- Weinsäure
Weinsäure (Weinsteinsäure, Dioxydikarbonsäure, Dioxyäthylenbernsteinsäure, Acidum tartaricum) C4H6O6 oder CO2H.HCOH.HOCH.CO2H findet sich weitverbreitet im Pflanzenreich, teils frei, teils in der Form saurer Salze in sauren und süßen Früchten, in geringer Menge in Wurzeln, Rinden, Hölzern, Blättern. Sehr reichlich ist W. im Traubensaft enthalten, und beim Lagern des Weines scheidet sie sich als saures weinsaures Kali (Weinstein) ab. Sie entsteht bei Oxydation von Zuckersäure und Milchzucker mit Salpetersäure. Außer dieser gewöhnlichen W. oder Rechtsweinsäure kennt man noch eine ihr sehr ähnliche isomere Linksweinsäure, die sich durch ebenso großes, aber entgegengesetztes molekulares Drehungsvermögen kennzeichnet. Beide Säuren vereinigen sich zu optisch inaktiver Paraweinsäure oder Traubensäure, die auch wieder in Rechts- oder Linksweinsäure gespalten werden kann, während eine vierte isomere, ebenfalls inaktive W., die Meso- oder Antiweinsäure, nicht spaltbar ist. Die Isomerie dieser vier Säuren erklärt man aus dem Vorhandensein von zwei asymmetrischen Kohlenstoffatomen im Molekül. – Die gewöhnliche W. wird aus Weinstein, Weintrestern (die ausgepreßten Beeren mit den Stielen), Weingeläger (wesentlich Hefe) und aus dem bei der Reinigung des Weinsteins abfallenden weinsauren Kalk gewonnen. Sie bildet große, farb- und geruchlose, durchsichtige, monokline Kristalle, schmeckt stark und angenehm sauer, leuchtet beim Reiben im Dunkeln, löst sich bei 15° in 0,76 Teilen Wasser, auch in Alkohol, nicht in Äther, dreht die Ebene des polarisierten Lichtstrahls nach rechts und schmilzt rasch erhitzt bei 167–170°. An der Luft erhitzt, verbrennt W. mit leuchtender Flamme unter Entwickelung von Karamelgeruch. Trockene W. hält sich an der Luft unverändert, die Lösung schimmelt unter Zersetzung, beim Erhitzen mit Wasser auf 165° geht sie hauptsächlich in Mesoweinsäure über, bei 175° entsteht mehr Traubensäure. Letztere bildet sich auch beim Erhitzen mit konzentrierter Lösung von Linksweinsäure. Mit konzentrierter Salpetersäure und Schwefelsäure bildet W. Nitroweinsäure (NO2O)2C2H2(CO2H)2, die in wässeriger Lösung in Dioxyweinsäure CO2H.C(OH)2-C (OH)2CO2H zerfällt. Diese zersetzt sich weiter in Kohlensäure und Tartronsäure CH(OH)(CO2H)2. Man benutzt sie zur Darstellung von Tartrazin (s. d.). Starke Oxydationsmittel verwandeln W. in Ameisensäure und Kohlensäure. Bei Reduktion mit Jodwasserstoff entstehen Äpfelsäure und Äthylenbernsteinsäure. Weinsäure Alkalien scheiden aus erwärmten Silber-, Gold- und Platinlösungen die Metalle ab, und aus ammoniakalischer Silberlösung erhält man das Silber als Spiegel. Auf den Organismus wirkl W. ähnlich wie die übrigen Fruchtsäuren, wird aber vom Magen schlechter vertragen als Zitronensäure und wirkt in größern Dosen giftig. Man benutzt sie zu Saturationen, Limonaden, Brausepulvern, gegen Skorbut etc., in der Konditorei, als Beize beim Türkischrotfärben und beim Rotdruck, zum Verschneiden des Weines, in der Photographie etc.
Mit Basen liefert W. zwei Reihen Salze (Tartrate), die sich zum Teil in Pflanzen finden, zum großen Teile kristallisierbar sind und leicht Doppelsalze bilden. Die der Alkalimetalle sind in Wasser löslich, die neutralen Salze der übrigen Metalle sind meist schwer oder nicht löslich, lösen sich aber auf Zusatz von Wein-, Salz- oder Salpetersäure, meist auch in überschüssiger Kali-, Natronlauge und in Ammoniak. Saures weinsaures Kali (Kaliumbitartrat) C4H5O6K bildet den Weinstein (s. d.). Neutralisiert man Weinstein mit doppeltkohlensaurem Kali, so erhält man neutrales weinsaures Kali (Kaliumtartrat, Tartarus tartarisatus) C4H4O6K2. Dies bildet farbige Kristalle, schmeckt salzig bitterlich, ist hygroskopisch, löslich in 0,7 Teilen Wasser, wenig in Alkohol, dient als Abführmittel und zum Entsäuern des Weines, da es mit dessen W. Weinstein bildet. der sich alsbald abscheidet. Das sehr ähnliche weinsaure Kaliammoniak (Tartarus ammoniatus) C4H4O6NH4K erhält man durch Neutralisieren des Weinsteins mit Ammoniak. Neutralisiert man mit kohlensaurem Natron, so entsteht weinsaures Kalinatron (Rochellesalz, Schwanensalz, Seignettesalz, Natronweinstein, Kaliumnatriumtartrat, Tartarus natronatus, Natro-Kali tartaricum, Sal polychrestum Seignetti) C4H4O6KNa+4H2O. Dies bildet große, farblose Kristalle, schmeckt mild salzig, bitterlich kühlend, löst sich leicht in Wasser, kaum in Alkohol, verwittert langsam in warmer Luft, schmilzt bei 38°, dient als mildes, kühlendes Abführmittel. Beim Verdampfen einer Lösung von 2 Teilen Borax und 5 Teilen Weinstein erhält man den Boraxweinstein (Tartarus boraxatus s. solubilis) C4H4O6KBO als amorphe, weiße, hygroskopische, in Wasser leicht, in Alkohol wenig lösliche, stark saure Masse, die beim Erhitzen schmilzt und als harntreibendes und Abführmittel, auch bei Hautkrankheiten benutzt wird. Weinsaures Natron (Natriumtartrat) C4H4O6Na2 bildet luftbeständige, leicht lösliche Kristalle mit 2 Molekülen Kristallwasser und wird erst bei 200° wasserfrei. Das saure Salz C4H5O6Na kristallisiert mit 1 Molekül Kristallwasser, ist viel löslicher als das Kalisalz und wird über 100° wasserfrei. Weinsaurer Kalk (Calciumtartrat) C4H4O6Ca findet sich in vielen Pflanzensäften und im rohen Weinstein, wird aus Chlorcalciumlösung durch W. gefällt, ist farb- und geschmacklos, kaum löslich in Wasser, leicht in Säuren, Salmiak und kalter Kalilauge. Das saure Salz findet sich ebenfalls in Pflanzensäften und bildet schwer lösliche Kristalle. Weinsaures Eisenoxyd (Ferritartrat) entsteht beim Lösen von Eisenhydroxyd in W., ist schmutziggelb, amorph; die Lösung gibt beim Erhitzen unter teilweiser Reduktion unlösliches basisches Salz. Weinsaures Eisenoxydkali bildet glänzende, schwarzbraune Schuppen und findet sich im Eisenweinstein (Tartarus ferratus), den man als schmutziggrünes Pulver beim Digerieren von Eisenfeilspänen mit Weinstein erhält. Er löst sich großenteils in Wasser, schmeckt säuerlich eisenartig und dient zu Bädern. Weinsaures Antimonoxydkali, s. Brechweinstein. Literatur s. Weinstein.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.