlosigkeit, und es tritt unter rasselnden Atemgeräuschen der Tod ein. In besonders schweren Fällen drängt sich der ganze Krankheitsverlauf in den Zeitraum von 1–2 Tagen zusammen, ja in einzelnen Fällen tötet die Krankheit schon nach wenigen Stunden. Ist die Krankheitsform leichter, so tritt zuweilen Heilung an; es läßt dann zunächst die große Unruhe nach, das Sensorium wird klarer, allmählich schwinden die Schmerzen und die Nackenstarre. Die Rekonvaleszenz nimmt einen sehr langsamen Verlauf. Ost bleibt die Besserung unvollständig, der Kopfschmerz, die Nacken- und Rückenstarre bestehen in mäßigem Grade fort, es gesellen sich Erscheinungen von Lähmung in den willkürlichen Muskeln und in den psychischen Funktionen hinzu, und nach einigen Wochen oder Monaten gehen die Patienten erschöpft und abgemagert zugrunde. Selten zeigt die Krankheit einen intermittierenden Verlauf, indem alle Erscheinungen durch ein kurz dauerndes Wohlbefinden unterbrochen erscheinen. Die Behandlung ist wie oben beschrieben, die Schmerzen sind, dem Alter der Patienten entsprechend, mit dreisten Gaben von Morphium oder Chloroform zu lindern. Vorbeugungsmaßregeln gegen die weitere Verbreitung der epidemischen Cerebrospinal-Meningitis kennen wir noch nicht.
3) Die chronische G. (Leptomeningitis chronica fibrosa), eine Krankheit von sehr schleichendem Verlauf, entwickelt sich in seltenen Fällen aus der akuten G., kommt aber vorzugsweise bei Säufern, aber auch sonst ohne genau bekannte Ursachen vor, geht mit anhaltenden Kopfschmerzen und zunehmender Verminderung der Intelligenz einher und führt zur Bindegewebswucherung, Verdickung und sehnigen Trübung der weichen Hirnhäute, die in schweren Fällen ungewöhnlich fest mit der Hirnrinde verwachsen sind. Diese Form der G. liegt vielen Fällen von Geisteskrankheit zugrunde, weil sich die Entzündung von den weichen Häuten auf die Hirnrinde selbst fortsetzt und zur Verhärtung und Schrumpfung der letztern führt.
4) Die tuberkulöse G. (Meningitis tuberculosa, Basilarmeningitis) kommt häufig bei Kindern, seltener bei Erwachsenen vor. Bei der Sektion solcher Personen trifft man neben der Erkrankung der Hirnhäute noch häufig tuberkulöse Ablagerungen in den Lungen oder in einzelnen Lymphdrüsen, in den Nieren, Hoden etc. an. Die tuberkulöse G. hat ihren Sitz vorzugsweise an der Basis des Gehirns. Hier sind die sonst zarten und durchsichtigen weichen Häute zu einer trüben, gallertig verquollenen Masse umgewandelt, in der man zahlreiche sandkorn- bis mohnkorngroße, graue und durchscheinende oder gelbliche, nicht mehr durchscheinende Knötchen (Tuberkeln) eingebettet sieht. Das Gehirn selbst ist gewöhnlich blutarm, stark serös durchfeuchtet und weicher. Die Hirnhöhlen sind oft stark erweitert, mit klarer, wässeriger Flüssigkeit erfüllt. Auch die Cerebrospinalflüssigkeit ist reichlich und steht oft unter starkem Druck; indes können (nach Spinalpunktion) meistens Tuberkelbazillen nachgewiesen werden. Die tuberkulöse G. nimmt bald einen akuten, bald einen subakuten Verlauf. Sie ist mit Fieber von verschieden hohem Grade verbunden. In den meisten Fällen, namentlich bei Kindern, gehen dem Ausbruch der Krankheit Vorboten voraus. Die Kinder zeigen ein verändertes Wesen, sind unlustig, schläfrig, träumen viel und unruhig. Gewöhnlich klagen sie über anhaltenden Kopfschmerz, die Verdauung ist gestört, es besteht leichtes Fieber, die Kranken magern ab. Wenn sich zu diesen unbestimmten Erscheinungen ohne vorausgegangene Diätfehler Erbrechen hinzugesellt und sich dieses wiederholt, wenn Stuhlverstopfung besteht und der Leib eingesunken ist, wenn gar andre Symptome auf allgemeine Tuberkulose hindeuten: so sind dies Besorgnis erregende Zeichen. Mit dem eigentlichen Ausbruch der Krankheit werden die Klagen über Kopfschmerzen lebhafter, die Kinder sind empfindlich gegen Licht, Berührung und Geräusche, knirschen im Schlaf mit den Zähnen und stoßen von Zeit zu Zeit einen grellen Schrei aus. Man bemerkt wiederkehrende Zuckungen einzelner Glieder oder plötzliches Zusammenschrecken des ganzen Körpers, der Schlaf ist durch schwere Träume gestört, die Kranken sind im höchsten Grad aufgeregt. Die Pupillen sind in diesem Stadium gewöhnlich verengert, der Puls ist beschleunigt. Dazu kommt, daß die Kinder sich mit dem Kopf rückwärts in die Kissen bohren, und daß die Nackenmuskeln starr und angespannt sind. Ziemlich plötzlich tritt dann ein Anfall von über den ganzen Körper verbreiteten Konvulsionen auf. Das Erbrechen wird nun seltener oder hört ganz auf, die Klagen über Kopfschmerzen lassen nach, die Kinder werden unempfindlich gegen lautes Geräusch und grelles Licht, aber das eigentümliche Aufschreien und Zähneknirschen dauert fort. Die früher engen Pupillen haben sich erweitert, der bisher frequente Puls wird seltener, oft bemerkt man Schielen. Eine Zeitlang sind die Atemzüge ganz flach und leise, dann folgt ein tiefer, seufzender Atemzug, wiederum leichtes Atmen u. s. s. Das Benommensein der Sinne geht allmählich in völlige und ununterbrochene Bewußtlosigkeit über, während deren die Zuckungen der Glieder, die starrkrampfähnliche Zusammenziehung der Nackenmuskeln, die Rückwärtsbeugung des Halses anhalten. Der geschilderte Zustand pflegt etwa acht Tage, ja noch länger, ohne erhebliche Veränderung anzudauern, ehe der Tod durch Lähmung des Gehirns erfolgt. Der Tod ist der regelmäßige, ausnahmslose Beschluß der Krankheit, die Behandlung kann nur gegen die Symptome gerichtet sein. Vorübergehende Besserung sieht man manchmal im Anschluß an die Spinalpunktion.
5) Die Entzündung der harten Hirnhaut (Pachymeningitis) schließt sich bald einer Verletzung oder anderweitigen Erkrankung der Schädelknochen an, bald erscheint sie als selbständige Krankheit von durchaus schleichendem Verlauf und ist wesentlich charakterisiert durch ihre Neigung zu Blutergüssen. Letztere Krankheit führt daher den Namen Pachymeningitis chronica haemorrhagica. Sie kommt meist bei ältern Personen, fast immer über der Konvexität des Gehirns, vor und scheint durch Kongestionen des Blutes nach dem Kopfe veranlaßt zu werden. Es bilden sich bei dieser Affektion zarte, blutgefäßreiche, dünne Gewebslagen an der Innenfläche der harten Hirnhaut, zugleich aber finden zahlreiche seine Blutergüsse zwischen diesen Gewebslagen statt. Letztere bekommen dadurch ein rostbraunes Aussehen. Gelegentlich findet auch eine umfängliche Blutung zwischen die harte Hirnhaut und die neugebildeten Gewebsschichten statt, wodurch die letztern von ihrer Unterlage abgehoben und gegen die Hirnoberfläche hingedrängt werden. Dergleichen gröbere Blutergüsse bezeichnet man als Apoplexia intermeningea, und da das Blut sich zwischen den häutigen Lagen wie in einem Sack ansammelt, so entsteht eine Blutgeschwulst: ein Hämatom der harten Hirnhaut, Pachymeningitis interna chronica (Haematoma durae matris). Die Blutungen wiederholen sich leicht, die Blutgeschwulst wird dadurch immer größer, übt einen starken Druck gegen die Großhirnhemisphären aus, verursacht anhaltenden Kopfschmerz, Störungen der Intelligenz, Geistesstörungen etc. Die Krankheit ist im Leben schwierig zu erkennen und noch schwieriger zu behandeln. Die Behandlung beschränkt sich auf die Verhütung von Kongestionen des Blutes nach dem Kopfe. Plötzlich eintretende umfangreiche Blutungen dieser Art rufen das Krankheitsbild des Gehirnschlagflusses hervor und können auf der Stelle zum Tod führen.
6) Endlich ist noch eine syphilitische G. zu erwähnen (Meningitis gummosa seu syphilitica). Dieselbe ist charakterisiert durch Auftreten von erbsen- bis taubeneigroßen Geschwülsten in den Schichten der Dura. Diese Neubildungen setzen sich gegen ihre Umgebung scharf ab; in ihrem Zentrum findet käsiger Zerfall statt. Diese Gummigeschwülste kommen meist an der Konvexität des Gehirns, aber auch an der Sella turcica und in der Felsenbeingegend vor. Auch in der Pia entwickeln sich Syphilome meist in Gestalt graurötlicher, gallertiger Geschwülste mit höckeriger Oberfläche, die oft das Gehirn in Mitleidenschaft ziehen. Die Behandlung ist eine antisyphilitische, wenn anders man überhaupt die Diagnose zu stellen imstande ist. Vgl. Wernicke, Lehrbuch der Gehirnkrankheiten (Kassel u. Berl. 1881–83, 3 Bde.); v. Niemeyer, Die epidemische Cerebrospinal-Meningitis in Baden (Berl. 1865). – G. bei Tieren, s. Gehirnentzündung.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.