- Politische Verbrechen
Politische Verbrechen (Majestätsverbrechen, Staatsverbrechen, lat. Crimen majestatis, Perduellio, Crimen perduellionis, franz. Crime politique), im allgemeinen jeder verbrecherische Angriff gegen den Staat und die Träger der Staatsgewalt. Die moderne Strafgesetzgebung hat es aufgegeben, den allgemeinen Begriff des Majestätsverbrechens festzustellen, sich vielmehr damit begnügt, die Einzelverbrechen, die man unter jenem Begriff zusammenzufassen pflegt, festzustellen und zu regeln. Das deutsche Strafgesetzbuch hat, ebenso wie das österreichische Strafgesetzbuch, diesen Weg eingeschlagen, in dem es folgende Unterscheidungen macht: 1) Hochverrat (Staatsverrat, Perduellio): ein gewaltsamer Angriff auf den innern Bestand des Reiches oder eines Bundesstaates, sei es, daß dieser Angriff gerichtet ist gegen den Kaiser oder gegen einen Bundesfürsten, sei es gegen die Verfassung, sei es gegen das Gebiet des Reiches oder eines Bundesstaates. Der strafbarste Fall des Hochverrats ist der Mord oder Mordversuch, der an dem Kaiser, an dem eignen Landesherrn oder während des Aufenthalts in einem Bundesstaat an dem Landesherrn dieses Staates verübt wird. Hier tritt die Todesstrafe ein; während außerdem der Hochverrat mit lebenslänglicher Zuchthaus- oder Festungsstrafe und beim Vorhandensein mildernder Umstände mit Festungshaft von 5–15 Jahren geahndet werden soll. Dabei wird schon die Verabredung mehrerer zu einem hochverräterischen Unternehmen, selbst wenn dies in keiner Weise zur Ausführung gekommen, mit Strafe bedroht; ebenso wird es schon bestraft, wenn sich jemand zur Vorbereitung eines Hochverrats mit einer auswärtigen Regierung einläßt oder die ihm anvertraute Macht mißbraucht oder Mannschaften anwirbt oder in den Waffen einübt, oder wenn jemand öffentlich vor einer Menschenmenge oder durch Verbreitung von Schriften oder andern Darstellungen zur Ausführung einer hochverräterischen Handlung auffordert; ja, eine jede einen Hochverrat irgendwie vorbereitende Handlung ist für strafbar erklärt (Reichsstrafgesetzbuch, § 80–86). 2) Landesverrat: ein Angriff auf den äußern Bestand des Staates oder die Herbeiführung einer Gefahr für den äußern Bestand des Reiches oder eines Bundesstaates, und zwar wird hier zwischen militärischem und diplomatischem (einfachem) Landesverrat unterschieden. Ersterer liegt dann vor, wenn ein Deutscher sich mit einer ausländischen Regierung einläßt, um sie zu einem Kriege gegen das Deutsche Reich zu veranlassen; wenn er während eines Krieges gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundesgenossen die Waffen trägt oder der feindlichen Macht vorsätzlich Vorschub leistet oder den Truppen des Reiches oder seiner Bundesgenossen Nachteil zufügt; insbes. wenn er Festungen oder andre Verteidigungsanstalten, Truppen der deutschen oder einer verbündeten Kriegsmacht oder Kriegsvorräte in die Gewalt des Feindes bringt, zum Vorteil des Feindes Brücken oder Eisenbahnen oder Kriegsvorräte unbrauchbar macht, dem Feind Mannschaften zuführt oder letztere zum Übergehen verleitet, Operations- oder Festungs- und andre Pläne dem Feinde mitteilt, Spionage treibt oder fördert oder endlich einen Truppenaufstand erregt. Als diplomatischer Landesverrat wird die Mitteilung von Staatsgeheimnissen, Festungsplänen oder solchen Urkunden, Aktenstücken oder Nachrichten, deren Geheimhaltung für das Wohl des Reiches oder eines Bundesstaates erforderlich ist, an eine auswärtige Regierung oder die Veröffentlichung derselben bestraft. Einen solchen Landesverrat begeht ferner, wer zur Gefährdung der Rechte des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates im Verhältnis zu einer andern Regierung die über solche Rechte sprechenden Urkunden oder Beweismittel vernichtet, verfälscht oder unterdrückt, sowie wer ein ihm von seiten des Reiches oder eines Bundesstaates ausgetragenes Staatsgeschäft mit einer andern Regierung zum Nachteil dessen ausführt, der ihm den Auftrag erteilt hat. Die regelmäßige Strafe des Landesverrats ist Zuchthausstrafe und beim Vorhandensein mildernder Umstände Festungshaft; gegen Ausländer wird bei dem militärischen Landesverrat, also namentlich wegen Spionage, nach dem Kriegsgebrauch verfahren. Landesverrat, im Felde begangen, wird als Kriegsverrat (s. d.) bestraft. Ausspähung und Verrat militärischer Geheimnisse ist in einem besondern Reichsgesetze vom 3. Juli 1893 unter schwere Strafe gestellt (s. Spionage). Endlich gilt für den Landesverrat wie für den Hochverrat die gemeinsame Bestimmung, daß nach Eröffnung der Untersuchung bis zu deren rechtskräftiger Beendigung das Vermögen, das der Angeschuldigte besitzt, oder das ihm später anfällt, mit Beschlag belegt werden kann. In den Fällen des Hochverrats und des Landesverrats entscheidet das Reichsgericht in erster und letzter Instanz, insofern diese Verbrechen gegen Kaiser und Reich gerichtet sind. Die Verletzung eines mit Rücksicht auf die Staatssicherheit erlassenen Schweigegebotes (s. Öffentlichkeit) endlich wird mit Geldstrafe bis zu 1000 Mk. oder Hast oder mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft (Reichsstrafgesetzbuch, § 87–93). 3) Majestätsbeleidigung (Majestätsverbrechen im engern Sinn, Majestätsverletzung, Verbrechen der beleidigten Majestät, Crimen laesae majestatis): die vorsätzliche Tätlichkeit oder Beleidigung, die an dem Kaiser, dem Landesherrn oder an einer andern bundesfürstlichen Person verübt wird. Als straferhöhendes Moment wird dabei der Umstand angesehen, daß das Verbrechen gegen das Reichsoberhaupt oder gegen den eignen Landesherrn oder doch während des Aufenthalts in einem Bundesstaat gegen den Landesherrn des letztern verübt wurde. Die Tätlichkeit wird alsdann mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungshaft, in minder schweren Fällen mit zeitlicher Zuchthaus- oder Festungsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, die einfache Beleidigung mit Gefängnis von zwei Monaten bis zu fünf Jahren oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren. Ebenso macht es bei der Bestrafung von Tätlichkeiten und Beleidigungen, die an Mitgliedern bundesfürstlicher Häuser verübt wurden, einen wesentlichen Unterschied, ob diese dem landesherrlichen Hause des Staates, dem der Verbrecher angehört, oder in dem er sich doch gerade aufhält, angehören oder nicht. Für die Anwendung des Begriffs der Majestätsbeleidigung sind folgende, meist bestrittene Sätze von Wichtigkeit: sie ist Ausdruck der Nichtachtung; Verletzung der Ehrfurcht genügt nicht. Begehung durch Unterlassung (Sitzenbleiben bei einem Hoch auf den Landesherrn) ist nur dann strafbar, wenn eine Rechtspflicht zur Vornahme des unterlassenen Tuns bestand. Eine besondere Absicht, zu beleidigen (animus injuriandi), ist nicht erforderlich, Kenntnis des beleidigenden Charakters der Handlung genügt. Daher genügt auch eventueller Vorsatz (s. Dolus), vorausgesetzt, daß der vorhergesehene Erfolg vom Täter gebilligt wurde. Wahrnehmung berechtigter Interessen etc. (Strafgesetzbuch, § 193) schließt die Strafbarkeit aus; ebenso der Beweis der Wahrheit der behaupteten ehrenrührigen Tatsachen (Reichsstrafgesetzbuch, § 94–101). 4) Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten. Die einem beglaubigten Gesandten zugefügte Beleidigung wird nach dem deutschen Strafgesetzbuch nicht mit der gewöhnlichen Strafe dieses Vergehens, sondern (jedoch nur auf Antrag des Beleidigten) mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu einem Jahr bestraft. Ferner werden auch diejenigen Handlungen. die sich, wenn sie einem Bundesfürsten oder einem Bundesstaat gegenüber begangen worden wären, als Hochverrat oder Landesverrat qualifizieren würden, mit Strafe bedroht, ebenso auch die Beleidigung des Landesherrn oder des Regenten eines nicht zum Deutschen Reiche gehörigen Staates. Freilich ist hier die Strafe eine weit geringere; auch setzt die Bestrafung voraus, daß in dem andern Staat nach veröffentlichten Staatsverträgen oder nach Gesetzen dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist; endlich tritt die strafrechtliche Verfolgung nur auf Antrag der auswärtigen Regierung ein (Reichsstrafgesetzbuch, § 102–104). 5) Es müssen aber auch die Delikte gegen die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte (les droits civiques) hierher gerechnet werden, da diese Rechte dem Staatsbürger den verfassungsmäßigen Anteil an der Staatsgewalt sichern. Das Reichsstrafgesetzbuch schützt durch seine Strafdrohungen zunächst die gesetzgebenden Versammlungen des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates sowie Senat und Bürgerschaft der Hansestädte gegen das Unternehmen, eine dieser Körperschaften zu sprengen, zur Fassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nötigen oder Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen (Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungshaft nicht unter einem Jahr). Milder bestraft wird die gewaltsame Hinderung eines Mitgliedes einer dieser Versammlungen, sich an den Ort der Versammlung zu begeben oder zu stimmen. Ergänzend treten die Strafdrohungen zum Schutze des politischen Wahl- und Stimmrechts hinzu; sie wenden sich gegen die gewaltsame Verhinderung an der Ausübung dieses Rechtes, gegen die Wahlfälschung und gegen den Stimmenkauf oder die Wahlbestechung (s. Wahlvergehen; vgl. Reichsstrafgesetzbuch, § 105–109).
Für Österreich kommt hier in Betracht: 1) das Verbrechen des Hochverrats. Dieses begeht, wer etwas unternimmt, wodurch die Person des Kaisers verletzt oder gefährdet oder eine Verhinderung der Ausübung seiner Regierungsrechte bewirkt werden soll, oder was auf eine gewaltsame Veränderung der Regierungsform oder auf Losreißung eines Teiles von dem einheitlichen Staatsverband oder Länderumfange des Kaisertums oder auf Herbeiführung einer Gefahr für den Staat von außen oder einer Empörung im Innern angelegt wäre. Die Strafe ist im ersten Fall und für Rädelsführer der Tod, sonst schwerer Kerker von zehnjähriger bis lebenslänglicher Dauer. 2) Das Verbrechen der Majestätsbeleidigung; desselben macht sich schuldig, wer die Ehrfurcht gegen den Kaiser verletzt, es geschehe dies durch persönliche Beleidigung, durch öffentliche oder vor mehreren Leuten vorgebrachte Schmähungen oder durch Druckwerke etc. Die Strafe ist ein- bis fünfjähriger schwerer Kerker. Werden derlei Handlungen oder tätliche Beleidigungen gegen andre Mitglieder des kaiserlichen Hauses vorgenommen, so ist dieses Verbrechen mit Kerker von 1–5 Jahren zu bestrafen, insofern nicht ein schwerer verpöntes Verbrechen vorliegt.
Die Auslieferungsverträge betrafen früher fast ausschließlich p. V.; seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. erfolgt Auslieferung des Verbrechers wegen politischer Verbrechen und damit zusammenhängender Handlungen (faits connexes aux délits politiques) fast von keinem Staat mehr, es wird dem politischen Verbrecher vielmehr ein Asylrecht seitens des Staates, in den er sich geflüchtet hat, gewährt. Die meisten Staaten jedoch liefern aus, wenn ein Attentat gegen das Leben des Souveräns oder der Mitglieder seiner Familie vorliegt (sogen. belgische Attentatsklausel); einzig England, Italien und die Schweiz haben diese Klausel in ihre Auslieferungsverträge nicht aufgenommen. Vgl. Knitschky, Das Verbrechen des Hochverrats (Jena 1874); Bisoukides, Der Hochverrat (Berl. 1903); Meents, Die Idee der Majestätsbeleidigung (das. 1895); Schwartze, Landesverrat und Kriegsverrat nach dem Stand unserer heutigen deutschen Reichsgesetzgebung (Halle 1897); Epstein, Der Landesverrat (Bresl. 1898); v. Calker, Mayer und Gerland, Verbrechen und Vergehen gegen den Staat etc. (Berl. 1906); Züblin. Die moderne Spionagegesetzgebung (Zürich 1895)
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.