- Feuerland
Feuerland (span. Tierra del Fuego, engl. Fuegia; s. Karte »Südamerika«), Inselgruppe an der Südspitze von Südamerika, vom Festlande durch die Magalhãesstraße getrennt, zwischen 52°28' u. 55°59' südl. Br., umfaßt 73,746 qkm und besteht aus einer großen Hauptinsel, dem eigentlichen F. (von dem Engländer Narborough König Karls-Südland genannt), 48,114 qkm groß; ferner aus sechs größern Inseln: Desolation, Clarence, Dawson, Hoste, Navarin, Stateninsel; endlich aus vielen kleinen Eilanden (Diego Ramirez-Inseln, Hermiten etc.), deren südlichste im Kap Hoorn ausläuft. Die größere Insel Wollaston unsrer Karten besteht aus drei Inseln: Grevy, Bayly und Wollaston. Das Ganze ist ein äußerst zerrissenes, abschreckendes Inselchaos, im O. meist wellenförmige Ebene, im W. Gebirgsland. Letzteres bildet das von der Magalhãesstraße durchschnittene südlichste Stück des Kordillerensystems, als dessen äußerstes Ende das als nackte, schwarze Felsenpyramide 565 m hoch aus den Fluten aufsteigende Kap Hoorn anzusehen ist, ist eine ziemlich kompakte Masse und hat eine niedrige, einförmig verlaufende Ostküste, in die nur die San Sebastian-Bai tiefer eindringt, die Nordküste nehmen die Lomas- und San Philip-Bai ein, in die mehr gegliederte Westküste schneiden die Useleßbai und der Admiraltysund tief ins Land ein. Mehrere westöstlich streichende Ketten durchziehen die Insel: im äußersten Norden die Sierra Balmaceda, östlich von der Useleßbai die Sierra Carmen Sylva und die viel bedeutendern vulkanischen Gebirge an der Südwestküste mit dem Sarmiento (2070 m) und Darwin (2100 m), beide mit großen Gletschern. Die kleinern Inseln erheben sich bis zu 1000 m Höhe. Der geologische Bau schließt sich eng an den des südlichen Patagonien (s.d.) an. Die Kordillere besteht in ihrem westlichen, bez. südlichen Teil aus granitischen Gesteinen, an die sich nach O. hin eine Zone kristallinischer Schiefer und eine solche kretazeïscher Tonschiefer mit hornblendereichen Eruptivgesteinen anlehnt. Der Nordabhang des Gebirges scheint sich fast ausschließlich aus stark gefalteten Kreidesedimenten zusammenzusetzen. Die Vorberge und die nach O. hin gelegenen flachern Landstriche werden von tertiären Ablagerungen gebildet, die größtenteils von quartären glazialen Geröllmassen bedeckt sind. Braunkohle ist südlich vom Kap Espiritu Santo gefunden worden, Steinkohle an. der Sloggetbai und auf König Wilhelms IV.-Land, nordwestlich von der Halbinsel Braunschweig, alle aber von nicht abbauwürdiger Beschaffenheit. Doch entdeckte Nordenskiöld 1896 ein Kohlenlager von besserer Beschaffenheit etwas südlich der Useleßbai. Gold findet man überall auf der Hauptinsel, doch nur in geringen Mengen aus dem Sande der Flüsse, aus dem es teilweise das Meer herauswäscht, wobei auch Funde von Eisen, Granat und Olivin in großer Menge gemacht werden. Auch hat man am Südabhang des Mount Darwin Granat gefunden. Aber das Goldfieber, das 1882–92 viele Goldsucher hierher zog, hat längst nachgelassen, da viele Lagerstätten erschöpft sind. Viel aussichtsreicher erscheint die Ausbeutung der Eisen- und Kohlenlager und noch mehr die der Wälder. – Für das Klima der Inseln maßgebend sind die mit Feuchtigkeit überladenen West- und Südwestwinde, die wegen des nach S. hin rasch abnehmenden Luftdruckes heftig auftreten, in allen Jahreszeiten entschieden vorherrschen und namentlich im westlichen Teil häufig Regen, Schnee und auch Hagel bringen. Regenmengen: Uschuaia 52 cm; Temperatur: Punta Arenas, Jahresmittel 6,2, mittlere Jahresextreme 24,6° und -2°; Uschuaia Jahresmittel 5,4, kältester Monat -0,6, wärmster (Januar) 11,8, mittlere Jahresextreme 25,6° und -9,3°. Die Regenfälle sind zwar wenig ergiebig, aber häufig und ziemlich gleichmäßig auf alle Monate des Jahres verteilt.
Die Pflanzenwelt weist zwei Buchen: Fagus betuloïdes (bis 300 m) und F. antarctica (bis 400 m), eine Magnoliazee, Drimys Winteri, auf der Hauptinsel auch eine Thuja (Libocedrus tetragonus), das Heideland am Fuß und an den Abhängen der Hügel namentlich Ribes magellanica, Myrtus numeralia und besonders Berberis ilicifolia auf. Auf den Weidelandschaften finden sich namentlich Poa und Festuca, in den Schluchten das Tussokgras (Dactylis glomerula), dann Arrhenaterum avenaceum u. a. Auf den westlichen Inseln wird Fagus betuloïdes ersetzt durch F. obliqua, der sich hier in den Wäldern eine Art Spindelbaum, Maytenus magellanica, seltener Libocedrus tetragonus, zugesellen. Auf größern Erhebungen erscheint Fagus antarctica verkrüppelt (bis 0,1 m). Unter den Krautgewächsen sind bemerkenswert Fuchsia magellanica, mehrere Colletia-Arten u. a. Nutzbar ist das Holz von Fagus antarctica als vortreffliches Brennholz, die beiden andern Fagus-Arten (F. obliqua und betuloïdes) sind vielseitig verwendbar, Maytenus magellanica und Berberis für den Drechsler. Ribes magellanica und Berberis ilicifolia tragen eßbare Beeren.
Die Tierwelt zählt unter den Säugetieren eine Wildkatze (Felis Geoffroyi), einen Hund (Canis magellanicus), einen Fuchs, einen Fischotter (Lutra chilensis). Eine Phokenart, Macrorhinus, erscheint selten, dagegen ist Otaria jubata sehr häufig. Auch Wale erscheinen oft. Einige Nager (Herperomys Edwardii u. a.) leben nördlich vom Beaglekanal und auf der Hauptinsel der Tuko-Tuko (Ctenomys) und das Guanako (Auchenia). Von 204 Arten der antarktischen Vogelfauna gehören 75 dem F. besonders an, darunter nur ein Landvogel (Anthus corrindera). Daneben sind einige Landvögel von N. her eingewandert; 41 Proz. gehören zu den Seevögeln. Die Fische zeigen mehr Verwandtschaft mit der chilenischen als mit der argentinischen oder brasilischen Fauna. Reptilien und Amphibien sind spärlich vertreten, im S. fehlen sie. Die Insekten zeigen eine bemerkenswerte Verwandtschaft mit denen Nordeuropas, von den Mollusken sind die eßbaren Miesmuscheln und Schüsselschnecken am zahlreichsten.
Die Eingebornen gehören zur amerikanischen Rasse. Den östlichen Teil der Hauptinsel bewohnen die Ona oder Yasana, große, gutgewachsene Menschen (im Mittel 1,8 m), brachykephal mit kleiner Nase und länglichem Gesicht, in Sprache und Sitten den Tehueltschen an der Nordküste der Magalhãesstraße verwandt, weiter südlich die eigentlichen Feuerländer (Fuegier), die man früher Peschäräh nannte, zu denen auf den noch südlichern Inseln die Jahgan und Alacaluf gehören. Diese sind 1,5–1,6 m groß, gelblich oder rötlich (s. Tafel »Amerikanische Völker II«, Fig. 16), mit groben Zügen, langer Nase, rundem Gesicht und langem, straffem Haar (die Barthaare vertilgen sie sorgfältig). Die Kleidung besteht aus umgehängten Häuten; ihre heuschoberähnlichen Hütten decken sie mit Seehundsfellen oder bauen sie nur aus Zweigen auf. Ihre Nahrung besteht aus Schaltieren und Fischen, ergänzt durch Seehunde, Ottern, angetriebene Walfische, Beeren, Schwämme u. a. Als Waffen dienen Pfeil und Bogen, Speer, Schleuder und Keule aus Holz, Walfischknochen oder Stein (s. Tafel »Indianische Kultur II«, Fig. 7–9). In großen Kähnen (aus Baumstämmen oder Rinde), die 6–8 Mann fassen, wagen sie sich bis zu entferntern Klippen, um Seehunde zu jagen. Feuer erzeugen sie mit Eisenkies und Zunder. Sie leben ohne Häuptlinge in völliger Gleichstellung; ihre Religion ist ein düsterer Geisterglaube. Die Sprache der Feuerländer, die in mehrere Dialekte zerfällt, besitzt einheimische Zahlenausdrücke nur bis drei, ist aber in lautlicher und grammatischer Beziehung reich entwickelt. So gibt es am Verbum drei Zeiten, drei Konjunktivformen, einen Imperativ, eine Frageform, eine negative Form, eine Form der Unmöglichkeit, vier Zahlformen des Nomens, nämlich Singular, Dual, Trial und Plural, und andre Formen. Diese Sprache ist mit derjenigen der Ona nicht verwandt. Beide Gruppen sterben langsam aus. Die Ona sind von N. her eingewanderte Patagonier, die Feuerländer waren wohl ehedem viel weiter verbreitet. Zu beiden Volkselementen treten die Kolonisten, vor denen jene zurückweichen. Die Ona, jetzt höchstens noch 300–500 Seelen, haben sich in die unzugänglichsten Teile des Feuerlandes zurückgezogen. Die Jahgan, jetzt durch Pocken und Schwindsucht auf 250–300 Individuen zusammengeschmolzen, leben eigentlich nur durch die Kolonisten: sie befinden sich ausschließlich auf den englischen Missionsstationen Uschuaia und Tekenika, wo sie europäisch gekleidet, fast nur englisch sprechend und durch Schulunterricht den weißen Arbeitern fast gleichstehend, sich von diesen kaum unterscheiden. Die Alacaluf, 150–200 Köpfe, leben als Jäger, Fischer, Bootsleute oder als Arbeiter für die Schiffer und Kolonisten. Ortschaften gab es 1895 im argentinischen F. (21,048 qkm, nach Trognitz 20,819) sechs, nämlich Uschuaia am Beaglekanal, Hauptort des Gebietes, mit der erwähnten Missionsstation, einem Dampfsägewerk, einer Konservenfabrik und 300 Einw., darunter eine ziemlich große Anzahl von Kaufleuten, die mit den umwohnenden Kolonisten Handel treiben. Die andern Orte sind: Lapataïa, Herbeston, Thetis, San Sebastian oder El Páramo und Puerto San Juan auf der Stateninsel mit Leuchtturm. Die Gesamtzahl aller im argentinischen F. lebenden Ansiedler betrug 1897: 477. Im chilenischen F. (52,698 qkm) ist der bedeutendste Ort Port Provenir an der Magalhãesstraße, gegenüber dem Hafen Punta Arenas. Hier wurde 1884 durch einen Chilenen die erste Schäferei angelegt, der bald andre folgten, so an der Bai Gente Grande, wo eine Musterfarm besteht. Bei Tekenika an der gleichnamigen Bai liegt eine Missionsstation. Die Bevölkerung im chilenischen F. wird auf 1500 Köpfe berechnet, wozu noch 150–200 Alacaluf kommen, so daß man die Gesamtbevölkerung des Feuerlandes auf höchstens 2700 Seelen schätzen darf.
Das F. wurde 1520 von Magalhães entdeckt und so benannt, weil er nachts große Feuer an der Küste bemerkte; eine genauere Kenntnis des Landes brachten die Untersuchungen des Spaniers Cordova und der Engländer King, Stokes, Fitzroy 1825–26 und Darwins. Aber erst seit der politischen Teilung des Landes (1881) hat man eingehendere Forschungen gemacht. 1882–83 war an der Orangebai eine französische Polarstation auch geographisch hervorragend tätig. Bossi untersuchte 1881 die Südseite der Hauptinsel, Bove 1882 den Beaglekanal, die Staten- und Clarence-Insel und zog 1884 mit Noguera bis zum Admiraltysund; Ramon Lista und Popper erforschten 1886 das Innere. Im chilenischen Teil entdeckte Scheltze reiche Lager von Edelmetallen; 1890–92 forschten hier Popper, Rousson und Willem, 1895–1896 O. Nordenskiöld, Dusén und Ohlin; auch hat eine chilenisch-argentinische Grenzkommission zwei Jahre hindurch wichtige Untersuchungen ausgeführt. Vgl. Musters, Unter den Patagoniern (deutsch, Jena 1873); Platzmann, Glossar der feuerländischen Sprache (Leipz. 1882); Bove, Patagonia, Terra del Fuoco, etc. (Genua 1883); Ramon Lista, Viaje al Pais de los Onas (Buenos Aires 1887); »Mission scientifique du Cap Horn«, Bd. 7: Anthropologie et Ethnographie, von P. Hyades u. I. Deniker (Par. 1891); O. Nordenskiöld, Das F. und seine Bewohner (in Hettners »Geographischer Zeitschrift«, Leipz. 1896); Derselbe, Från Eldslandet (Bericht über die schwedische Expedition 1895–97, Stockh. 1898); Rabot, La Terre de Feu (nach Nordenskiöld, Par. 1902); F. A. Cook, Die erste Südpolarnacht 1898–1899 (deutsch, Kempten 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.