- Labradōr
Labradōr, die zu Britisch-Nordamerika (s. die Karte bei »Kanada«) gehörige größte nordamerikanische Halbinsel, zwischen 50°30´-62°30´ nördl. Br. und 56–79° westl. L., vom Lorenzgolf nebst der Belle Isle-Straße, vom Atlantischen Ozean, von der Hudsonstraße und von der Hudson-nebst Jamesbai umgrenzt, im S. aber mit dem Festlande von Quebec und Ontario verwachsen, hat 5500 km Küstenlänge und 1,380,000 qkm Fläche, wovon 310,000 qkm auf den kleinern östlichen, Neufundland unterstellten Teil und 1,070,000 qkm auf den größern östlichen Teil entfallen, der als Ungava einen Distrikt von Kanada bildet. Das erst neuerdings, besonders durch A. J. Low und V. Eaton besser bekannt gewordene Land ist im wesentlichen eine gleichförmige Platte aus Gneis, Granit und Quarzitfels, die sich in dem im SO. gelegenen Rücken der sogen. »Heights of Land« gegen 750 m, in der durch die Ungava-Bai abgegliederten nordwestlichen Teilhalbinsel 600 m, am Michikamau-See, im NO., 503 m und am Kaniapiskau-See, nahe der Mitte, 564 m ü. M. erhebt. Hohes wildzackiges Gebirge, das mit dem Namen »Torngat Mountains« (»Gebirge des bösen Geistes«) bezeichnet wird, begleitet nur die Nordostküste und erreicht zwischen Hebron und Kap Chidley 2700 m, weiter südlich (als Kiglapait- und Kaumajet Mountains) 1200 m, ist aber nirgends mit ewigem Schnee oder mit Gletschern bedeckt. Die Gegend zwischen der Ungava-Bai und dem Richmond-Golf der Hudsonbai, in der die kambrische Formation vorherrscht, enthält zahlreiche Diabasdämme und Eisenerzlager. Die Oberfläche zeigt fast allenthalben die Spuren der einstigen, erst unlängst gewichenen Vergletscherung: kahle, gerundete Felsrücken mit reichlichen Gletscherschrammen, zahllose Findlingsblöcke von riesiger Größe, kleine Linsenhügelgebirge (Drumlins) und eisenbahndammartige Aufschüttungen (Eskers) aus Gletscherschutt, beträchtliche Anhäufungen von Blocklehm (boulder clay) und Geschiebemergel (till) in den Tälern. Auch der Charakter der Flüsse hängt damit zusammen. Auf der innern Hochfläche haben die Flüsse auf weiten Strecken keine wirklichen Täler und Betten, weil ihnen zum Eingraben seit dem Schwinden der Eisbedeckung noch nicht hinreichend Zeit gegeben war. Das abfließende Wasser irrt zwischen den niedrigen Felsenrücken hin und her, staut sich vieltausendfach zu Seen und Sümpfen (muskegs) und stürzt in Gestalt zahlloser Schnellen und Wasserfälle von einer Stufe zur andern. Auch die Wasserscheiden sind wenig streng. Im Kaniapiskau-See ist eine solche beispielsweise zwischen Ungava-River und Lorenzstrom (dem Manicuagan) nicht vorhanden. Sehr stark ist das Gefälle der Ströme und ihre ausfeilende Wirkung am Rande des Hochlandes, vor allem im ganzen Osten, wo sie fast sämtlich hohe und zum Teil prächtige Wasserfälle bilden und dann durch enge Schluchten dem Meere zueilen; so der Manicuagan, Moisie, Romaine und Nataschkwan zum Lorenzgolf und der Hamilton mit seinen 90 m hohen Großen Fällen (»Grand Falls«), seiner 450 km langen Cañonschlucht und seiner Erweiterung zum Melville-See und Hamilton-Fjord zum Atlantischen Ozean. Der Ungava River oder Koksoak (s. d.), der bei Fort Chimo ebenfalls ein enges Felsental bildet, ist mit 150,000 qkm Flußgebiet der Hauptstrom von L. Unter den Strömen der Westabdachung (des sogen. East Main, s. d.) sind der Kogaluk, Nastapoka (aus dem Untern Seal-See), Clearwater (aus dem Clearwater-See), der Kleine Whale (aus dem Obern Seal-See), der Große Whale (aus dem Apiskigamish-See), der Big River, der East Main River (aus dem Naskokan-See) und der Rupert River (aus dem großen Mistassini-See) hervorzuheben. Die Seen nehmen nach Low ein volles Viertel der Halbinselfläche, nämlich 350,000 qkm, ein.
Die von vielen wilden Stürmen und von einer starken Brandung gepeitschte Nordostküste ist von zahlreichen Fjorden (oder Inlets) zerschnitten (Sandwichbai, Hamilton-Inlet, Kaipokok-, Hopedale-, Ford-, Okkak-, Nachvak-Fjord u.a.), ohne daß dadurch wirkliche Zugänge in das Innere gegeben wären. Hieraus erklärt es sich auch, daß diese Küste mit ihren wichtigen Fischereiinteressen politisch zu Neufundland gehört.
Das Klima ist durch den Einfluß der kalten Meere, welche die Halbinsel umfluten, insbes. der kalten Labradorströmung, überaus rauh und unwirtlich. Rama, unter 58°54´ nördl. Br., also südlicher als Stockholm, hat eine mittlere Jahrestemperatur von -5°, eine Januartemperatur von -20,6° und eine Julitemperatur von +8,1° (ungefähr wie der April in Norddeutschland). Im N. schmelzen Eis und Schnee erst im Juni, um sich bereits im Oktober andauernd von neuem zu bilden; auch Juli und August bringen harte Frostnächte. Low erlebte bei Fort Chimo 8. Aug. 1896 die Bildung einer viertelzölligen Eisdecke, und die Schiffahrt findet an diesem Punkt erst um den 20. Juli ein eisfreies Fahrwasser, während der Winter bisweilen -54° bringt. Bei Fort Mistassini, im äußersten Süden, treten im Sommer, entsprechend der kontinentalen und südlichen Lage (unter 50°30´ nördl. Br.), Temperaturen bis 30° auf, im Winter sinkt das Thermometer aber auch dort auf -49°. Die Regenmenge wird für Rama auf 840 mm angegeben. Den größern Teil von L. bedeckt subarktischer Wald, mit dichten Beständen von Schwarz- und Weißfichten (Picea nigra und P. alba), Balsamtannen (Abies balsamea), Lärchen (Larix americana), Weißzedern (Thuja occidentalis) und Strauchkiefern (Pinus banksiana), denen sich Birken (Betula papyrifera), Balsam- und Zitterpappeln (Populus balsamifera und P. tremuloides), Erlen (Alnus viridis) und Wildkirschen (Prunus pennsylvanica, bis 55° nördl. Br.) beimischen, ebenso vielfach ein dichter Unterwuchs von Rhododendron-, Kalmien-, Heidelbeer-, Preißelbeer- und Sumpfbeersträuchern. Weiden gibt es im äußersten Nordosten noch neun Arten. Im allgemeinen beschränkt sich der Wald aber nördlich vom 55.° nördl. Br. auf die günstigern Standorte an den Seen und Strömen, während die Bergrücken, so auch das hohe Gebirge im NO., kahl sind, und die nordwestliche Teilhalbinsel weite »Barren Grounds« (s. d.) enthält. Unter Warmbeetschutz kultiviert man noch bei Nain und Fort Chimo Kohl, Rüben, Kartoffeln, während bei Fort George, an der Jamesbai und bei Fort Mistassini Kartoffeln, Gerste und Hafer im Freien gezogen worden sind. Fröste haben die Ernte aber auch in der letztern Gegend öfters schwer geschädigt. Ein eigentliches Ackerbauland wird L. also selbst in der begünstigtsten Gegend schwerlich werden können.
Die Tierwelt ist normal nearktisch, bez. holarktisch. Den Norden bevölkern Renntierherden, Polarhasen, Polarfüchse, Schneehühner, der Moschusochse fehlt aber. Auch der große braune Bär (Ursus arctos) und die Wolverene dringen bis in die »Barren Grounds« vor, die übrigen Pelztiere gehen aber nur bis zur Waldgrenze, an der Südseite der Ungavabai. Der Fischmarder (Mustela canadensis) scheint sich auf die Gegend der Jamesbai zu beschränken, bis wohin vom N. her auch der Eisbär seine Streifzüge unternimmt. Merkwürdig ist das Vorkommen des Seehundes in verschiedenen nordwestlichen Süßwasserseen. Sehr groß ist allerwärts die Zahl der Wildgänse, Enten, Wasserhühner sowie der Fischreichtum der Seen und Ströme und das Heer der Moskitos und Fliegen. Die Fjorde wimmeln von Stockfischen, Heringen, Makrelen, Hummern, Seehunden, deren Fang die wichtigste Hilfsquelle bildet.
Die Gesamtbevölkerung von L. veranschlagt R. Bell für 1895 auf 18,500, d.h. auf einen Kopf für je 75 qkm. 13,500 sind Weiße, 3000 Algonkinindianer (Naskapis und sogen. Montagnais) und 1500 Eskimo. Dazu kommen in der Fischereijahreszeit (Juni bis September) an der Nordostküste etwa 30,000 Fischer aller Nationen, die sich an geeigneten Punkten ihre Sommerstationen errichten. Die baskischen, bretonischen und normannischen Fischer gingen hier bereits in den ersten Jahren des 16. Jahrh. ihrem Fange nach. Die Herrnhuter Missionare gründeten aber ihre Station Nain 1771, Okkak 1776, Hopedale 1830, Hebron 1830, Zoar (das wieder aufgegeben wurde) 1830, Rama 1871 und Makkovik 1897. Die Pelztierjagd und der Pelzhandel waren auch in L. das Monopol der Hudsonbaigesellschaft. Ihre befestigten Handelsposten sind die einzigen weißen Siedelungen an der West-, Nord- und Südostküste und im Innern, so namentlich Rupert House, East Main Fort und Fort George an der Jamesbai, Fort Chimo an der Koksoakmündung (seit 1827), Fort Mingan am Lorenzgolf, Fort Nichicun und Fort Mistassini an den gleichbenannten Seen. Zu einem kleinen Örtchen von gegen 1200 Seelen ist nur Rigolet, an der Mündung des Hamilton River, gediehen.
L., den alten Normannen als Helluland (»Steinland«) bekannt, das Leif, Sohn Eriks des Roten, um das Jahr 1000 entdeckte, wurde 1498 von Sebastian Cabot wieder entdeckt und erhielt 1501 von dem Portugiesen Gaspar Cortereal (?) den ganz unpassenden Namen Terra labrador (»Ackerland«). Hudson umsegelte 1610–11 die Halbinsel bis zur Jamesbai, das Innere wurde aber erst durch die Beamten der Hudsonbaigesellschaft in seinen allgemeinen Charakterzügen bekannt. Gründlicher erforschte dann den westlichen Teil Robert Bell (1875 bis 1877, 1880 und 1884–85), das Innere und den Norden aber A. P. Low (seit 1877) und V. Eaton, daneben Hind, Stearns, Peck, Packard, Bryant. Hite. Vgl. Hind, Explorations in the interior of L. Peninsula (Lond. 1867, 2 Bde.); Stearns, L., a sketch of its peoples, its industries, etc. (Boston 1885); Packard, L. coast, a journal of two summer cruises (New York 1891); Grenfell, Vikings of to-day (Lond. 1895); »Geological map of L.« (4 Blatt in 1: 1,584,000,1896).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.