Cambridge [1]

Cambridge [1]

Cambridge (spr. kēmbridsch), 1) berühmte Universitätsstadt (municipal borough) Englands in der nach ihr benannten Grafschaft (s. Cambridgeshire), auf beiden Seiten des schiffbaren Cam, über den zwölf Brücken führen, bietet, obwohl weniger von der Natur begünstigt als ihre Rivalin Oxford, mit ihren stattlichen Bauten, herrlichen Spielplätzen, teilweise engen Straßen, prächtigen alten Bäumen und den zahlreichen Ruderbooten auf ihrem Fluß ein anziehendes Bild. C. zählte 1901: 38,393 (mit der Vorstadt Chesterton zusammen 47,970) Einw. Der Ruhm der Stadt beruht auf ihrer Universität, die auf eine von Siegbert, dem König der Ostangeln, 630 hier gegründete Schule zurückgeführt wird, deren älteste vorhandene Stiftungsurkunde von 1229 aber erst aus der Regierungszeit Heinrichs III. stammt. Die bis in die jüngste Zeit geltende Verfassung stammt aus der Zeit Elisabeths und ist neuerdings (namentlich durch die Statuten von 1858, das Zugeständnis völliger Religionsfreiheit 1871 und die Universities of Oxford and Cambridge Act von 1877, bestätigt 1882) in freisinnigem Geist entwickelt worden. Die Universität wird demnach gebildet aus 17 Studienanstalten (Colleges, eine heißt Hall), deren jede die Rechte einer Korporation genießt und nach ihren eignen Gesetzen regiert wird; dazu kommen einige sogen. non-collegiate-students, die, häufig älter und weniger wohlhabend als die meisten Studenten, keinem College angehören und unter Aussicht eines Censor stehen. Es sind neuerdings noch ein sogen. Hostel (Privatanstalt), das Selwyn College, drei ausschließlich theologische Colleges sowie zwei große Colleges für Damen (Girton und Newnham College), deren Besuch seit 1881 auch zur Ablegung der höchsten Prüfungen berechtigt, entstanden. Die Angehörigen eines College sind: 1) der Rektor (Master, Provost oder President), der von 2) den Fellows gewählt wird, die selbst aus den Reihen der Graduierten hervorgehen und im Genuß von festen Einnahmen aus dem Stiftungsfonds sind; ihre Gesamtzahl ist etwa 400. 3) Doctores, Magistri und Baccalaurei, die früher dem College als Studenten angehörten. 4) Die Studenten (Undergraduates), die wiederum in vier Klassen zerfallen, nämlich Fellow Commoners (einige meist ältere Studenten, denen es gestattet ist, am Tisch der Fellows zu speisen), Scholars (die im Genuß von oft recht beträchtlichen Stipendien etc. sind), Pensioners (die für Kost und Wohnung etc. zahlen und die überwiegende Mehrzahl der Studierenden ausmachen) und Sizars (arme Studenten, die Kost od. dgl. billiger haben). Im ersten Jahr heißt der Student freshman, im zweiten junior soph, im dritten senior soph. Manche der bessern bleiben ein viertes Jahr auf der Universität, nur selten länger. Die Studenten wohnen aus Raummangel nur etwa zur Hälfte in ihrem College, in dem sich auch der gemeinschaftliche Speisesaal (hall) befindet. Die übrigen und die keinem College angehörigen Studenten (1903: 101) wohnen in Privatwohnungen. So besteht denn die Universität aus (1963) 13,424 Mitgliedern, von denen 6972 Doktoren und Magister und Mitglieder des Senats sind, aber nur zum kleinsten Teil in C. wohnen, und 2878 Studenten oder Undergraduates. Dazu kommen über 300 Studentinnen. Jedes College hat seine Tutors u. Lecturers, und die Vorlesungen der außerhalb dieses College stehenden 102 Universitätsdozenten (44 University Professors, 14 Readers und 44University Lecturers) werden fast nur von denjenigen besucht, die sich einem besondern Fach widmen. Die oberste Behörde der vom Staate völlig unabhängigen, auch nicht von ihm finanziell unterstützten Universität ist der Senat, aus dessen Mitte ein Ausschuß (Council) von 16 Mitgliedern durch Wahl hervorgeht, an dessen Spitze der Vizekanzler steht, und ohne dessen Bewilligung Vorlagen dem Senat nicht gemacht werden können. Die Hauptbeamten sind: der Kanzler; der Vizekanzler (der mit den Sex viri ein Disziplinargericht für die graduierten Universitätsmitglieder bildet); der High Steward (Oberrichter für Kriminalsachen) und der Deputy High Steward (von diesen vier ist nur der Vizekanzler in C. ansässig, die andern drei Ämter werden hervorragenden Edelleuten als Ehrenämter übertragen); ferner der Commissary als Richter für Zivilsachen; ein Public Orator oder öffentlicher Redner; ein Oberbibliothekar; ein Registrary (Archivar); 2Proctors ohne und 4 Pro-Proctors mit Disziplinargewalt. Etwas den deutschen Fakultäten genau Entsprechendes hat man in C. nicht, vielmehr werden die einzelnen Studienzweige durch Sonderausschüsse unter dem Vorsitz des oder eines Fachprofessors vertreten. Man nennt diese Ausschüsse die Special Boards of Studies. Augenblicklich besitzt die Universität die folgenden zwölf Special Boards: Divinity, Law, Medicine und (an Stelle der deutschen philosophischen Fakultät) Classics, Oriental Studies, Medieval and Modern Languages, History and Archaeology, Moral Science (d. h. Philosophie und Volkswirtschaftslehre), Music, Mathematics, Physics and Chemistry, Biology and Geology. Dazu kommen noch Boards für Agricultural Studies, Indian Civil Service Studies sowie Committees für Geography und für Haussa. Jeder Special Board entsendet einen Vertreter in die oberste Studienbehörde, den General Board of Studies. Ehe ein Student in C. immatrikuliert werden kann, muß er, falls nicht gewisse Zeugnisse ihn ganz oder teilweise befreien, eine ausschließlich schriftliche Universitäts-Aufnahmeprüfung (the previous examination) bestehen; daneben hat jedes College noch eine besondere Aufnahmeprüfung. Die niedern Universitätswürden (B. A. etc.) werden nach Ablegung von Prüfungen verliehen, wobei es Bedingung ist, daß der Kandidat (questioner) neun terms (deren drei auf das Jahr gehen) an der Universität verbracht hat. Studenten, die von einer mit C. in Kartell stehenden (affiliated) Universität kommen, können sich nach Ablauf von 6 terms zur Prüfung melden. Neu ist auch die Einrichtung, nach der sogen. advanced students nach Ablauf von zwei Jahren auf Grund einer Dissertation den Grad eines B. A. erlangen können. Einem großen Teil der Studierenden, den sogen. Poll men (von οἱ πoλλοi »die vielen«), die sich nicht auf einen wissenschaftlichen Lebensberuf vorbereiten wollen, ermöglichen zwei leichtere Examina (eine »general« und eine »special« examination) die Erwerbung des Titels Bachelor of Arts (B. A.); eine jetzt gleich zahlreiche und weit tüchtigere Klasse von Studenten, die Honour men, die »mit Ehren« (with honours) promoviert zu werden wünschen, müssen sich einem schwierigern Examen (Tripos Examination) unterwerfen. Nach Ablauf einer weitern Frist von drei Jahren, die indes nicht auf der Universität verbracht zu werden braucht, können Bachelors sich durch Zahlung einer Gebühr ohne Prüfung den Grad eines Magisters, Master of Arts (M. A.) und später, ohne jede Prüfung, aber nur auf Grund hervorragender wissenschaftlicher Werke, den eines Doktors erwerben. Die Magistri und Doctores bilden den akademischen Senat. Solange sie ihren jährlichen Beitrag zahlen, bleiben sie Mitglieder der Universität. Man schlägt die Einnahmen sämtlicher Colleges auf mindestens 317,795 Pfd. Sterl. an, und sie verfügen über 312 geistliche Pfründen im Werte von 136,000 Pfd. Sterl. jährlich. Das größte College besitzt ein bedeutenderes Vermögen als die Universität selbst (diese 1903 nur 63,733 Pfd. Sterl.). Im Parlament wird die Universität durch zwei Mitglieder vertreten. Von der Universität als solcher abhängig sind: das 1722–30 erbaute Senatshaus nebst der 1842 erweiterten Bibliothek (ca. 600,000 Bände, darunter 2150 Inkunabeln, und 8000 Handschriften); das von Lord Fitzwilliam 1816 gestiftete Museum in klassischem Gebäude (von Basevi), mit Gemäldesammlung, Skulpturengalerie und Bibliothek; das antiquarische, geologische, naturgeschichtliche und anatomische Museum; die Sternwarte; die Druckerei (Pitt Press) und der botanische Garten. Von den Colleges ist das 1257 gestiftete Peterhouse das älteste, das 1800 gestiftete Downing College das jüngste, am berühmtesten aber sind Trinity und St. John's Colleges. Ersteres wurde 1546 von Heinrich VIII. gestiftet, zählte Bacon, Newton, Bentley, Dryden und Byron zu seinen Schülern, und seine von Wren 1676 erbaute Bibliothek ist nächst derjenigen der Universität die wertvollste (s. Tafel »Bibliothekgebäude II«, Fig. 3). Es ist die reichste Anstalt in C., mit einer Jahreseinnahme von 91,291 Pfd. Sterl. St. John's College, 1511 von der Mutter Heinrichs VII. gestiftet, zeichnet sich aus durch die von G. Scott 1869 vollendete prächtige Kapelle. In ihm studierte Wordsworth. King's College (1441 von Heinrich VI. gestiftet) besitzt in seiner gotischen Kapelle (1446–1515 erbaut) das schönste Bauwerk der Art in England. Gonville and Caius (spr. kīs) College, 1348 von Gonville gestiftet und 1558 von John Kaye (Caius) erweitert, besteht aus drei in italienischem Geschmack erbauten Höfen; ihm gehörte unter andern Harvey an. In Christ's College, 1466 gestiftet, studierte I. Milton, und ein angeblich von ihm 1633 gepflanzter Maulbeerbaum wird noch jetzt gezeigt. Corpus Christi College enthält eine wertvolle Sammlung angelsächsischer Handschriften.

An sonstigen Bildungsanstalten in C. verdienen Erwähnung: die in Verbindung mit dem 1863 erbauten Addenbrooke's Hospital stehende medizinische Schule, ein Lehrerinnenseminar und 2 Lateinschulen. Unter den Kirchen ist die 1101 von den Tempelherren erbaute runde Heilige Grabkirche (Round Church) die älteste, die 1478–1519 erbaute gotische Marienkirche (Great St. Mary's) die geräumigste und schönste. Von städtischen Gebäuden sind das neue Rathaus am Markt und die Getreidebörse die bedeutendsten. Endlich muß der zahlreichen und prächtigen Spielplätze der Studenten (Parker's Piece und Fenner's Ground), der Boothäuser der Ruderklubs am Cam sowie der akademischen Lesehalle (Union Society) Erwähnung geschehen. – C. ist eine der ältesten Städte des Reiches, das Camboritum der Alten, eine Stadt der Icener im römischen Britannien. Seit der angelsächsischen Zeit hieß die Stadt nach dem damaligen Namen des Flusses Cam (Granta) Grantebrigge, Grantbridge. Vgl. »Statutes of the University of C. and for the Colleges therein«; »Ordinances of the University of C.«; »Cambridge University Calendar« (jährlich); »The Student's Handbook to the University and Colleges of Cambridge«; Willis und Clark, The architectural history of the University of C. (1889, 4 Bde.); J. W. Clark, C., historical and descriptive notes (5. Aufl. 1902); Derselbe, A concise guide to the town and University of C. (1902); I. Baß Mullinger, History of the University of C. (1888); J. D. Atkinson, C., described and illustrated (1897); Donald Mac Alister, Advanced study and research in the University of C. (1896); C. Lehmann, Harry Fludyer in C. (übersetzt von K. Breul in Reclams Universal-Bibliothek).

2) Stadt in der Grafschaft Middlesex des nordamerikan. Staates Massachusetts, am Charlesfluß, Boston gegenüber, mit dem es mehrere Brücken verbinden, hat schöne öffentliche Gebäude, Privathäuser und Gärten und (1900) 91,886 Einw., darunter 30,466 im Ausland Geborne. In 782 gewerblichen Anstalten stellten 1900: 12,986 Arbeiter Waren im Werte von 39,164,018 Doll. her. Am bedeutendsten waren 18 Gießereien und Maschinenbauanstalten (1591 Arbeiter, Produktionswert 3,503,036 Doll.), 6 Fabriken musikalischer Instrumente, 5 Seifensiedereien. Das steuerpflichtige Eigentum betrug 94,465,930, die städtische Schuld 3,592,934 Doll. Die Stadt wurde 1631 unter dem Namen Newtown gegründet. Berühmt ist C. als Sitz der Harvard – Universität, die 1636 durch ein Vermächtnis von John Harvard begründet wurde. Unter den 18 großartigen Universitätsgebäuden, die mit den sie umgebenden Gärten und Höfen 14 Hektar bedecken, sind die hervorragendsten Memorial Hall, ein 94 m langer, 35 m breiter, zu Ehren der im Sezessionskriege gefallenen Angehörigen der Universität errichteter Bau, University Hall mit Kapelle, Lesezimmer und Speisesälen, Gore Hall mit der Bibliothek (576,900 Bände), Massachusetts Hall, Divinity Hall und Holden Chapel. Zur Universität gehören ein zoologisches und biologisches sowie ein mineralogisches Museum, ein botanischer Garten und Herbarium, eine Sternwarte, das Peabody Museum für amerikanische Archäologie und Ethnographie, eine Druckerei u. a. Die Universität hat eine medizinische, juristische und theologische Schule, eine Schule für Zahnheilkunde, eine solche für Tierärzte, eine polytechnische und eine Ackerbauschule, ein chemisches und physikalisches Laboratorium. Auch bestehen drei Colleges für Damen. Dozenten gab es 1901: 483, Studierende 5124. Es besteht völlige Lehrfreiheit, seit 1869 auch Lernfreiheit. Das Universitätsvermögen beläuft sich auf 13,119,538, die Jahreseinnahme auf 2,371,882 Doll. Vgl. Higginson, Old C. (New York 1899); Thayer, An historical sketch of Harvard University (Cambridge 1891); Hill, Harvard College, by an Oxonian (New York 1895); Bush, History of higher education in Massachusetts (Washingt. 1891). – 3) Hauptstadt der Grafschaft Dorchester im nordamerikan. Staat Maryland, am Choptauk, hat Dampfschiffverbindung mit Baltimore, Ausfuhr von Fischen und Austern und (1900) 5747 Einw. – 4) Hauptstadt der Grafschaft Guernsey im nordamerikan. Staat Ohio, an der Catskillbahn, mit (1900) 8241 Einw. und nahen Kohlengruben.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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