Bär [2]

Bär [2]

Bär (Ursus L., hierzu Tafel »Bären I u. II«), Säugetiergattung aus der Ordnung der Raubtiere und der Familie der Bären (Ursidae), in der die Gattung die Unterfamilie der Großbären (Ursinae) vertritt, gedrungen oder selbst plump gebaute Tiere mit kurzen Beinen und kurzem Schwanz, stumpfen, nicht einziehbaren Krallen, nackten oder behaarten Fußsohlen, die beim Gehen den Boden ihrer ganzen Länge nach berühren, kurzem, dickem Hals, mäßig gestrecktem Kopf, kurzen Ohren, zugespitzter, aber gewöhnlich gerade abgeschnittener Schnauze und starkem Gebiß. Die Gattung umfaßt die größten Raubtiere, die aber auch, in der Jugend fast ausschließlich, Pflanzenkost genießen. Sie nehmen mit allem vorlieb, sind aber auch naschhaft und richten auf Feldern und unter Haustieren Verwüstungen an. Sie bewegen sich ausdauernd, klettern gut, und nur die größern Arten sind weniger schnell und geschickt. Ihre Kraft ist enorm, sie erdrücken den Feind durch Umarmung. Man kann sie zähmen und abrichten, aber im Alter bricht ihre Wildheit immer wieder durch. Die Bären bewohnen kalte und gemäßigte Länder, in wärmern nur die Gebirge, und verschlafen den größten Teil des Winters, doch nicht, ohne von Zeit zu Zeit aufzuwachen und nach Nahrung umherzugehen.

Der gemeine braune B. (europäischer oder Zottelbär, Landbär, Meister Petz, U. arctos L., Tafel I, Fig. 3), 2 m lang, mit 8 cm langem Stumpfschwänzchen, 1–1,2510 hoch und 150–250 kg schwer, mit zottigem Pelz, ist braun, gelb- oder rotbraun bis silbergrau, schwärzlich oder weißscheckig, in der Jugend mit schmalem weißen Halsband. Er frißt Getreide, Obst, Samen, Waldbeeren, Schwämme, Insekten, Schnecken etc., unter Umständen auch Aas und besonders gern Honig. Fehlt ihm diese Kost, so stellt er dem Wilde, Schafen, Ochsen und Pferden nach. Er greift den Menschen meist nur an, wenn er gereizt wird; äußerst gefährlich ist aber die Bärin, wenn ihren Jungen Gefahr droht. Er lebt still und einsam und nur während der Paarungszeit mit der Bärin zusammen. Im 5. Jahre paart er sich im Mai oder Juni; im Januar wirft die Bärin in ihrem Winterlager 1–3 Junge von der Größe eines Meerschweinchens, die 3 Monate saugen. Man hat Bären 50 Jahre in der Gefangenschaft gehalten, und eine Bärin zu Bern bekam noch im 31. Jahre Junge. Mit Eintritt strengerer Kälte legt sich der B., der um diese Zeit meist sehr fett ist, in einem hohlen Baum oder in einem Felsenloch schlafen. Der B. hat musikalischen Sinn, er hält den Takt genau ein. Im allgemeinen aber ist er dumm, gleichgültig und träge; er verläßt sich auf seine gewaltige Kraft, entwickelt aber nie die gierige Mordlust andrer Raubtiere. In der Gefangenschaft bleibt er immer grob und gefährlich. Die Bärenjagd ist nur für ruhige, sichere Jäger gefahrlos. Das Fleisch des jungen Bären ist schmackhaft; geräucherte Bärenschinken und Bärentatzen gelten als Leckerbissen. Sonst wurden Fett und Galle arzneilich benutzt. Der Pelz ist sehr geschätzt (vgl. Bärenfelle). Zähnen und Klauen werden in Rußland geheime Kräfte beigelegt. Früher hat der B. wohl ganz Europa bewohnt; jetzt findet man ihn nur noch auf den Pyrenäen, Alpen, Karpathen, in Ungarn, auf den Abruzzen, dem Balkan, im Skandinavischen Gebirge, Kaukasus, Ural, in Rußland, Nord- und Mittelasien, Syrien, Palästina, Tibet. In Savoyen, Tirol, im bayrischen Hochland, bei Salzburg und in Kärnten kommen jetzt noch Bären vor, doch kaum als ständige Bewohner. Die Bären, die bei uns als Tanzbären herumgeführt werden, stammen in der Regel aus den Alpen oder den Karpathen. Auf dem Thüringer Wald ist der letzte in der Mitte des 18. Jahrh. erlegt worden; bei Traunstein in Bayern ward noch 1835 einer geschossen.

Bei den Griechen war der B. als das stärkste Tier des Waldes der Waldgöttin Artemis heilig (vgl. Bachofen, Der B. in den Religionen des Altertums, Basel 1863). Im altdeutschen Tierepos erscheint er als der König der Tiere, und der altnordische, slawische und finnische Volksglaube feiert ihn als ein heiliges Wesen, dem menschlicher Verstand und die Stärke von zwölf Männern innewohne. Er heißt Waldkönig, Goldfuß, Honighand etc., aber auch der alte Großvater etc. Als Symbol der Stärke war er dem Gotte Thor geweiht, der selbst den Namen B. (Biörn) führte. Bärenblut war der Trunk der Helden. In den altdeutschen Namen spielt der B. eine große Rolle (Bernhard, Bernold, Berengar, Bernswind u. a.), nicht minder als Wappentier in der deutschen Heraldik (Wappen von Berlin, Bern, Bernburg etc.). Die Bärenjagd gehörte im Mittelalter in Deutschland und Frankreich zu den ritterlichen Übungen; später ließ man gefangene Bären mit großen Hunden kämpfen, und die Fürsten pflegten die von den Hunden festgemachten Bären selbst abzufangen. In Paris hetzte man noch zu Anfang des 19. Jahrh. angekettete Bären mit Hunden, und in Madrid ließ man noch in der neuesten Zeit Bären mit Stieren kämpfen. Auch im Altertum fand man an Bärenkämpfen Gefallen; Kaiser Gordian brachte an Einem Tage an 1000 Bären in die Arena. Diese Bären erhielten die Römer hauptsächlich vom Libanon (nicht aus Nordafrika).

Der syrische B. (U. syriacus Hpr. et Ehrb.) hat eine Art Mähne, ist in der Jugend graubraun, im Alter fast rein weiß und bewohnt das gebirgige Palästina, besonders den Libanon und Syrien. Diese Art ist der V. der Bibel und ohne Zweifel auch dec weiße B. der Römer. Der Baribal (Muskwa, Schwarzbär, U. americanus Pall.), 2 m lang bei etwa 1 m Schulterhöhe, ist schwarz, an beiden Seiten der Schnauze fahlgelb. Er bewohnt ganz Nordamerika, nährt sich vorzugsweise von Vegetabilien, verfolgt aber auch das Herdenvieh. Seine Jagd gilt wegen der großen Lebenszähigkeit des Tieres als sehr gefährlich. Die Indianer haben feierliche, einer gottesdienstlichen Verehrung ähnliche Gebräuche zur Versöhnung des erlegten Bären. Der Grislybär (Ephraim der amerikanischen Jäger, U. ferox Lew. et Clarke), bis 2,5 m lang und 350–450 kg schwer, hat bis 13 cm lange, sehr stark gekrümmte, weißliche Krallen. Das lange, zottige, verworrene Haar ist dunkelbraun, an der Spitze heller, das Kopfhaar ist kurz und sehr hell. Er bekämpft selbst den Büffel und fällt den Menschen an, ohne von ihm gereizt zu sein. Er bewohnt Nordamerika bis 61° nördl. Br. und lebt vorzugsweise von Fleisch. Die Indianer preisen die Erlegung des Grisly bären als Heldentat, und der glückliche Jäger trägt die Klauen als Halsband. Dem toten Tiere erweisen sie die größte Ehrfurcht. Das Fleisch ist genießbar, der Pelz sehr geschätzt. Der Kragenbär (Kuma, U. torquatus Wagn., Tafel I, Fig. 1) ist dem Baribal ähnlich, glänzend schwarz, an den Schnauzenseiten rötlich, auf der Brust mit einem gabelförmigen Fleck, dessen Stiel bis zur Mitte des Bauches sich verlängert. Er bewohnt Südasien, China und Japan, lebt hauptsächlich auf Bäumen, plündert Weingärten und Maisfelder und vergreift sich nur in der Not an Kleinvieh. Der Lippen- oder Rüsselbär (Melursus labiatus Desm., Tafel I, Fig. 2) ist 1,8 m lang und 0,9 m hoch, mit 10 cm langem Schwanz, ungeheuern Krallen, vorgezogener Schnauze und sehr beweglichen, dehnbaren Lippen, die eine förmliche Saugröhre bilden können. Er ist schwarz bis auf einen herz- oder hufeisenförmigen weißen Brustfleck, bewohnt die Gebirge Südasiens und Ceylons, nährt sich hauptsächlich von Pflanzenstoffen und Honig, Ameisen, Termiten etc. und richtet in den Pflanzungen oft großen Schaden an.

Der Eisbär (Polarbär, U. maritimus L., s. Tafel I und Tafel »Arktische Fauna«, Fig. 1) wird 2,7 m lang und bis 1000 kg schwer, seine starken Zehen sind durch Spannhäute fast bis zur Hälfte miteinander verbunden und tragen mittellange, krumme Krallen. Der Schwanz ragt kaum aus dem langen, zottigen, weißlichen Pelz hervor. Er lebt in der ganzen Polarzone, ist häufig an der Ostküste von Amerika, um die Bassin- und Hudsonbai herum, in Grönland und Labrador, auf Spitzbergen, Nowaja Semlja und geht selten nach S. über den 55.° nördl. Br. hinaus. Er nährt sich von Seehunden und Fischen, greift Landtiere nur in der Not an und behelligt nicht leicht die Haustiere. Seine Bewegungen sind plump, doch schwimmt er schnell und ausdauernd viele Meilen weit und greift den Menschen auf dem Lande wie in Booten und Schiffen an. Im Winter lebt er meist auf dem Treibeis. Die trächtigen Bärinnen werfen in den kältesten Monaten 1–3 Junge, die sie mit der größten Aufopferung verteidigen. Die Eisbärjagd, von den nordischen Völkern mit Leidenschaft betrieben, ist höchst gefährlich. Das Fleisch ist genießbar; das Fett wird als Nahrungsmittel wie als Brennmaterial benutzt; aus den Sehnen macht man Zwirn u. Bindfaden; der Pelz dient zu Fußteppichen und Schlittendecken.

Reste des Höhlenbären (U. spelaeus Rosenm.) finden sich in diluvialen Bildungen, am häufigsten und oft massenhaft in den Knochenhöhlen Deutschlands, Frankreichs und Englands. Schädel, s. Tafel »Diluvium II«, Fig. 7. Deutliche Vertreter des Bärengeschlechts enthält das Oligocân, die auf Cynodon im Obereocän und die nordamerikanische Gattung Uintacyon hindeuten.

Die Katzenbären (Ailurinae) haben mehr oder weniger katzenartige Füße, deren Sohlen behaart und deren Krallen ein wenig zurückziehbar sind. Der Panda (Himalaja-Raccoon, Ailurus fulgens F. Cuv., Tafel II, Fig. 1), 50 cm lang, mit 35 cm langem Schwanz, rundlichem, kurzem Kopf, kleinen Ohren, oberseits dunkelrot, auf dem Rücken goldgelb angeflogen, unterseits schwarz, mit langen weißen Wangenhaaren und undeutlich geringeltem Schwanz, lebt im Himalaja, hauptsächlich auf Waldbäumen, und nährt sich wesentlich von Pflanzenstoffen. Der Binturong (Arctitis Binturong Temm., Tafel II, Fig. 4), 80 cm lang, mit 75 cm langem Wickelschwanz, gleicht einer Schleichkatze, ist gestreckt gebaut, mit kurzer, spitzer Schnauze, nackten Sohlen und Haarpinsel auf den Ohren; das lange Haar ist schwarz, an Ohrenrändern und Augenbrauen weißlich. Er findet sich in Hinterindien, auf Borneo, Java, Sumatra, führt ein nächtliches Leben, besonders auf Bäumen, bewegt sich langsam mit Hilfe seines Schwanzes und frißt hauptsächlich Pflanzenkost. Die Waschbären (Procyoninae) haben einen gedrungenen Körper, mittellange Gliedmaßen, stumpfe, nicht zurückziehbare Krallen und einen langen Schwanz. Hierher gehören der Waschbär (s. d.) und die Nasenbären (s. d.) mit dem Weißrüsselbär. Vgl. Krementz, Der B. (Berl. 1888).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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