Kiel [2]

Kiel [2]

Kiel (hierzu der Stadtplan, mit Registerblatt, und Karte »Kieler Hafen«), Stadt und Stadtkreis in der preuß. Provinz Schleswig-Holstein, im Hintergrunde des Kieler Busens (s. d.), 16 m ü. M., besteht aus der Altstadt, auf einer Halbinsel zwischen dem Kieler Busen und dem Kleinen K., und aus den freundlichen, in den letzten Jahrzehnten durch Eingemeindung mehrerer Vororte bedeutend vergrößerten neuen Stadtteilen.

Wappen von Kiel.
Wappen von Kiel.

Die Stadt hat 6 evang. Kirchen: die um 1240 erbaute, jetzt gründlich restaurierte Nikolaikirche mit hohem Turm, die Kloster- oder Heilige-Geistkirche, die 1886 vollendete Jakobikirche, die Ansgarkirche, 1902 vollendet, die St. Jürgenskirche, 1905 fertiggestellt, und eine in Gaarden; ferner eine Garnison- und eine kath. Kirche, eine apostolische, eine Baptisten- und eine Methodistenkapelle und eine Synagoge. Von sonstigen Bauwerken ist in erster Linie das königliche Schloß zu erwähnen, im 13. Jahrh. als Burg gegründet, auf deren Fundamenten 1580 ein Neubau errichtet wurde, der 1838 niederbrannte und dem jetzigen Bau Platz machte. Gegenwärtig ist das Schloß Residenz des Prinzen Heinrich von Preußen. Ferner sind zu nennen: das alte Rathaus, das Stadthaus (Verwaltungsgebäude), die Gebäude der Provinzialverwaltung, der Landesversicherungsanstalt und Landesbrandkasse, mehrere altertümliche Privathäuser, viele Villen mit freundlichen Gärten, das von Krupp errichtete großartige Logierhaus im Stadtteil Düsternbrook, für den Besuch in der Kieler Woche bestimmt, das Erholungshaus für die Mannschaften der Marine im Stadtteil Gaarden etc. Groß ist die Zahl der öffentlichen Denkmäler. Die Stadt besitzt ein Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (modelliert von Brütt) im Schloßgarten, ebendaselbst ein schönes Klegerdenkmal (von Siemering), ein Bismarckdenkmal (von Magnussen), ein Denkmal des Herzogs Friedrich (von Christensen) mit den Bildnissen der aus der schleswig-holsteinischen Befreiungsgeschichte bekannten Männer, ein Denkmal des 1897 auf der Elbe mit einem Torpedoboot untergegangenen Herzogs Friedrich Wilhelm von Mecklenburg, ein Denkmal des Großindustriellen Schweffel, ein Denkmal Krupps vor der von ihm geschaffenen Seebadeanstalt, im Garten der Marineakademie ein Denkmal des Großen Kurfürsten und Büsten des Prinzen Adalbert von Preußen und des Admirals Brommy, ein Denkmal des Komponisten Löwe (von Schaper) etc. Die Bevölkerung beläuft sich (1900) mit der Garnison (1. Matrosendivision, 1. Werftdivision, 1. Torpedoabteilung, ein Seebataillon und ein Infanteriebataillon Nr. 85) auf 107,977 Seelen, davon 100,754 Evangelische, 5896 Katholiken und 383 Juden. Industrie und Handel sind in stetem Aufschwung begriffen. Bedeutend ist besonders der Schiff- und Maschinenbau. Unter den Etablissements dieser Art sind besonders zu erwähnen: die kaiserliche Werft (7000 Arbeiter), die Germaniawerft (4000 Arbeiter) und die Howaldswerke (2600 Arbeiter). Sehr bedeutend ist die Mahl- und Ölmüllerei. Die Etablissements der Baltischen Mühlengesellschaft zu Neumühlen bei K. gehören zu den großartigsten derartigen Anlagen des Kontinents. Ferner hat K. bedeutende Bierbrauerei und Goldleistenfabrikation sowie Fabriken für Spiritus, Likör, Seife, Holzbearbeitung, Holzsägerei etc. Der Handel, unterstützt durch eine Handelskammer, 15 Konsulate fremder Länder, eine Reichsbankhauptstelle (Umsatz 1903: 1965,6 Mill. Mk.) und andre öffentliche Geldinstitute, erstreckt sich besonders auf die Einfuhr von Getreide, Kohlen, Baumaterialien, Vieh, Eisen, Stahl etc. und die Ausfuhr von Kohlen, Mehl, Bier, Getreide, geräucherten Fischen (Kieler Sprotten) u. dgl. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Straßenbahn. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Altona-K., K.-Ascheberg, K.-Flensburg und K.-Rendsburg sowie der Kleinbahn K.-Schönberg. Der Hafen, der beste der deutschen Ostseeküste (s. Kieler Busen), unterhält regelmäßige Dampfschiffsverbindungen mit Königsberg, Danzig, Stettin, Kopenhagen, Bremen etc. Von besonderer Bedeutung ist die Dampferverbindung K.-Korsör, die einen Hauptteil des deutsch-skandinavischen Verkehrs vermittelt. 1903 hatte die Stadt eine Handelsflotte von 86 Seeschiffen zu 42,438 Reg. –Ton., darunter 68 Dampfschiffe zu 39,314 Reg. –Ton. Der Schiffsverkehr bezifferte sich 1902 an angekommenen und abgegangenen Schiffen auf 7520 Seeschiffe zu 1,125,492 Reg. –Ton., darunter 4000 Dampfschiffe zu 923,200 Reg. –Ton. Unter den Bildungsanstalten steht die Universität (Christiana Albertina) obenan. Sie zählte im Wintersemester 1903/04: 118 Professoren und Dozenten und 876 Studierende. Dieselbe hat eine Bibliothek von über 240,000 Bänden (s. Tafel »Bibliothekgebäude II«, Fig. 4), ein Kunstmuseum, ein zoologisches Museum, ein Münzkabinett, Sammlungen von nordischen Altertümern, von Gipsabgüssen nach Antiken und Skulpturen von Thorwaldsen etc. Der Ausbildung im Seewesen dient die Marineakademie. An sonstigen öffentlichen Anstalten befinden sich dort: ein Gymnasium, ein Reformrealgymnasium mit Realschule, eine Oberrealschule, eine höhere Schiff- und Maschinenbauschule, eine landwirtschaftliche Versuchsstation, eine Gewerbe-, eine Post- und eine Musikschule, das Thaulow-Museum (Sammlung von schleswig-holsteinischen Schnitzwerken aus dem 15.–18. Jahrh.), Theater, Sternwarte, Blindenanstalt, mehrere gelehrte Gesellschaften und Vereine (Verein für Geographie und Naturwissenschaften, Gesellschaft für Sammlung und Erhaltung vaterländischer Altertümer, für vaterländische Geschichte, Landwirtschaftlicher Zentralverein, Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde, seit 1793), ein großes Militärlazarett, mehrere akademische Krankenhäuser, eine große Verpflegungsanstalt für arme Bürger und deren Witwen (»Stadtkloster« genannt, 1822 aus der Vereinigung von vier alten Klöstern gebildet), ein Damenstift etc. Von Behörden haben hier ihren Sitz: ein Medizinalkollegium, evang. Konsistorium, Oberlandesgericht (s. Tafel »Gerichtsgebäude I«, Fig. 8), Landgericht, Hauptzollamt, Oberpostdirektion, königliche Polizeidirektion, Landratsamt (für den Landkreis K.), Strandamt, die Provinzialverwaltung, Landesversicherungsanstalt und Landwirtschaftskammer der Provinz etc. Von militärischen Behörden befinden sich dort: das Kommando der Marinestation der Ostsee, die Kommandos der 1. Matrosendivision, der 1. Werftdivision und der 2. Festungsinspektion, die Inspektionen des Torpedowesens, der Marineinfanterie und des Bildungswesens der Marine, die Schiffsprüfungskommission, das Sanitätsamt der Marinestation der Ostsee, eine Kommandantur und der Stab der 9. Gendarmeriebrigade. Die städtischen Behörden zählen 12 Magistratsmitglieder und 30 Stadtverordnete. 1902/03 beliefen sich die ordentlichen Einnahmen der Stadt auf 9,112,211 Mk., die ordentlichen Ausgaben auf 8,482,957 Mk., die außerordentlichen Ausgaben auf 3,123,701 Mk., die Stadtschuld auf 22,2 Mill. Mk., das städtische Vermögen auf 43 Mill. Mk. Zum Oberlandesgerichtsbezirk K. gehören die 3 Landgerichte zu Altona, Flensburg und K., zum Landgerichtsbezirk K. die 22 Amtsgerichte zu Bordesholm, Bramstedt, Burg auf Fehmarn, Eckernförde, Gettorf, Heide, Heiligenhafen, Hohenwestedt, K., Lütjenburg, Lunden, Neumünster, Neustadt i. Holst., Nortorf, Oldenburg, Plön, Preetz, Rendsburg, Schenefeld, Schönberg, Segeberg und Wesselburen.

In sportlicher Beziehung hat K. seit ca. zehn Jahren als Pflegestätte des Segelsports eine große Bedeutung erlangt. Die Wettfahrten finden alljährlich im letzten Drittel des Juni in der sogen. Kieler Woche statt und werden vom kaiserlichen Jachtklub und dem Norddeutschen Regattaverein gemeinsam abgehalten (s. Segelsport). Weit über 100 deutsche und fremdländische Segel- und Dampfjachten stellen sich zu den Wettkämpfen ein, und wenn dann fast sämtliche unter Flagge befindliche Kriegsschiffe im Hafen anwesend sind, übt die Föhrde ihre größte Anziehungskraft auf einen von Jahr zu Jahr größer werdenden Strom von Fremden aus, namentlich da auch das Kaiserpaar an Bord der Hohenzollern regelmäßig anwesend ist. Der Klub zählt (1904) 1822 Mitglieder (darunter 39 Fürstlichkeiten) und 184 Jachten. Das Kruppsche Klubhaus (s. oben) dient in seinen untern Räumen dem allgemeinen Verkehr der Klubmitglieder.

In der nächsten Umgegend erregen die Kriegshafenanlagen (s. auch Tafel »Hafenanlagen«, Fig. 5) auf der östlichen Seite der Bucht das meiste Interesse. Sie bestehen aus der Schiffswerft für die kaiserliche Marine (mit zwei Bassins für Schiffbau und Schiffsausrüstung, jenes 219 m im Geviert mit anschließenden vier Trockendocks, dieses 288 m lang und 219 m breit, beide durch einen 63 m langen Kanal verbunden), den drei Hellingen (zum Ablaufen neugebauter Schiffe), den beiden großen Trockendocks (von je 140 und 175 m Länge und 30 m Breite), den Schwimmdocks, dem neuen 800 m langen und 300 m breiten Ausrüstungsbassin etc. Die Befestigungen des Kriegshafens, wegen deren K. zu den Festungen gehört, liegen meist an der Stelle, wo die Kieler Föhrde eine Einschnürung zeigt. Sie bestehen aus den beiden Forts Friedrichsort (s. d.) und Falkenstein auf der schleswigschen und mehreren Strandbatterien auf der holsteinischen Seite. K. besitzt endlich auch mehrere Seebadeanstalten und herrliche Spaziergänge, namentlich durch das städtische Gehölz Düsternbrook nach Bellevue. Weiter dienen Ellerbeck, das Schwentinetal (s. Schwentine), Knoop und Holtenau (s. d.) mit der Einfahrtsschleuse des Kaiser Wilhelm-Kanals (s. d.), Heikendorf und Labö an der Föhrde als Ausflugsorte. S. Karte »Kieler Hafen«.

Geschichte. K. (wahrscheinlich von dem altsächsischen Wort Kille, was einen sichern Platz für Schiffe bedeutete) kommt schon im 10. Jahrh. unter dem Namen Kyl vor und wird im 11. Jahrh. als Stadt erwähnt. Nachdem die Stadt 1072 von den Slawen zerstört worden, ward sie vom Grafen Adolf II. (gest. 1164) wieder aufgebaut. 1242 erhielt sie das lübische Stadtrecht. Zu Anfang des 14. Jahrh. gab ihr König Christoph 11. die Erlaubnis zum Stapel und Seehandel und 1318 Münzgerechtigkeit; das meiste zu ihrem Aufblühen trug aber Graf Adolf IV. bei, der nach dem Siege bei Bornhövede in K. seine Residenz aufschlug. Dessen Sohn Johann I. gründete die Linie Holstein-K. (s. Holstein, S. 485). 1284 trat die Stadt der Hansa bei; 1544 kam sie an Herzog Adolf zu Holstein-Gottorp, der sie im Flensburger Teilungsvertrag vom 12. Aug. 1581 an seinen Neffen, König Friedrich II., abtrat. Herzog Christian begründete 1665 daselbst eine Universität, die seinen Namen trägt. Seit 1721 war K. wieder Residenz der Herzoge von Holstein-Gottorp und Hauptstadt des großfürstlichen (russischen) Anteils von Holstein, bis es 1773 mit dem königlichen Anteil vereinigt wurde (s. Schleswig-Holstein [Geschichte]). Geschichtlich merkwürdig ist K. besonders durch den daselbst zwischen Dänemark und Schweden und zwischen Dänemark und Großbritannien 14. Jan. 1814 geschlossenen Kieler Frieden, in dem Dänemark Norwegen an Schweden, Schweden dagegen Schwedisch-Pommern an Dänemark abtrat. 1848–50 war K. der Sitz der provisorischen Regierung. Auch der Herzog Friedrich von Augustenburg residierte 1864–66 in K. Seit seiner Erhebung zum deutschen Kriegshafen nahm K. einen großartigen Aufschwung (s. oben). Vgl. Prahl, Chronika der Stadt K. (Kiel 1856); »Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte« (Heft 1–21, das. 1877–1904); Hasse, Kieler Stadtbuch 1264–1289 (das. 1875); Eckardt, Alt-Kiel in Wort und Bild (das. 1899); Erichsen, Topographie des Landkreises K. (das. 1898).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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