- Orléans [3]
Orléans (spr. -ang), Name mehrerer Zweige des französischen Königshauses, deren zwei den Thron Frankreichs bestiegen, von der Grafschaft, dem spätern Herzogtum O., herrührend, das seit 1344 von den Königen aus dem Hause Valois, dann den Bourbonen wiederholt jüngern Söhnen als Apanage verliehen wurde. Der erste Herzog von O. war Philipp, vierter Sohn des Königs Philipp VI. (1344–75). Da er kinderlos starb, so verlieh nach dem Tode seiner Witwe Karl VI. das Lehen 1392 an seinen jüngern Bruder,. Ludwig I., Grafen von Valois, geb. 13. März 1372, gest. 23. Nov. 1407, den Begründer der Linie O.-Valois. Dieser, ein schöner, geistvoller und begabter, aber durchaus liederlicher und gewissenloser Fürst, Führer des französischen Adels, ward durch die Gunst der Königin Isabeau 1404 zum Reichsverweser an Stelle des erkrankten Königs Karl VI. ernannt, erregte aber durch drückende Steuern und verschwenderisches Hofleben die Unzufriedenheit des Volkes, an dessen Spitze sich der von Ludwig persönlich beleidigte Herzog Johann von Burgund stellte, der den Herzog von O. in Paris ermorden ließ. Aus des letztern Ehe mit Valentine Visconti stammten fünf Söhne und drei Töchter; ein unehelicher Sohn O.' war der Graf von Dunois, auch Bastard von O. genannt, welcher der Stifter des Hauses Dunois und Longueville (s. d.) wurde. Vgl. Jarry, La vie politique de Louis de France, duc d'O. 1372–1407 (Par. 1889). – Ludwigs ältester Sohn, Karl, Graf von Angoulême, dritter Herzog von O., geb. 26. Mai 1391 in Paris, gest. 4. Jan. 1465, vermählte sich zuerst mit Isabella, der Witwe Richards II. von England, dann mit der Tochter des Grafen von Armagnac. Er trat an die Spitze der Adelspartei der Armagnacs, um den Tod seines Vaters zu rächen, trieb aber hierdurch den Herzog von Burgund zum Bündnis mit England. In der Schlacht von Azincourt geriet er in die Gefangenschaft der Engländer (1415), aus der er erst nach 25 Jahren zurückkehrte. Hierauf vermählte er sich mit der Nichte des Herzogs von Burgund, Maria von Kleve, und lebte auf seinem Schloß zu Blois in dichterischer Muße. Ausgaben seiner Gedichte besorgten Guichard (Par. 1842), Champollion (das. 1842) und Héricault (das. 1874, 2 Bde.). Vgl. Beaufils, Étude sur Charles d'O. (Par. 1861). – Sein Sohn Ludwig. aus der dritten Ehe, bestieg 1498 nach Karls VIII. Tod unter dem Namen Ludwig XII. den Thron von Frankreich und vereinigte die sämtlichen Besitzungen des Hauses O. wieder mit der Krone. Sein Schwiegersohn und Erbe, König Franz I., gab das Herzogtum O. zuerst seinem zweiten Sohn, der als Heinrich II. zur Krone gelangte, und dessen jüngere Söhne es nacheinander besaßen, bis auf Heinrich III., der 1589 starb und das Geschlecht der Valois beschloß.
König Ludwig XIII. aus dem Hause Bourbon gab 1626 das Herzogtum O. und die Grafschaft Blois seinem Bruder Jean Baptiste Gaston (s. unten: Orléans 1), geb. 25. April 1608 in Fontainebleau, gest. 2. Febr. 1660, bei Gelegenheit von dessen Vermählung mit Maria von Montpensier als Aussteuer. Das 1660 erledigte Herzogtum O. verlieh Ludwig XIV. seinem einzigen Bruder, Philipp, früher Herzog von Anjou, geb. 21. Sept. 1640 in St.-Germain, gest. 9. Juni 1701 in St.-Cloud, dem Stammvater des noch blühenden Hauses Bourbon-Orléans (s. unten: Orléans 2). Sein Nachfolger im Besitz des Herzogtums O. war Philipp II., bis dahin Herzog von Chartres, geb. 4. Aug. 1674 in St.-Cloud, gest. 2. Dez. 1723 (s. Orléans 3). Herzog von O. wurde nach Philipps II. Tod sein Sohn Ludwig, geb. 4. Aug. 1703 in Versailles, gest. 4. Febr. 1702. Er vermählte sich 1724 mit der Prinzessin Auguste Maria von Baden und zog sich nach deren Too (1726) in die Abtei Ste. – Geneviève zurück, wo er sich gelehrten Studien widmete. Ihm folgte sein Sohn Ludwig Philipp, geb. 12. Mai 1725, gest. 18. Nov. 1785. Er widmete sich dem Kriegsdienst, nahm 1742–44 an den Feldzügen in den Niederlanden teil und ward 1744 Generalleutnant, 1752 Gouverneur des Dauphiné. Nach det. Tode seiner Gemahlin, der Prinzessin Luise Henriette von Bourbon-Conti (1759), zog er sich auf sein Landgut zu Bagnolet zurück, wo er seine Zeit im Umgang mit Künstlern und Gelehrten und mit Theateraufführungen hinbrachte. Er war der erste in Frankreich, der seine Kinder impfen ließ. 1773 verheiratete er sich mit der Frau von Montesson. Sein Sohn war Ludwig Philipp Joseph, geb. 13. April 1747 in St.-Cloud, gest. 6. Nov. 1793 (s. Orléans 4). Aus seiner Ehe mit der Prinzessin Luise Maria Adelaide von Penthièvre entsprangen: Ludwig Philipp (s. Ludwig 39), der spätere König der Franzosen, der nach seines Vaters Tode den Titel eines Herzogs von O. annahm; Anton Philipp, Herzog von Montpensier (s. d. 3); Alfons Leodegar, Graf von Beaujolais, geb. 1779, gest. 1808 in Malta; Maria Adelaide Eugenie Luise, Mademoiselle d'O., geb. 23. Aug. 1777, gest. 31. Dez. 1847 (s. Adelheid 2).
Der Ehe des Königs Ludwig Philipp von O. mit der Prinzessin Maria Amalie von Sizilien entsprangen acht Kinder (s. Tabelle B der »Verzweigungen des bourbonischen Hauses« bei Artikel »Bourbon«), von denen der älteste Sohn, Ferdinand, geb. 3. Sept. 1810 in Palermo, gest. 13. Juli 1842, nach seines Vaters Thronbesteigung (1830) Herzog von O. und Kronprinz von Frankreich wurde (s. Orléans 5). Der Verlust dieses liebenswürdigen, freisinnigen Prinzen, der eine große Popularität genoß, war für das Haus O. ein schwerer Schlag. Aus seiner Ehe mit der Prinzessin Helene von Mecklenburg-Schwerin, geb. 24. Jan. 1814, gest. 18. Mai 1858 (s. Helene 1), entsprangen zwei Söhne: 1) Ludwig Philipp, Graf von Paris, geb. 24. Aug. 1838, gest. 8. Sept. 1894 zu Stowehouse in England, nach dem Tode seines Vaters bis 1848 der präsumtive Thronerbe, seit 1850 Haupt der Familie (s. Paris, Graf von), und 2) Robert, Herzog von Chartres, geb. 9. Nov. 1840 (seit 11. Juni 1863 vermählt mit Franziska, einer Tochter des Fürsten von Joinville), dessen älteste Tochter Maria 22. Okt. 1885 den Prinzen Waldemar von Dänemark heiratete. Sein ältester Sohn, Prinz Heinrich von O. (s. Orléans 6), machte sich als Forschungsreisender bekannt.
Die übrigen Söhne Ludwig Philipps sind: der Herzog Ludwig von Nemours (s. d.), der Prinz Franz von Joinville (s. d. 2), der Herzog Heinrich von Aumale (s. d. 4) und der Herzog Anton von Montpensier (s. d. 4). Seine älteste Tochter, Luise von O., geb. 3. April 1812, vermählt 1832 mit Leopold I., König der Belgier, starb 11. Okt. 1850. Die zweite Tochter, Maria von O. (s. Maria 24), geb. 12. April 1813, Gemahlin des Herzogs Alexander von Württemberg, starb 6. Jan. 1839. Die dritte Tochter, Klementine von O., geb. 3. Juni 1817, war 1842–81 mit dem Prinzen August von Sachsen-Koburg vermählt und ist Mutter des Fürsten Ferdinand von Bulgarien.
Nach der Restauration der Bourbonen 1814 erhielt auch Ludwig Philipp, der damalige Herzog von O., die immer noch ansehnlichen Trümmer seiner Familiengüter zurück. Die Privatgüter der Familie (200 Mill.) ließ Ludwig Philipp 7. Aug. 1830 vor seiner Thronbesteigung, damit sie nicht an die Krone fielen, durch eine gerichtliche Schenkungsakte auf seine Kinder übertragen und vermehrte sie durch spätere Schenkungen aus den Ersparnissen der Zivilliste ansehnlich. Indes 22. Jan. 1852 verhängte der damalige Präsident der Republik, Prinz Ludwig Napoleon, die Konfiskation der Güter der O.; doch betraf die Einziehung nur den sechsten Teil des Vermögens (50 von 300 Mill. Fr.). 1870 boten die Prinzen von O. der Regierung ihre Dienste für den Krieg mit Deutschland an, wurden aber sowohl vom Kaiserreich als auch von der Republik zurückgewiesen. Nach dem Frieden kehrten sie nach Frankreich zurück. Ihre Aussichten für die Wiedererrichtung eines orléanistischen Königtums waren nicht ungünstig, da bei den Wahlen zur Nationalversammlung nicht bloß eine bedeutende Anzahl Orléanisten, sondern auch zwei Prinzen, der Herzog von Aumale und der Prinz von Joinville, gewählt worden waren. Am 8. Juni 1871 wurde das Verbannungsdekret von 1848 gegen sie aufgehoben, im November 1872 auch das Konfiskationsdekret, und 40 Mill. wurden der Familie O. zurückgegeben. Der Eifer, womit die O. dies betrieben hatten, während das Land unter den finanziellen Lasten des unglücklichen Krieges schwer daniederlag, machte sie unpopulär. Nur in der konstituierenden Versammlung war ihr Anhang noch mächtig. Als Thiers sich nicht zu ihrem willenlosen Werkzeug hergeben wollte, stürzten sie ihn 1873 und suchten eine Fusion mit dem Grafen von Chambord zustande zu bringen. Dies scheiterte aber an der Halsstarrigkeit des Grafen Chambord und seiner Anhänger. Erst durch den Tod des Grafen von Chambord (24. Aug. 1883), mit dem die ältere Linie Bourbon erlosch, wurden die O. Erben von deren Thronansprüchen und der Graf von Paris Haupt des königlichen Hauses Frankreich (Maison royale de France). Deswegen wurden die O. 1883 nicht bloß aus dem aktiven Militärdienst entlassen, sondern auch ein Prätendentengesetz gegeben, auf Grund dessen der Graf von Paris, dann auch der Herzog von Chartres und der Herzog von Aumale im Juni 1886 aus Frankreich ausgewiesen wurden. Ganz unmöglich machten sich die O., als sie sich mit den Boulangisten verbanden (1888). Nur der Herzog von Aumale protestierte gegen dieses Bündnis und erhielt deshalb im März 1889 die Erlaubnis der Rückkehr nach Frankreich. Am 8. Sept. 1894 starb der Graf von Paris. Sein älterer Sohn, Ludwig Philipp von O., geb. 6. Febr. 1869 in Twickenham, führt den Titel eines Herzogs von O. und »Chefs des Hauses Frankreich« (s. Orléans 7) Vgl. Laurentie, Histoire des ducs d'O. (Par. 1832–34, 4 Bde.); Yriarte, Les princes d'O. (das. 1872); Gazeau de Vautibault, Les O. an tribunal de l'histoire (das. 1888–89, 7 Bde.); Laune, La fortune des d'O. (das. 1905).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.