Stettīn

Stettīn

Stettīn (hierzu der Stadtplan mit Registerblatt), Hauptstadt der preuß. Provinz Pommern und des gleichnamigen Regierungsbezirks, Stadtkreis, bis 1873 Festung, an der hier mehrfach geteilten Oder, besteht aus der eigentlichen Stadt am linken Flußufer mit ausgedehnten neuen Stadtteilen und Vorstädten, welch letztere nach der Entfestigung angelegt sind, und aus der Lastadie und den dazugehörigen Anlagen am rechten Ufer. Durch Eingemeindung von Vororten, wie Grabow, Bredow, Nemitz etc., hat die Stadt im letzten Jahrzehnt bedeutend an Umfang zugenommen. Beide Ufer der Oder sind für den allgemeinen Verkehr durch drei Brücken (Bahnhofsbrücke, Hansabrücke und Baumbrücke) verbunden; für den Eisenbahnverkehr sind über die Oder und ihre Nebenströme besondere Überbrückungen hergestellt. Groß ist die Zahl der zum Teil mit gärtnerischen Schmuckanlagen versehenen öffentlichen Plätze und der mit schönen Alleen durchzogenen Straßen. Unter den erstern sind besonders zu nennen: der Paradeplatz, der Königsplatz mit den Standbildern Friedrichs d. Gr. (von Schadow) und Friedrich Wilhelms III. (von Drake), der Kaiser Wilhelms-Platz, durchzogen von der Kaiser Wilhelm-Straße, anderen Einmündung in den Parade- u. den Königsplatz das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (von Professor Hilgers) aufgestellt ist, der Jakobi-Kirchplatz mit dem Denkmal des Komponisten Löwe (modelliert von Glümer), der Rathausplatz mit schönem Monumentalbrunnen (modelliert von Manzel), der Platz Am Berliner Tor, ebenfalls mit Monumentalbrunnen (modelliert von Federhoff), der Bismarckplatz, der Arndtplatz etc.

Wappen von Stettin.
Wappen von Stettin.

S. hat 9 evang. Kirchen, unter denen die in ihrer jetzigen Gestalt spätgotische Petrikirche (1124 gegründet) als die erste christliche Kirche in Pommern und die Jakobikirche (aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrh.) wegen ihrer Größe bemerkenswert sind. Neu sind die Lutherkirche, die St. Gertrudkirche und die Bugenhagenkirche, letztere 1907 noch im Bau. Außerdem sind noch vorhanden: eine altlutherische, eine katholische und eine apostolische Kirche, 4 Baptistenkapellen und eine Synagoge. Andre hervorragende Gebäude sind: das königliche Schloß, jetzt Sitz der Regierung und des Oberlandesgerichts (ein neues Regierungsgebäude ist 1907 im Bau), das Militärkasino, das Schauspielhaus, die Börse, das Vereins- und Konzerthaus, der Zirkus, das neue, großartige Krankenhaus (auf einer Anhöhe vor der Stadt, 1879 eröffnet, mit ca. 300 Betten) sowie eine Anzahl von großartigen Neubauten, die teils verschiedenen Verwaltungsbehörden, teils als Schulen dienen. Aus der Zeit, da S. noch Festung war, sind noch zwei von Friedrich Wilhelm I. erbaute monumentale Tore (Königstor und Berliner Tor) vorhanden, die jetzt innerhalb der Stadt stehen und den Mittelpunkt breiter, mit Anlagen versehener Passagen bilden. – Die Zahl der Einwohner belief sich 1905 mit der Garnison (ein Grenadierregiment Nr. 2, ein Infanterieregiment Nr. 148, ein Feldartillerieregiment Nr. 38 und ein Pionierbataillon Nr. 2) auf 224,119 Seelen, darunter 209,152 Evangelische, 8635 Katholiken und 3010 Juden.

Industrie und Handel sind bedeutend. S. hat große Schiffswerften, Maschinenfabriken und Eisenwerke (darunter die Maschinenfabrik und Schiffbauanstalt »Vulkan« in der Vorstadt Bredow mit 7500 Arbeitern, die »Stettiner Oderwerke« mit 1000 Arbeitern, eine Schiffswerft, Kesselschmiede und Maschinenbauanstalt mit 500 Arbeitern und das Eisenwerk »Kraft« in Stolzenhagen mit 1200 Arbeitern), eine Nähmaschinen- u. Fahrradfabrik mit 1600 Arbeitern, chemische, Schamotte-, Ziegel- und Zementfabriken mit 3100 Arbeitern, sehr bedeutende Herrenkleiderkonfektion, Fabriken für Motorfahrzeuge, Zucker und Zuckerwaren, Schokolade, Parfümerien, Seife, Stearinkerzen, Kartonnagen, Malz, Kunstseide, Papier, Dachpappe etc., Anthrazit-, Koks- und Kohlenwerke (Hedwigshütte), Branntweinbrennerei, Bierbrauerei, große Mühl- und Sägewerke etc. Für den Handel, der durch eine Handelskammer, durch 24 Konsulate fremder Länder, eine Börse, eine Reichsbankhauptstelle (Umsatz 1906: 2047,3 Mill. Mk.), die landschaftliche Bank, Stettiner Bank und andre große Geldinstitute sowie durch mehrere Versicherungsgesellschaften (Lebensversicherungsgesellschaft Germania, Preußische National-Versicherungsgesellschaft, Stettiner Rückversicherungsanstalt u. a.) unterstützt wird, ist S. der erste Seehandelsplatz des preußischen Staates. Die dortigen Hafenanlagen wurden 1894–98 mit einem Kostenaufwand von über 30 Mill. Mk. bedeutend erweitert und wie in Hamburg und Bremen mit einem Freihafen versehen. Das große neue Hafenbassin befindet sich östlich vom Stadtteil Lastadie und ist durch den Oder-Dunzigkanal mit dem Hauptarm der Oder verbunden. Auch der alte Hafen am Bollwerk wurde gleichzeitig erweitert und vertieft. Ausgeführt werden vorzugsweise: Getreide, Mehl, Sprit, Ölfrüchte, Holz, Chemikalien, Kartoffeln, Kraftmehl, Heringe, Zichorie, Zucker, Kohlen, Lumpen, Blei, Zink, Eisen, Zement, Abraumsalze, Malz, Gras- und Kleesaat, Faßdauben, Bier, Reis, Salz, Stärkezucker, Ölkuchen, Pappe und Packpapier, feuerfeste Steine etc. Die Gesamtausfuhr zur See bezifferte sich 1905 auf 823,275 Ton. Eingeführt werden: Steinkohlen, Eisen und Eisenwaren, Erden, Erze, Chemikalien, Eis, Getreide, Mehl, Kleie, Bau- und Nutzholz, Heringe, Reis, Ölsamen, Mais, Kaffee, Fettwaren, Petroleum, Steine etc. Die Gesamteinfuhr zur See betrug 1905: 3,006,788 Ton. Die Stettiner Reederei zählte 1905: 10 Segler zu 4671 und 105 Seedampfer zu 67,035 Reg.-Ton. Raumgehalt. Es kamen in demselben Jahr in S. an: 4923 Schiffe zu 1,481,518 Reg.-Ton., darunter 3295 Dampfer zu 1,339,048 Reg.-Ton.; es gingen ab: 4914 Schiffe zu 1,486,053 Reg.-Ton., darunter 3299 Dampfer zu 1,344,607 Reg.-Ton. Regelmäßige Dampferverbindungen unterhält S. mit den wichtigsten Häfen der Ostsee, mit norwegischen, belgischen, holländischen, englischen und nordamerikanischen Häfen. Für den Eisenbahnverkehr ist S. mit zahlreichen Bahnhöfen Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Berlin-S., S.-Strasburg i. U., S.-Jasenitz, S.-Belgard und Reppen-S. Dem Verkehr in der Stadt dient eine elektrische Straßenbahn.

An Bildungs- und andern ähnlichen Anstalten besitzt S. 3 Gymnasien, 2 Realgymnasien, 2 Lehrerinnenseminare, eine Maschinenbau-, eine Baugewerk-, eine Seemaschinisten- und eine Navigationsschule, eine Landwirtschafts- und eine Handelsschule, eine Hebammenlehranstalt, eine Taubstummen- und eine Blindenanstalt, ferner eine Stadtbibliothek, ein Altertums-, ein naturwissenschaftliches und ein Kunstmuseum, einen Altertums- und einen Kunstverein, 2 Theater, einen Botanischen Garten etc. Sehr groß ist die Zahl der Wohltätigkeitsanstalten und milden Stiftungen, darunter das Johanniskloster (für arme alte Bürger sowie für deren Witwen und Töchter), ein Waisenhaus, 2 Siechenhäuser, eine Kinderheilanstalt, ein Taubstummen-, ein Krüppel-, ein Soldaten- und ein Seemannsheim, ein Magdalenenstift, mehrere Diakonissenanstalten, eine Walderholungsstätte (»Hohenkrug«) für Lungenkranke, die »Kückenmühler Anstalten« zur Pflege, Erziehung und bez. Heilung Schwachsinniger und Epileptischer etc. Des großartigen, musterhaft eingerichteten Krankenhauses ist bereits oben gedacht. Zu erwähnen ist noch die 1884 entdeckte Stahlquelle, deren Wasser gegen Magen-, Darm- und Leberleiden etc. benutzt und auch versendet wird. Von Behörden haben in S. ihren Sitz: das Oberpräsidium der Provinz Pommern, eine königliche Regierung, das Provinzial-Schul- und Medizinalkollegium, das Konsistorium, die Provinzialsteuerdirektion, die Provinzialverwaltung, die Pommersche Generallandschaftsdirektion, die Provinzialfeuersozietät, die Landesversicherung der Provinz, die Rentenbank für Pommern und Schleswig-Holstein, 2 Spezialkommissionen, eine Landwirtschafts- und eine Handwerkskammer, ein königliches Polizeipräsidium, 2 Hauptsteuerämter, eine Eisenbahndirektion, eine Oberpostdirektion, ein Oberlandes- und ein Landgericht, ein Landratsamt (für den Kreis Randow), ein Seemannsamt etc. Von Militärbehörden befinden sich dort: das Generalkommando des 2. Armeekorps, das Kommando der 3. Division, der 5., 6. und 74. Infanterie-, der 3. Kavallerie-, der 3. Feldartillerie- und 2. Gendarmeriebrigade sowie die 2. Kavallerie- und die 2. Küstenbezirks-Inspektion. Die städtischen Behörden zählen 24 Magistratsmitglieder und 72 Stadtverordnete. Die städtischen Einnahmen beliefen sich 1905/06 auf 39,665,738 Mk., die städtische Schuld Ende März 1905 auf 52,662,791 Mk., der ein Aktivvermögen von 78,319,336 Mk. gegenübersteht. – Zum Oberlandesgerichtsbezirk S. gehören die 5 Landgerichte zu Greifswald, Köslin, Stargard, S. und Stolp; zum Landgerichtsbezirk S. gehören die 15 Amtsgerichte zu Altdamm, Bahn, Fiddichow, Gartz a. O., Greifenhagen, Kammin, Neuwarp, Pasewalk, Penkun, Pölitz, Stepenitz, S., Swinemünde, Ückermünde und Wollin. – In der reizvollen Umgegend sind besonders bemerkenswert: die Eckerberger Forst, Besitzung der Familie Quistorp, mit dem 40 m hohen, aussichtsreichen Quistorpturm, die herrliche Buchheide mit prächtigen, alten Buchen, oder abwärts der Vergnügungsort Frauendorf u. a. (vgl. das Nebenkärtchen »Umgebung von S.« auf der Karte »Pommern« im 16. Bd.).

Geschichte. S. ist eine alte wendische Ansiedelung, erscheint aber erst im 12. Jahrh., seit der Zerstörung von Jumne durch die Dänen, als der erste Seehandelsplatz an der Oder und erhielt von Herzog Barnim I. 1243 deutsches Stadtrecht. Seit etwa 1120 war es Sitz eines pommerschen Fürstenhauses und blieb es bis zum Aussterben der einheimischen Dynastie. 1360 war S. Mitglied des Hansebundes und nahm 1522 die Reformation an. Hier schlossen im Dezember 1570 Schweden und Dänemark unter Vermittelung des Kaisers Frieden. Am 11. Juli 1630 wurde S. Gustav Adolf eingeräumt, der große Verbesserungen an der Befestigung vornahm. Im Westfälischen Frieden nebst Vorpommern an Schweden abgetreten, ward S. nach hartnäckiger Verteidigung durch die Schweden und die Bürgerschaft 6. Jan. 1678 von dem Großen Kurfürsten von Brandenburg durch Kapitulation eingenommen, aber 1679 (im Frieden von St.-Germain-en-Laye) an Schweden zurückgegeben. Im Nordischen Krieg 1713 von den verbündeten Russen und Sachsen abermals belagert, wurde S. infolge einer Übereinkunft (29. Sept.) von Preußen und Holstein besetzt und erst im Frieden von Stockholm 1720 nebst Vorpommern an Preußen abgetreten. Nach der Katastrophe von 1806 übergab 29. Okt. der General v. Romberg die Festung ohne Widerstand den Franzosen, die sie bis 5. Dez. 1813 behielten. 1873 wurde die Festung aufgehoben. Vgl. Berghaus, Geschichte der Stadt S. (Wriezen 1875 bis 1876, 2 Bde.); Th. Schmidt, Zur Geschichte des Handels und der Schiffahrt Stettins 1786–1846 (Stett. 1875); K. F. Meyer, S. zur Schwedenzeit (das. 1886); W. H. Meyer, S. in alter und neuer Zeit (das. 1887).

Der Regierungsbezirk Stettin (s. Karte »Pommern«) umfaßt 12,078 qkm (219,36 QM.) mit (1905) 857,807 Einw., darunter 823,498 Evangelische, 23,185 Katholiken und 5752 Juden (67 Einw. auf 1 qkm), und besteht aus den 14 Kreisen:

Tabelle

Über die 7 Reichstagswahlkreise des Regierungsbezirks s. Karte »Reichstagswahlen«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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