- Utrecht [2]
Utrecht, Hauptstadt der gleichnamigen niederländischen Provinz (s. oben), liegt am Alten Rhein, von dem aus hier die Vecht nach dem Zuidersee und die Vaart nach dem Lek abgehen, 5 m ü. M., ist von zwei Kanälen oder Armen des Alten Rheins durchschnitten, von starken Forts umgeben und bildet den strategischen Vorposten von Amsterdam.
Die Stadt ist Knotenpunkt der Linien U.-Hilversum, U.-Rotterdam und U.-Amersfoort der Holländischen Eisenbahn und der Staatsbahnlinien Amsterdam-U. – Arnheim, U.-Kampen und U.-Boxtel. Sie hat 4 Vorstädte und 20 Kirchen, darunter der reformierte Dom (Maartenskirche), ein prächtiges gotisches Gebäude, 1254–67 erbaut, dessen Langhaus jedoch 1674 bei einem Orkan einstürzte, so daß jetzt Chor mit Querschiff und Turm (110 m hoch, mit schönem Glockenspiel) getrennt stehen; zwischen beiden erhebt sich seit 1883 das Bronzestandbild des Grafen Johann von Nassau. Unter den übrigen Gebäuden sind zu nennen: die frühere Akademie, in deren großem Saal (früher Kapitelsaal des Doms) 1579 die Union der nördlichen niederländischen Provinzen geschlossen wurde; das neue Universitätsgebäude auf dem Domplatz, 1894 im frühholländischen Stil errichtet; der Palast des vormaligen Königs von Holland, Ludwig Bonaparte, der U. zu seiner Residenz gewählt hatte (jetzt Universitätsbibliothek); das Papsthaus (Paushuizen), gestiftet von Papst Adrian VI., der in U. geboren war (jetzt Regierungsgebäude); der Justizpalast, 1837 an der Stelle der berühmten Abtei von St. Paulus errichtet; das schöne Rathaus, 1830 vollständig erneuert; das Münzgebäude, das Gebäude für Künste und Wissenschaften mit dem Museum Kunstliefde, das 1884 gegründete Museum van Kunstnijverheid (mit kunstgewerblichen Sammlungen), das städtische Altertümermuseum im Park Hoogeland, das neue Zellengefängnis, das Schauspielhaus etc. Die Zahl der Einwohner belief sich 1905 auf 114,321. Die Industrie Utrechts erstreckt sich auf Tuch-, Woll-, Baumwoll-, Lein- und Seidenweberei, Fabrikation von Zigarren, Porzellan, landwirtschaftlichen Gerätschaften, chemischen Produkten, Farben etc., Maschinenwerkstätten, Metallgießerei, Ziegelbrennerei, Ölraffinerie, Brauerei etc. Dementsprechend ist auch der Handel mit diesen Fabrikaten und den Landesprodukten (besonders Käse, Butter und Vieh) sehr lebhaft. Die Universität (mit fünf Fakultäten, 1636 gestiftet) hat (1905) 907 Studierende, chemisch-physiologische und physikalische Laboratorien, ein anatomisches und ein physikalisches Museum, ein Naturalienkabinett, eine Bibliothek, einen Botanischen Garten, eine neue Sternwarte und ein meteorologisches Observatorium. Außerdem besitzt U. ein Gymnasium, drei höhere Bürgerschulen, ein Reichshospital, eine Veterinär- und Zeichenschule, mehrere gelehrte und industrielle Gesellschaften, eine Gemäldegalerie, ein reiches erzbischöfliches Museum von kirchlichen Altertümern und verschiedene Wohltätigkeitsanstalten. U. ist der Sitz der Provinzialregierung, eines Provinzialbezirks- u. Kantonalgerichts, des Obermilitärgerichtshofs, einer Handels- und Gewerbekammer, einer Fortifikationsinspektion, eines katholischen und eines sogen. altkatholischen (jansenistischen) Erzbischofs und einer deutschen Ordenshausballei. An der Ostseite der Stadt ist die berühmte Maliebaan, eine sechsreihige, zu beiden Seiten mit schönen Häusern besetzte, 1000 Schritt lange Lindenallee. – In der Römerzeit war U. (Trajectum ad Rhenum) vielleicht schon ein römisches Kastell. Danach setzten sich Franken und Friesen hier fest. Nachdem aber Dagobert um 630 hier eine Kapelle erbaut hatte und 696 durch Willibrord ein Bistum gestiftet war, erwuchs um die im 9. Jahrh. von den Normannen verwüstete, doch um 940 wiederhergestellte Burg eine städtische Ansiedelung. Das Bistum, von den sächsischen und salischen Kaisern reich beschenkt, war im 11. Jahrh. der mächtigste Lehnstaat im Norden Lothringens, und U. eine ansehnliche Stadt. Die Herren von Cuyk waren um 1200 im Besitz der Burggrafschaft, bis diese 1220 von Bischof Otto II. durch Kauf erworben wurde. Die Bischöfe mußten allmählich viele ihrer Rechte in der Stadt aufgeben, was unter großen Wirren geschah. Überdies haderten Patrizier und Zünfte um das Regiment im Gemeinwesen. 1528 kam die Stadt mit dem ganzen Bistum an Karl V.; die Bischöfe waren fortan nur kirchliche Würdenträger, wurden aber 1559 zu Erzbischöfen erhoben. Unter Philipp II. ward hier 23. Jan. 1579 die Union der sieben nördlichen Provinzen (Utrechter Union) abgeschlossen, welche die Unabhängigkeit der Niederlande begründete (vgl. P. L. Muller, De Unie van U., Utrecht 1878). Die reformierte Lehre wurde nach dem Übergang der Stadt an die Partei des Prinzen von Oranien (1577) auch hier eingeführt. Der Papst begnügte sich seit 1580, dem Todesjahr des letzten Erzbischofs, damit, für U. einen apostolischen Vikar zu ernennen. Ein Jahrhundert später entstand auch im Stiftskapitel wie in der ganzen katholischen Bevölkerung der Republik Zwist des Missionszustandes wegen, was zur Gründung der Utrechter Kirche (s. d.) führte. Die Stadt ist seit der Gründung der Universität (1636) einer der bedeutendsten Mittelpunkte der Wissenschaft in Holland, jetzt der Mittelpunkt auch der niederländischen Eisenbahnen und eine blühende Handels- und Industriestadt mit starker Garnison. 1672 wurde U. von den Franzosen genommen, 1673 verlassen. Um 1586, 1610, 1785 entstanden hier ernste demokratische Wirren. Am 11. April 1713 wurde der Utrechter Friede geschlossen, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendigte. 1787 wurde U. von den Preußen ohne Widerstand besetzt, wie 1795 von Pichegru und November 1813 von den. Alliierten. Vgl. De Geer, Het Oude Trecht (Utrecht 1875); S. Muller, De Middeleeuwsche rechtsbronnen van U. (Haag 1883–85), De Registersen Rekeningen van het bisdom U. (Utrecht 1889–91) u. a.; »Bullarium Trajectense« (hrsg. von G. Brom, Haag 1891–97, 2 Bde.); Weber, Der Friede von U. (Gotha 1891).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.