Gehirnentzündung

Gehirnentzündung

Gehirnentzündung (Encephalitis), Entzündung der Gehirnsubstanz. Umschriebene G. schließt sich häufig an Verletzungen des Gehirns an. Diese können langsam ausheilen unter Bildung einer Narbe, in andern entsteht durch Eiterung der Gehirnabszeß. Auch können von der Blutbahn aus zahlreiche Entzündungsherde durch zirkulierende Gifte erzeugt werden, die, wenn sie klein sind und die zugrunde liegende Krankheit eine Genesung nicht ausschließt, klinisch oft bedeutungslos bleiben. Durch metastatische Verschleppung von Eitererregern können zahlreiche Herde entstehen, die rasch in Abszesse übergehen (s. Gehirnabszeß). Mit der Entzündung der weichen Gehirnhaut (s. Gehirnhautentzündung) geht häufig auch eine Entzündung in den oberflächlichen Gehirnteilen einher. Als eine chronische interstitielle G. mit allmählichem Schwund der nervösen Bestandteile kann die progressive Paralyse aufgefaßt werden. Auf ähnlich chronisch verlaufende G. kann vielleicht mancher Fall von bindegewebiger Verhärtung ganzer Hirnlappen bei angeborner Syphilis und Alkoholismus zurückgeführt werden. Klinisch wichtig ist nur die akute G. der Kinder (Encephalitis ode r Poliencephalitis infantum acuta, zerebrale Kinderlähmung, zentrale spastische Halbseitenlähmung). Sie beginnt bei jungen Kindern (meist unter vier Jahren) mit Fieber, Krämpfen, Erbrechen und stunden- bis tagelanger schwerer Benommenheit. Ist diese vorüber, so wird eine halbseitige Lähmung bemerkt, die entweder einige aus dem Gehirn entspringende Nerven (besonders den Gesichtsnerv) oder eine oder beide Extremitäten betrifft, in leichtern Fällen besteht nur eine gewisse Plumpheit derselben. Die gelähmten Teile bleiben oft im Wachstum zurück, Entartungsreaktion (s.d.) zeigen sie nicht, dagegen öfter epilepsieähnliche Zuckungen und Mitbewegungen; auch kann Epilepsie hinzutreten, und geistige Defekte kommen vor. Die Krankheit unterscheidet sich wesentlich von der sogen. »essentiellen Kinderlähmung« (Poliomyelitis acuta, s. Poliomyelitis), bei der nur das Rückenmark Sitz einer Entzündung ist. – Bei Sektionen fand man entzündliche Erweiterungen der Hirnrinde, bei ältern Fällen Narbenbildung. Die Behandlung des akuten Stadiums ist wenig erfolgreich und besteht in Anwendung von Kälte und ableitenden Mitteln; die zurückbleibenden Störungen sind mittels Heilgymnastik und Orthopädie, die geistigen durch methodische Übungen zu behandeln.

Auch bei den Haustieren kommen akute Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute vor, am häufigsten bei Pferden. Die genaue Unterscheidung ihrer Ursachen und ihres Sitzes hat jedoch bei den Tieren ein viel geringeres Interesse als beim Menschen. Eine herdweise Encephalitis kommt vor, meist jedoch handelt es sich um Gehirnhautentzündung, die als G. bezeichnet wird. Beim Pferd entsteht akute G. aus verschiedenen Ursachen, namentlich durch starke Anstrengung bei großer Hitze, lange Transporte auf Eisenbahnen oder Schiffen und sonstige mit großen Anstrengungen verbundene Verhältnisse, ferner durch Verletzungen des Schädels, auch infolge gewisser Futterstoffe, namentlich Leguminosen (Magenkoller), auch durch übermäßige geschlechtliche Reizung (Samen-, resp. Mutterkoller). Junge Pferde (bis zu acht Jahren) neigen am meisten zu G. Die Erscheinungen sind verschieden. Nach anfänglicher Mattigkeit tritt meist ein Tobsuchtsanfall auf, der Abstumpfung des Bewußtseins zurückläßt und sich mit gesteigerter Wirkung wiederholt. Ost überwiegen auch im Beginn die Depressionserscheinungen; es zeigen sich Schlafsucht und Bewußtlosigkeit, dazu treten Bewegungsstörungen, Taumeln, Kreisbewegungen und Lähmungserscheinungen, namentlich auch des Rachens. Fieber ist nicht immer vorhanden. Das Pferd muß schleunigst an einen kühlen, lustigen, ruhigen Ort (Stall oder freien Platz) gebracht werden, wo es frei umhergehen und sich nicht verletzen kann; Eisbeutel auf den Kopf, häufig kalte Wassereinfüllungen in den Mastdarm, Abführmittel; im Anfang ein ergiebiger Aderlaß; bei starker Aufregung Chloralhydrat. Der Tod erfolgt binnen 14 Tagen; vollständige Genesung tritt etwa bei 20 Proz. ein; häufig bleibt als Nachkrankheit chronische Gehirnwassersucht (s. Dummkoller) zurück. Nach der Genesung ist längere Zeit Schonung und leichtes Futter (Grünfutter, Heu, Kleie) erforderlich. Bei Rindern ist tuberkulöse Hirnhautentzündung häufig. Über Coenurus im Gehirn s. Drehkrankheit. Bei Hunden sind Gehirnentzündungen nicht selten und meist mit Krämpfen verbunden, ähnlich bei Schweinen. Geschwülste im Gehirn, bez. im Schädel, kommen bei allen Tieren, aber nicht häufig, vor. Störungen der Gehirntätigkeit, die ähnliche Symptome wie die G. hervorrufen, sind mit manchen andern Erkrankungen verbunden, so mit der Staupe der Hunde, mit einer Anzahl von Vergiftungen (s. Lathyrismus), beim Vorhandensein von Eingeweidewürmern. Vgl. auch die Artikel »Bornasche Krankheit, Hitzschlag und Sonnenstich (bei Tieren)«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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