Hitzschlag

Hitzschlag

Hitzschlag, ein Komplex von Krankheitserscheinungen, der aufzufassen ist als eine schwere Störung der Wärmeökonomie des Körpers, derart, daß bei stark gesteigerter Wärmebildung die Verhältnisse der Wärmeabgabe sich ungünstig gestalten, so daß eine Wärmestauung und damit eine gefährliche Überhitzung des Körpers zustande kommt. Vom H. zu unterscheiden ist der Sonnenstich (s. d.), bei dem es sich um längere Einwirkung direkter Sonnenstrahlen auf das Gehirn handelt. Der menschliche Körper gibt die überschüssige Wärme, die er besonders durch Muskeltätigkeit produziert, und die bei stärkern Anstrengungen sehr bedeutend werden kann, einmal fortwährend durch Strahlung und Leitung und dann besonders durch Verdunstung des Schweißes, die, wenn ungehindert, eine fortwährende Abkühlung des erhitzten Körpers bewirkt, wieder ab. Das Maß der Wärmeabgabe wird in weiten Grenzen je nach dem augenblicklichen Bedürfnis durch sehr feinarbeitende nervöse Vorgänge geregelt, infolge deren die Haut mehr oder weniger blutreich, also wärmer oder kühler, von Schweiß befeuchtet oder trocken wird. Der H. entsteht nun, wenn bei starker Erhitzung des Körpers durch hohe Außentemperatur und starke Muskeltätigkeit diese Quellen der Abkühlung des Körpers behindert sind. Man beobachtet den H. der Natur der Sache nach am häufigsten bei Soldaten auf dem Marsch und bei Heizern, die in schlecht ventilierten Schiffsräumen der Glut des Feuers und der Außentemperatur bei angestrengter Arbeit ausgesetzt sind; auch bei Feldarbeitern tritt H. zur Sommerszeit auf; häufig unterliegen auch Tiere, wie Pferde, Kamele etc., bei Märschen dem H. Bei der Entstehung des Hitzschlages spielt die sogen. schwüle Luft bei bewölktem Himmel eine Hauptrolle, d. h. eine Luft, die warm und stark mit Wasserdämpfen gesättigt ist, wie das z. B. unmittelbar vor Gewittern der Fall ist. Eine solche wassergesättigte Luft ist für Schweißverdunstung ungünstig, da sie eben keine Feuchtigkeit mehr aufzunehmen vermag; dazu kommt dann oft Windstille, so daß die Abkühlung durch Verdunstung auf der Hautoberfläche auf ein Minimum reduziert wird. Unter solchen Verhältnissen kann z. B. die Körpertemperatur des Infanteristen bei anstrengenden Märschen mit Gepäck im Sommer bis zur Fiebertemperatur (39, ja 40 Grad) steigen. Diese Überhitzung wirkt sehr verderblich auf den Körper, namentlich auf das Zentralnervensystem; sie besteht oft noch stundenlang nach Entfernung der Schädlichkeiten, ein Zeichen, daß tiefergehende, z. T. noch unbekannte Störungen in den nervösen Zentren der Wärmeregulation vorliegen. Beim Fieber sind im Gegensatz zum H. diese Zentren zunächst gestört, während sie bei diesem zunächst leistungsfähig sind, aber auch bei äußerster Leistung der Ungunst der äußern Verhältnisse gegenüber erliegen. Ermüdete oder geschwächte Personen (z. B. durch Alkoholmißbrauch) verfallen dem H. besonders leicht; Mangel an Trinkwasser begünstigt denselben ebenfalls durch Beeinträchtigung der Schweißabsonderung.

Wird also bei Fortdauer der Körperanstrengung, bez. der Muskeln, die innere Körperwärme allmählich gesteigert, so stürzt schließlich der Kranke unter krampfartigem Stillstand der linken Herzkammer und starker Überfüllung aller venösen Blutgefäße des Körpers, wie vom Blitz getroffen, bewußtlos zusammen. Eine Reihe von Vorboten zeigt bei sorgsamer Beobachtung, besonders bei Truppenmärschen, die drohende Gefahr an. Der Kranke erscheint teilnahmlos, der vorher in Strömen ergossene Schweiß hört auf zu fließen, die Haut wird klebrig, allmählich wird der Gang unsicher, der Kranke taumelt umher, sieht gedunsen aus und stürzt schließlich, wenn nicht Hilfe kommt, wie oben geschildert, bewußtlos um. Meist liegt der Kranke mit geschlossenen Augen, tief schnarchend atmend, bewußtlos da, reagiert auf keinerlei äußern Reiz und preßt oft die Kinnladen krampfhaft gegeneinander (trismus), so daß es unmöglich ist, ihm Flüssigkeit zuzuführen Zuweilen treten allgemeine Krämpfe auf, und oft folgt rasch der Tod.

Die wichtigste Behandlung des Hitzschlages besteht in seiner Verhütung, also in Vermeidung von allem, was ihn herbeizuführen geeignet ist (wie Exzesse in Baccho et Venere); vielmehr ist zu halten auf frühes Schlafengehen am Tage vor anstrengendem Marsch, Einnehmen des gewohnten Frühstücks vor Antritt des Marsches, Beförderung der Schweißverdunstung (Kragen und obere Rockknöpfe öffnen), Marschieren in größern Abständen, wiederholte Halte, Vermeidung von Spirituosen während des Marsches, dagegen reichliche Wasserzufuhr, die auch bei stark erhitztem Körper nicht schadet, vorausgesetzt, daß das Wasser nicht ungewöhnlich (eis-) kalt ist und mit Pausen in kleinen Schlucken getrunken wird. Das Verlegen der Märsche in heißer Jahreszeit in die Nachtzeit ist unzweckmäßig, da der Mensch, der gewohnt ist, nachts zu schlafen, nicht auf einmal bei Tage, und noch dazu nicht an heißem Tage, schlafen kann. Eine Truppe, der man hintereinander Nachtmärsche zumuten wollte, wäre in wenigen Tagen erschöpft. Der vom H. Betroffene muß, wenn möglich, an einem schattigen Ort gelagert und des Gepäcks und der Kleider entledigt werden. Alsdann muß für Einverleibung von Wasser und für Abkühlung gesorgt werden. Man flößt dem Kranken Wasser ein, oder geht dies nicht, weil der Mund krampfhaft verschlossen, so gibt man Wasserklistiere oder spritzt Wasser unter die Haut ein. Um den Kranken abzukühlen, macht man, nachdem man ihn bis auf die Hosen entkleidet, die Körperoberfläche naß und verursacht durch Schwingen des Rockes über dem Kranken einen Luftzug. Gleichzeitig regt man die Herzkraft durch Ätherinjektion an, unter Umständen ist ein Aderlaß nützlich. Auch kann man den ganzen Körper in nasse Tücher schlagen, kalte Umschläge auf den Kopf machen und, wenn die Atmung stockt, die künstliche Atmung einleiten. Vgl. Jacubasch, Sonnenstich und H. (Berl. 1879); Hiller, Der H. auf Märschen (das. 1902).

H. bei Tieren kommt namentlich bei Pferden, aber auch bei wanderndem Herdenvieh vor, ebenfalls infolge beeinträchtigter Wärmeabgabe bei vermehrter Wärmebildung infolge großer Anstrengung. Die Symptome, die den H. vom Sonnenstich (s. d.) unterscheiden, sind: Mattigkeit, auffälliger Schweißausbruch, Atemnot, Schwanken, Taumeln, Niederstürzen und Zuckungen mit fieberhaft erhöhter Körperwärme. H. endet meist tödlich. Gegenmittel sind Lager im Schatten, Getränk, Ruhe, Abkühlung und belebende Mittel (Kampfer, Äther, Kaffein, Branntwein). Fette Schweine sterben sehr häufig plötzlich, wenn sie bei Hitze zu Fuß oder zu Wagen transportiert werden. Hier kommt zu der Aufregung, dem Schreien und Sträuben beim Verladen, resp. der ungewohnten Anstrengung des Fußmarsches neben der Wirkung der Hitze noch die Beschränkung der Wärmeabgabe durch den Hautspeck und die stets vorhandene Herzverfettung. Alle diese Umstände bedingen eine Herzlähmung, wie sie auch bei eigentlichem H. das Ende bildet.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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