- Erkältung
Erkältung, die Schädigung, die der Körper durch direkte Abkühlung, z. B. durch eine Durchnässung, oder durch Witterungseinflüsse erleidet. Zusammenwirken von Nässe und Kälte, naßkaltes Wetter also, und anderseits Bewegung der Luft (Zug, Zugwind) haben von jeher als schädlich gegolten. Es braucht aber keineswegs eine allgemeine Abkühlung herbeigeführt zu werden, vielmehr scheint gerade die nur einzelne Stellen treffende Kälte gern Erkältungskrankheiten im Gefolge zu haben (Kaltwerden der Füße, einzelne Partien der Körperfläche treffender Zugwind). Dabei ist von besonderer Wichtigkeit der Zustand des Körpers im Moment des Kälteangriffs. Es wird sich jemand, der aus dem Dampfbade kommt und sich unter eine kalte Dusche stellt, kaum je erkälten, trotz des jähen Wechsels der Temperatur. Dagegen haben Kältereize, die zu andauerndem Frösteln, zu anhaltender, unangenehmer Kälteempfindung führen, häufig eine Erkältungskrankheit zur Folge. Ein solcher Zustand ist aber dadurch bedingt, daß die durch den Kältereiz sich verengernden Gefäße der Haut abnorm lange Zeit verengert bleiben und sich nicht wie sonst wieder erweitern. Als Erkältungskrankheiten sieht man heute in erster Linie die katarrhalischen Entzündungen der Schleimhäute an (Schnupfen, Kehlkopfkatarrh, Luftröhrenkatarrh, Darm- und Blasenkatarrhe), ferner die sogen. rheumatischen Affektionen, mit Schmerzen verbundene Leiden der Muskeln, der Gelenke, der Nerven (Neuralgien), auch gewisse Formen von Lähmungen und Nierenentzündungen. Eine Reihe von Erkrankungen, wie Gelenkrheumatismus, Brustfellentzündungen, Lungenentzündungen, die man früher auf E. zurückführte, werden jetzt als durch Infektionen bedingt angesehen. Über das Wesen der E. sind die verschiedensten Theorien aufgestellt; man hat geglaubt, daß die Hautatmung behindert wäre, oder daß es sich um wirkliche erhebliche Wärmeverluste handle. Nach eiskalten Bädern hat man schwere Blutveränderungen (Hämoglobinämie) beobachtet. Aber solche durch forcierte Wärmeentziehungen erzeugten Veränderungen haben mit den Erkältungskrankheiten nichts gemein. Für das Zustandekommen der letztern muß man vielmehr Zirkulationsveränderungen annehmen. Ziehen sich die Hautgefäße zusammen, wie das bei der E. der Fall ist, so muß ein gewisses Quantum Blut nach andern Gebieten ausweichen, und reflektorisch erweitern sich andre Gefäßgebiete. Es besteht also ein gewisser Antagonismus zwischen den Gefäßen des Innern und der Haut. Man kann sich daher ganz gut vorstellen und z. T. auch beobachten, daß die Schleimhäute unter diesen Bedingungen blutreicher werden. Viele Forscher nehmen an, daß dieser vermehrte Blutreichtum zu stärkerer Flüssigkeitsabsonderung, kurz zu dem, was man Katarrh und katarrhalische Entzündung nennt, führe. Andre meinen, daß diese Umstände allein nicht zur Erklärung der entzündlichen Vorgänge genügten, sondern daß es sich regelmäßig um Infektionen handle, ebenso wie bei den früher zu den Erkältungskrankheiten gerechneten (s. oben), jetzt als Infektionen erkannten Krankheiten. Für diese Meinung spricht auch die Annahme Schenks, daß in kalter Luft befindliche Infektionskeime durch Thermotaxis nach dem warmen Körper, wie durch einen Magnet gezogen, hinstrebten. Man kann also annehmen, daß die durch die E. bedingten Zirkulationsveränderungen eine Infektion erleichtern. Für den Erreger der Lungenentzündung z. B. weiß man, daß er, auf Speichel gezüchtet, ungiftig ist, auf eiweißreicherm Nährboden, wie er ganz gut durch den vermehrten Blutzufluß geliefert werden könnte, dagegen hochgiftige Eigenschaften annimmt. Solche Annahme würde auch die erfahrungsmäßig über allen Zweifel sicher gestellte Tatsache erklären, daß gewisse Menschen regelmäßig nach einer E. eine bestimmte Form der Erkältungskrankheiten, der eine z. B. einen Schnupfen, der andre einen Durchfall bekommt. Ebenso würde der günstige Einfluß der Abhärtung (s.d.) begreiflich sein, denn die Abhärtung ist eine Übung der Hautgefäße in prompter Reaktion auf Kältereize. Schließlich würde auch der notorisch heilsame Effekt der Schwitzkuren verständlich, denn bei diesen wird die Haut blutreicher, die innern Organe blutärmer. Vgl. Ruhemann, Ist E. eine Krankheitsursache und inwiefern? (Wiener Preisschrift, Leipz. 1898).
Auch bei Haustieren führt E. sehr häufig zu Krankheiten. Manche kann sie selbständig erzeugen, bei andern den Eintritt nur begünstigen. Die Ursachen der E. sind dieselben wie beim Menschen: Einatmung kalter Luft, Aufnahme zu kalten Getränkes etc., Einwirkung von Kälte auf die Haut. Je höher die Hauttätigkeit entwickelt ist, um so leichter entsteht E. Ferner haben die Lebensweise und auch die individuelle Konstitution großen Einfluß auf die Häufigkeit der E. Am wenigsten der E. ausgesetzt ist das Schwein (geringste Hauttätigkeit, schützende Speckschicht, Stallaufenthalt). Im Gegensatz dazu steht das Pferd. Die Hautpflege hat bei ihm eine größere Bedeutung als bei allen andern Tieren. Die Pferdehaut ist sein und empfindlich, sie hat großen Blutreichtum, dessen Verhältnisse den Blutumlauf im Körper stark beeinflussen können, und ist namentlich reich an Schweißdrüsen. Das Pferd schwitzt leicht und heftig, was E. erfahrungsgemäß sehr begünstigt. Dabei ist es durch seine Benutzung mehr als andre Haustiere der E. ausgesetzt. Es muß im Freien auch bei rauher Witterung arbeiten, oft bis zum Schweißausbruch. Bei der durch Arbeit erhöhten Lungentätigkeit schadet Einatmung kalter Luft besonders leicht. Bei Pferden sind daher auf E. beruhende Katarrhe der Nase, des Kehlkopfes, der Luftröhre und Luftröhrenäste mit ihren Folgen recht häufig. Für eine infektiöse Erkrankung der Atmungswege, die Druse, liefert die E. ein erheblich begünstigendes Moment. Ebenso bewirken äußere und innere E. des Bauches oft Koliken (Krampfkolik); E. der Füße erzeugt Hufrehe und Mauke. Bei der Hämoglobinämie (s.d.) wirkt E. ebenfalls disponierend. Muskelrheumatismus als Wirkung einer E. ist beim Pferde häufig, kommt auch nicht selten bei Rindern und Hunden vor und tritt namentlich bei Lämmern edler Rasse bisweilen verderblich auf. Bei Hunden sind Erkrankungen der Atmungswege infolge von E. ebenfalls nicht selten. Kaltes Getränk kann bei tragenden Kühen Frühgeburt bewirken; ebenso begünstigt E. das Entstehen von Euterentzündung und Gebärmutterkatarrhen in den ersten Tagen nach der Geburt. Durch Abhärtung kann eine weitgehende Unempfindlichkeit gegen E. erzeugt werden, wie anderseits Verweichlichung der E. am meisten Vorschub leistet. Der Stall soll von mittlerer gleichmäßiger Temperatur (10–12°), geräumig und lustig sein. Naßkalte Wände und Zugluft im Stall sind schädlich. Der Übergang vom Stallaufenthalt zum Frühjahrsweidegang soll sich bei mildem Wetter vollziehen. Bei Pferden, die solchen Übergang aus der Stalluft ins Freie täglich durchmachen, ist zu warmer Stall besonders zu vermeiden. Warme Decken im Stall sind nur zweckmäßig, wenn das Pferd vorübergehend in einen zu kalten Stall gestellt wird. Anderseits soll das Pferd nicht erhitzt in den Stall zurückgebracht werden; es soll sich vielmehr erst in langsamer Bewegung abkühlen und vorher auch nicht kaltes Trinkwasser erhalten (dagegen schadet ein Trunk auch bei Erhitzung nicht, wenn die Bewegung fortgesetzt wird). Muß das erhitzte Pferd im Freien bei rauhem Wetter stehen, so ist es einzudecken. Bei Wagenpferden sind lederne, mit dem Geschirr verbundene Lendendecken namentlich als Regenschutz zweckmäßig.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.