Milben

Milben

Milben (Acarina), Ordnung der Spinnentiere (s. d.), kleine Tiere mit gedrungenem Körper, an dem nur selten noch die Grenze zwischen Vorder- und Hinterleib angedeutet ist, und der sowohl im äußern als innern Bau deutliche Zeichen der Reduktion erkennen läßt (s. Tafel »Spinnentiere«). Die vier Beinpaare enden meist mit zwei Klauen, sind aber häufig auch noch mit gestielten Haftnäpfen versehen; die Mundteile sind bei vielen M. zum Beißen, bei andern zum Stechen und Saugen eingerichtet. Die Augen sind klein oder fehlen. Der innere Bau ist sehr einfach. Herz und Blutgefäße fehlen gewöhnlich, ebenso häufig die Tracheen, so daß Hautatmung eintritt. Der Darmkanal besitzt Blindsäcke (Leberanhänge). Die Geschlechter sind bei den M. stets getrennt. Bei der Begattung halten sich viele Milbenarten mit Haftnäpfen, die in der Nähe der Geschlechtsöffnungen liegen, aneinander fest. Die Eier werden einzeln abgelegt (nur wenige M. sind lebendig gebärend); die Jungen (Larven) haben nur drei Beinpaare und machen mehrere Häutungen durch, bei denen die fehlenden Beine und die äußern Geschlechtsteile zum Vorschein kommen. Es kann auch ein Ruhe- (Puppen-) Stadium durchlaufen werden. Lebensweise und Nahrung der M. sind sehr verschieden; die meisten leben parasitisch an Pflanzen und Tieren und ernähren sich von deren Säften, andre streifen im Wasser oder auf dem Lande frei umher und leben von kleinern Tieren oder zeitweise als Schmarotzer. Oft wechseln parasitische und selbständige Ernährungsweise im Leben derselben Milbe, indem jene dem Larvenzustande, diese dem ausgebildeten Tier. eigentümlich ist, und umgekehrt.

Man teilt die sehr zahlreichen Arten der M. in zehn oder mehr Familien ein, von denen folgende wichtig sind: 1) Laufmilben (Trombididae), mit weichem Körper von lebhaften Farben; atmen durch Tracheen und leben frei an Pflanzen oder auf dem Boden. 2) Gallenmilben (Phytoptidae), erzeugen an Blättern durch Einstich Gallen. 3) Wassermilben (Hydrachnidae), atmen gewöhnlich durch Tracheen und leben meist im Süßwasser, selten im Meer. 4) Zecken (Holzböcke, Ixodidae), meist größere M. mit harter Haut, atmen durch Tracheen und leben von Wirbeltierblut (s. Zecken). 5) Tiermilben (Schmarotzermilben, Lausmilben, Gamasidae), atmen durch Tracheen und schmarotzen auf Insekten und Warmblütern. 6) Käsemilben (Tyroglyphidae), ohne Tracheen, leben auf und von Käse, Kartoffeln, Backwerk etc. 7) Krätzmilben (Sarcoptidae), gleich der vorigen und folgenden Familie tracheenlos, leben auf oder in der Haut von Warmblütern. 8) Haarbalgmilben (Demodicidae, Dermatophili), leben in den Talgdrüsen von Warmblütern.

Die Pflanzen- oder Laufmilben (Trombididae Leach), weichhäutig, lebhaft gefärbt, mit meist ungeteiltem Körper, klauen- oder stilettförmigen Kieferfühlern, kurzem, gedrungenem Kiefertasterpaar mit zwei scherenartig sich gegenüberstehenden Endgliedern, an denen das eine klauenförmig ist, langen, plumpen Lauffüßen, meist zwei Augen und Tracheenatmung, laufen auf der Erde und an Pflanzen; die sechsbeinigen Larven leben parasitisch von Pflanzensäften und vom Blut andrer Gliederfüßer. Die Samtmilbe (Erdmilbe, Glücksmilbe, Kochenillemilbe, Trombidium holosericeum L.), 2,25 mm lang, fast viereckig, hinten schmäler, samtartig scharlachrot, lebt auf Moos etc. und nährt sich von Räupchen etc.; die Larven leben parasitisch an Weberknechten, Blattläusen etc. Die viel größere Färbermilbe (T. tinctorium Fabr.) dient in Guinea zum Rotfärben. Die Milbenspinne (Spinnlaus, Spinnmilbe, Tetranychus telarius L.), 0,25 mm lang, orangegelb, sein behaart, gelblich, rot oder bräunlich, seitlich rostgelb gefleckt, besitzt Spinndrüsen, lebt unter einem mit diesen gefertigten Gespinstüberzug auf der Unterseite von Blättern und überzieht auch die Zweige mit glitzerndem Gespinst (s. Milbensucht). Auf Gewächshauspflanzen wird eigentümliches Ergrauen und Mattwerden der Unterfläche der Blätter vielleicht durch andre Arten hervorgebracht. Die Herbstmilbe (Gras-, Ernte-, Stachelbeermilbe, Leptus autumnalis Ant.), vielleicht die sechsbeinige Jugendform einer Tetranychusart, lebt von August bis Mitte Oktober als rotes Pünktchen an dürrem Gras, Getreidehalmen, Stachelbeerbüschen, bohrt sich gleich der Zecke in die Haut des Menschen, besonders der Feldarbeiter, lebt aber auch auf Hafen, Hunden, Katzen, Kaninchen, Mäusen und erzeugt heftiges Jucken und Fressen, Rötung, Quaddeln und Störung des Allgemeinbefindens. Zur Vorbeugung bestreicht man die Haut mit Vaselin, Befallene sollen nicht kratzen, zur Milderung des Juckreizes mentholhaltige Lösungen aufpinseln oder mit scharfen Karbolseifenlösungen waschen. – Von den Gallenmilben (Phytoptidae Leach) erzeugen mehrere Arten der Gattung Phytoptus auf Pflanzen gallenartige Mißbildungen, die sich meist durch einen Filz von fleischigen Haaren auf ihrer Oberfläche auszeichnen. Namentlich verursacht P. vitis Land. (s. Tafel »Spinnentiere II«, Fig. 9) Traubenmißwachs. Auf der Oberseite des Blattes entstehen eigentümliche Ausbuchtungen, die auf der Unterseite mit weißrötlichem Filz überzogen sind. Ähnliche Mißbildungen wurden früher für Pilzbildungen (Phyllerium, Erineum) gehalten. Über Klunkergallen auf Feldthymian s. Tafel »Gallen«, Fig. 20. – Die Wassermilben (Hydrachnidae Sund.), kugelig oder langgestreckt, oft lebhaft gefärbt, ungeteilt, mit zwei oder vier Augen, klauen- oder säbelförmigen Kieferfühlern, kurzem ersten Kiefertasterpaar an der Spitze mit seinen Endhaken oder Borsten, langen, von vorn nach hinten an Länge zunehmenden Schwimmfüßen mit breiten Hüftgliedern, zwei Fußklauen, langen Schwimmborsten, atmen durch Tracheen und leben meist in süßem Wasser am Boden zwischen Pflanzen. Die Larven schmarotzen an Wasserinsekten oder Muscheltieren. – Die Schmarotzer- oder Tiermilben (Gamasidae Gerst.), mit ungeteiltem Körper, scherenförmigen Kieferfühlern, freien Kiefertastern, gleichen, haarigen Beinen mit zwei Klauen und Haftscheibe, ohne Augen, leben auf der Körperoberfläche andrer Tiere, ohne sich festzusaugen. Die rotgelbe, 1,1 mm lange Käfermilbe (Gamasus coleoptratorum L.) lebt auf Käfern, besonders Mistkäfern und Totengräbern. Die 1,3 mm lange, gelbe Vogelmilbe (Hühnermilbe, Dermanyssus avium Dug.) schmarotzt auf Stubenvögeln, Hühnern und Tauben, geht auch auf den Menschen über und erzeugt unerträglich juckende Beulen. – Die Käsemilben (Tyroglyphidae Leach) sind langgestreckt, mit konischem, langem Rüssel, scherenförmigen Kieferfühlern und ziemlich langen, mit Klauen endenden Beinen. Hierher gehört die Käsemilbe (Tyroglyphus siro Gerv. und T. longior Gerv., s. Tafel »Spinnentiere II«, Fig. 11), 0,4 mm lang, gestreckt, zweiteilig, farblos, bewohnt alten, harten Käse, den sie in ein seines, aus ihren Exkrementen und Bälgen bestehendes Pulver verwandelt. Die Mehlmilbe (T. farinae Deg.). mit im vordern Teil nicht abgeschnürtem Körper, lebt in feuchtem, verdorbenem Mehl; Arten der Gattung Glycyphagus finden sich als weißer Beschlag auf getrockneten süßen Früchten und auf Kartoffeln, myriadenweise in kranken Kartoffeln. – Mehrere Tyroglyphiden, wie die Hausmilbe (Glycyphagus domesticus Geer), G. spinipes Koch u. a., können durch massenhaftes Auftreten in Wohnungen sehr lästig werden. Der Ausgangspunkt der Wohnungsverseuchung ist in der Regel das Polstermaterial von Möbeln, besonders Crin d'Afrique, Koir, Kapok, Sisal etc., auch Pferdehaare. Da die M. sehr widerstandsfähig sind, ist es sehr schwer, dieser Wohnungsplage Herr zu werden. – Die Krätzmilben (Sarcoptidae Leach) sind mikroskopisch klein, sehr gedrungen gebaut, oft stark borstenhaarig, ohne Augen u. Tracheen, mit verkümmerten oder kurzen Beinen, deren Endglied eine gestielte Haftscheibe oder lange Borste trägt; die Mundteile bestehen aus einem Saugkegel mit scheren- oder nadelförmigen Kieferfühlern und seitlich anliegenden Kiefertastern. Sie leben auf oder in der Haut warmblütiger Wirbeltiere und erzeugen Krätze oder Räude. Die Gattung Sarcoptes Latr. umfaßt Tiere mit dickem Hautpanzer. konischen Rückenpapillen, Dornen und Haaren, breitem, kurzem Rüssel, fünfgliederigen Beinen, von denen die beiden vordern überall, das letztere nur beim Männchen gestielte Haftscheiben besitzt, die beiden hintern beim Weibchen in eine lange Borste auslaufen. Die Männchen leben mehr oberflächlich auf der Haut; die Weibchen aber graben Gänge in die Oberhaut, an deren Enden sie sich aufhalten und ihre Eier ablegen. Alle Arten, die auf Tieren vorkommen, können auf Menschen übergehen und bei diesen Krätze erzeugen. S. scabiei Latr. (Acarus scabiei Fab., Krätzmilbe des Menschen, s. Tafel »Spinnentiere II«, Fig. 10), das Weibchen 0,5 mm, das Männchen 0,28 mm lang, mit länglichrundem Körper, lebt auch auf dem Pferde. dem neapolitanischen Schaf, auf Affen, Löwen, Lamas und wahrscheinlich auch auf der Ziege. Die Tiere bohren Gänge in die Oberhaut, die sie mit Eiern und Kotballen besetzen; am Ende des 1 cm langen Ganges sitzt das Weibchen, das nach dem Ablegen von etwa 50 Eiern stirbt. Die Jungen schlüpfen nach 4–8 Tagen aus und bohren, nachdem sie in 14–17 Tagen drei Häutungen durchgemacht haben, eigne Gänge. Die Männchen sterben bald nach der Begattung. S. minor Fürst., Weibchen 0,2 mm lang, erzeugt die Räude der Katzen und Kaninchen. S. squamiferus Fürst., ebenso groß, mit dreieckigen Schuppen auf dem Rücken, erzeugt die Räude des Hundes und Schweines und lebt auch auf Schaf und Ziege. Die Hühnermilbe (S. mutans Rob.) lebt unter der Hornbedeckung der Hühnerbeine und erzeugt die sogen. Fußräude oder Elefantiasis der Hühner, woran die Tiere bisweilen zugrunde gehen. Die Gattung Dermatodectes Gerl. umfaßt M. mit länglichrundem Körper, zwei hintern Fortsätzen, ziemlich langen Beinen, an denen das Endglied des dritten weiblichen Beinpaares zwei lange Borsten, das vierte nach der Begattung eine gestielte Haftscheibe trägt, die das Männchen an sämtlichen Beinpaaren besitzt. Sie leben auf der Haut, graben keine Gänge, stechen aber bis zur Lederhaut und saugen; für den Menschen sind sie meist ohne Gefahr. D. communis Zürn, Weibchen 1 mm lang, auf Schaf, Rind und Pferd, erzeugt Räude. Die Gattung Symbiotes Gerl. (Dermatophagus Fürst.) hat blasig aufgetriebene, kurzgestielte Samtscheiben und viel dickere, kürzere Scherenkiefer; die hierher gehörigen M. leben auf den Haustieren, benagen deren Oberhaupt und Haare und erzeugen auf dem Menschen höchstens einen leichten, schnell vorübergehenden Hautausschlag. S. bovis Zürn, Weibchen 0,5 nun lang, lebt auf Rind und Pferd. Die Hühnerfußmilbe (Dermatorhyctes), der Sarcoptes-Milbe sehr ähnlich, verursacht die Fußkrätze (Kalkbeine) der Hühner, wobei die Füße unförmlich verdickt werden und wie mit Lehm und Kalk überzogen erscheinen. – Die Haarbalgmilben (Balgmilben, Demodicidae Sim., Dermatophili Leach) sind langgestreckt, wurmähnlich, mit quer geringeltem Hinterleib, einem Saugrüssel mit Stilett, zwei Augenpunkten, mit vier Krallen bewaffneten Stummelbeinen; sie leben in den Talgdrüsen und Haarbälgen des Menschen und der Tiere. Demodex folliculorum Sim. (s. Tafel »Spinnentiere II«, Fig. 12) lebt zu je 2–4 in den Mitessern der Haut des Menschen, besonders im Gesicht, und veranlaßt unter Umständen Akne und Hautpusteln. Hund, Schwein, Katze, Schaf und Rind beherbergen ebenfalls Haarbalgmilben, die beim Hunde schwere Hautkrankheiten und Störung des Allgemeinbefindens verursachen. Die Hundemilbe geht auf den Menschen über und erzeugt einen stark juckenden, pustulösen Hautausschlag. Die Heilung durch Benzin-, Karbolsalbe, Ätzkalilauge gelingt nur in leichtern Fällen. Vgl. Pagenstecher, Beiträge zur Anatomie der M. (Leipz. 1860–61,2 Hefte); Gerlach, Krätze und Räude (Berl. 1857); Fürstenberg, Die Krätzmilben der Menschen und Tiere (Leipz. 1861); Zürn, Über M., die Hautkrankheiten bei Haustieren hervorrufen (Wien 1877); Haller, Die M. als Parasiten der Wirbellosen (Halle 1880); Heller, Die Schmarotzer (Münch. 1880); Piersig, Deutschlands Hydrachniden (Stuttg. 1897–99); Ludwig, Die Milbenplage der Wohnungen (Leipz. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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