- Rekonvaleszénz
Rekonvaleszénz (neulat.), der Zustand zwischen der Krankheit und der vollständigen Genesung. Am ausgeprägtesten finden sich die Erscheinungen der R. nach schweren fieberhaften Krankheiten. Das Allgemeinbefinden des Patienten (Rekonvaleszenten) ist gut, seine Stimmung ist oft freudig gehoben; lebhaft regt sich die Eßlust, indem der durch die Krankheit geschwächte Organismus die verloren gegangene Kraft zu ersetzen, die frühere Körperfülle wieder zu erreichen bestrebt ist. Namentlich sucht der Organismus die verloren gegangene Eiweißsubstanz wieder anzusetzen. Übrigens ist die Nahrungsaufnahme sorgsam zu regeln und nicht lediglich nach dem Appetit zu bemessen, da nicht selten die Verdauungsorgane noch nicht hinreichend leistungsfähig und manchen Schädigungen leicht zugänglich sind (besonders nach Typhus). Denn noch bestehen oft als Überbleibsel der überstandenen Krankheit in bald mehr, bald weniger ausgeprägtem Grade die Erscheinungen der Blutarmut fort: Blässe der Haut, der sichtbaren Schleimhäute (Lippen, Zahnfleisch, Augenbindehaut), damit verbunden leichte Ermüdung bei körperlicher Anstrengung, die daher anfangs nur wenig dem Rekonvaleszenten zugemutet werden darf, und an die er in systematisch sich steigernder Weise wieder gewöhnt werden muß, da andernfalls leicht eine Überanstrengung des noch geschwächten Herzens mit ihren Folgen eintreten könnte. Daher wird auch die in der Ruhe nicht beschleunigte Herztätigkeit anfänglich durch die kleinste Anstrengung sehr gesteigert. Die Blutverteilung ist bisweilen abnorm, Blässe und Rötung des Gesichts wechseln schnell. Die Atmung ist frei, wird aber auch bei leichten Bewegungen schon vermehrt. Die Haut ist gleichmäßig warm, aber, ebenfalls ein Zeichen der noch verminderten Herzkraft, zum Schwitzen und Kaltwerden geneigt; besonders werden die Füße leicht kalt. Die Farbe der Haut ist bleich, mitunter schuppt sich die Epidermis auch ohne vorausgegangene Hautausschläge ab. Die Haare fallen aus, besonders nach Typhus, Pocken, schweren Kindbettfiebern, Kopfrose, wachsen jedoch später wieder nach, auch ohne den Gebrauch angeblich haarwuchsbesördernder Mittel. Das Denkvermögen ist in der R. an sich nicht gestört, aber das Konzentrieren der Gedanken wird anfangs noch schwer, die Sinne sind überempfindlich; so ermüdet das Auge schon nach kurzem Lesen, grelles Licht blendet fast schmerzhaft, Geräusche werden unangenehm empfunden, Musik regt auf. Der Schlaf ist im allgemeinen gut und reichlich, jedoch durch an sich geringe Einflüsse leicht zu stören. Die Muskeln sind schwach und zittern nach geringen Anstrengungen. Die Dauer der R. richtet sich in der Regel nach der Dauer und der Schwere der vorangegangenen Krankheit; oft ist sie kurz, dagegen nach schweren, namentlich mit starker Konsumtion des Körpers verbundenen Krankheiten, z. B. Typhus, vergehen Wochen und Monate. Wird aber die R. sorgsam geleitet, so mildern die oben angegebenen Anomalien im Verhalten des Rekonvaleszenten sich von Tag zu Tag, bis sie völlig geschwunden sind und der völligen Gesundheit wieder den Platz einräumen.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.