- Platen
Platen, pommersches Grafengeschlecht, das 1308 zuerst erwähnt, um 1630 reichsfreiherrlich und 1689 reichsgräflich wurde. Die ältere Linie ist in Schweden reichssässig, die jüngere nennt sich P. zu Hallermund und führt seit 1829 das Prädikat Erlaucht. Namhafteste Sprößlinge des Geschlechts sind:
1) August, Graf von P.-Hallermund, namhafter Dichter, geb. 24. Okt. 1796 in Ansbach als Sohn des markgräflichen Oberforstmeisters Grafen P., gest. 5. Dez. 1835 in Syrakus, erhielt seit September 1806 seine Erziehung in der Kadettenschule zu München, trat im Herbst 1810 in das Pageninstitut daselbst, 1814 als Leutnant in das bayrische Infanterieregiment »König« ein, mit dem er im April 1815 ins Feld zog und noch in demselben Jahre heimkehrte, ohne ins Feuer gekommen zu sein und Paris gesehen zu haben. Des Garnisondienstes überdrüssig, nahm er nach der Rückkehr häufig längern Urlaub, der auf Jahre ausgedehnt wurde, als P. im Februar 1818 ein Stipendium zum Universitätsstudium erlangte. Er widmete sich seit Ostern 1818 zunächst in Würzburg (bis Herbst 1819), hierauf in Erlangen (bis 1825, seit 1823 Hilfsarbeiter auf der Bibliothek) philologischen und philosophischen Studien und wurde insbes. durch Schelling tief beeinflußt. Seine »Ghaselen« (Erlang. 1821) und »Lyrischen Blätter« (Leipz. 1821), »Vermischten Schriften« (Erlang. 1822) und »Neuen Ghaselen« (das. 1823) zogen durch ihren Inhalt und vor allem durch ihre Form die Aufmerksamkeit hervorragender Schriftsteller und selbst Goethes auf sich. Stand P. zunächst noch unter den Einflüssen der Romantik und namentlich der in den 1820er Jahren viel empfohlenen Muster der spanischen Dramatik, so zeigten doch die Jugenddramen des Dichters, die während seiner Erlanger Studienzeit entstanden (»Der gläserne Pantoffel«, »Der Schatz des Rhampsinit«, »Berengar«, »Treue um Treue«), neben der Stoffwahl im Sinne der Romantiker einen selbständigen Zug zur Klarheit der Handlung und zur Bestimmtheit des Ausdrucks. Die Herbstreife des Jahres 1824, die P. nach der Schweiz und nach Venedig unternahm (sie trug als poetische Frucht die schönen »Sonette aus Venedig«), entschied insofern über seine Zukunft, als der Dichter, der noch immer im Militärverband stand, wegen Überschreitung seines Urlaubs eine beinahe dreimonatige Arreststrafe in Nürnberg zu verbüßen hatte. Zu den Reibungen mit der äußern Welt kam für den Dichter der Kampf mit auffallenden pathologischen Regungen in der eignen Brust, worüber seine Tagebücher (s. unten) nunmehr volle Klarheit gewähren. Aber unverrückbar fest stand sein hohes, leidenschaftliches Streben nach den Idealen der Kunst. Seine Entrüstung über die Stümperei vieler Nachromantiker, über die inhaltsleere Lyrik und Novellistik sowie über die geschmackswidrige Richtung der Schicksalstragödien konzentrierte sich in der nach Aristophanischem Muster geschaffenen Komödie »Die verhängnisvolle Gabel« (Stuttg. 1826). Die Gleichgültigkeit, ja Feindseligkeit, mit der in den meisten literarischen Kreisen Deutschlands sein Enthusiasmus für Reinheit und Würde der Poesie aufgenommen wurde, vermehrten den Widerwillen des Dichters gegen diese Zustände. Er trat daher 1826 eine Reise nach Italien an, die sich in einen dauernden Aufenthalt im Lande der Kunst verwandelte, dessen Eigenart ihm in allem zusagte. In Florenz, Rom und Neapel wurde der deutsche Poet heimisch, und obschon er mit Lebenssorgen zu kämpfen hatte, denen eine kleine Pension König Ludwigs I. von Bayern und ein Jahrgehalt der Cottaschen Buchhandlung nur unvollkommen abhalfen, fühlte er sich in seinem selbstgewählten Leben als »wandernder Rhapsode« frei und glücklich. Die Polemik, die er in der »Verhängnisvollen Gabel« gegen die deutschen Literaturzustände eröffnet hatte, setzte er in der Komödie »Der romantische Ödipus« (Stuttg. 1828) fort. Hier wendet er sich namentlich gegen Immermann, der Platens Ghaselen verspottet, und gegen Heine, der diese Verspottung gutgeheißen hatte. Hierdurch rief er Entgegnungen der Angegriffenen hervor, wobei Heine (vgl. dessen »Reisebilder«, Bd. 3) in noch weit gehässigerer Weise, als dies vorher P. getan hatte, den Streit auf das persönliche Gebiet hinüberspielte, freilich nicht ohne seinen überlegenen Witz zu bekunden. Doch zählte der Dichter schon zu dieser Zeit Verehrer, die, vom Ernst und von der Reinheit des Inhalts, von der Schönheit der Form seiner Dichtungen entzückt, selbst die Begrenzung des Platenschen Talents übersahen oder ableugneten. Die nächstfolgenden Jahre, die er zum größten Teil in Neapel verbrachte (wo er mit dem Maler und Dichter A. Kopisch in freundschaftlichen Verkehr trat), förderten die beste Entwickelung des Dichters. Neben zahlreichen lyrischen Gedichten und Oden in antiken Versformen, neben Balladen und Romanzen entstanden Platens letztes Drama: »Die Liga von Cambrai«, und das Märchenepos »Die Abbassiden« (geschrieben 1830; gedruckt, Stuttg. 1834). In den »Geschichten des Königreichs Neapel« (Frankf. 1838) versuchte sich P. auch in der historischen Darstellung, ohne indes auf diesem Gebiete sonderliche Erfolge zu erringen. Seiner Sympathie für die Sache der aufständischen Polen (1830–31) und seinen glühenden Haß gegen den Zaren gab er in den »Polen liedern« Ausdruck, anderen Veröffentlichung er jedoch wegen Zensurschwierigkeiten nicht denken konnte, sie erschienen erst nach seinem Tod im Druck. 1832 starb Platens Vater, und dies sowie der Wunsch, seine Beziehungen zur Cottaschen Verlagsbuchhandlung wiederum fester zu knüpfen, riefen P. nach achtjähriger Abwesenheit für kurze Zeit nach Deutschland zurück. Er lebte zwei Winter in Augsburg und München und redigierte die erste vollständige Sammlung seiner »Gedichte« (Stuttg. 1833), die sich jetzt wachsender Teilnahme und Geltung erfreuten. Im Sommer 1834 zog der Dichter wieder nach Italien, verweilte einige Zeit in Florenz und Neapel, ging im Frühling 1835 zum erstenmal nach Sizilien, kehrte im Spätsommer nach Neapel zurück und ward durch die Besorgnis vor der Cholera zu einem Winterausflug nach Sizilien bestimmt. Im September kam er nach Palermo, im November nach Syrakus, wo er im Hause seines Gastfreundes Don Mario Landolina erkrankte und starb. P. ward im Garten der Villa Landolina bestattet und sein Grab 1869 mit einem Denkstein geschmückt. In Ansbach steht eine Statue des Dichters. Der ersten Ausgabe seiner »Sämtlichen Werke« (Stuttg. 1839, in einem Band) folgten zahlreiche spätere Ausgaben (von K. Gödeke, das. 1847, 5 Bde., und 1882, 4 Bde.; von Redlich, Berl. 1883, 3 Bde. mit Biographie und Bibliographie; und von Wolff und Schweizer, Leipz. 1895, 2 Bde. mit Biographie und erläuternden Anmerkungen), obwohl der Dichter populär im eigentlichen Sinne des Wortes nicht zu werden vermochte. Der gehässigen Unterschätzung der echten Dichtergaben und des Künstlerwertes Platens folgte seit den 1840er Jahren eine wachsende Überschätzung. Der Einfluß, den seine stolze Idealität und künstlerische Formstrenge auf die jüngere Dichtergeneration gewann, war groß und in mancher Hinsicht heilsam; aber wie dem Gehalt, so fehlte auch der Form von Platens Poesie nicht nur der volkstümliche Zug, sondern auch das Verständnis für die nationale Eigenart: er sucht in seinen Ghaselen, Oden und Hymnen undeutsche und zum Teil unverständliche Formen einzubürgern und verstößt oft durch sprachwidrige Betonungen. Doch weiß er sich gelegentlich von seinen Fehlern frei zu halten und entzückt dann allerdings durch bezaubernden Wohllaut der Form. Wenn ihm weichere Gefühle verschlossen sind oder nur ein flüchtiger Hauch davon einzelne Gedichte durchdringt, so leiht er vielen starken, männlichen Regungen, dem Gefühl der Entschlossenheit, der Würde, ernster Trauer, stolzem Freiheitssinn, vor allem aber, wie in den »Polenliedern«, dem bittersten Haß den ergreifendsten Ausdruck. Seinen »Poetischen und literarischen Nachlaß« gab Minckwitz (Leipz. 1852, 2 Bde.; 2. Aufl. 1854), seine »Tagebücher« gaben v. Laubmann und v. Scheffler (Stuttg. 1896–1900, 2 Bde.), dieselben im Auszug E. Petzet (Münch. 1905) heraus, der auch des Dichters »Dramatischen Nachlaß« (Berl. 1902) nach den Handschriften veröffentlichte. Vgl. Minckwitz, Graf P. als Mensch und Dichter (Leipz. 1838); »Briefwechsel zwischen P. und Minckwitz« (das. 1836); Besson, P., étude biographique et littéraire (Par. 1894); Hellmuth, Beiträge zur lyrischen Technik Platens (Programm, Krefeld 1893); C. Heinze, Platens romantische Komödien (Dissertation, Marb. 1897); Stockhausen, Studien zu Platens Balladen (Dissertation, Berl. 1899), Greulich, Platens Literatur-Komödien (Bern 1901); Unger, P. in seinem Verhältnis zu Goethe (Berl. 1903).
2) Adolf Ludwig Karl, Graf von P. zu Hallermund, geb. 10. Dez. 1814, gest. 26. Dez. 1889 in Dresden, ward im Juli 1855 auswärtiger Minister Georgs V. von Hannover, war noch im Mai 1866 für eine Neutralität Hannovers, wandte sich dann aber Österreich zu und lehnte 15. Juni das preußische Ultimatum ab. Er begleitete Georg V. nach Hietzing und leitete von dort aus dessen antipreußische Agitation. Wegen seiner Tätigkeit zugunsten der Welfenlegion (s. d.) seitens der preußischen Regierung wegen Hochverrats angeklagt, ward er in contumaciam verurteilt. – Ein jüngerer Bruder von ihm, Graf Julius von P., geb. 26. Dez. 1816, gest. 1. Sept. 1889 in Dresden, Oberstleutnant a. D. und bis 1866 königlicher Oberschenk sowie Generalintendant des Hoftheaters und Hoforchesters in Hannover, wurde 1. März 1867 Intendant des Hoftheaters und der königlichen Kapelle in Dresden.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.