Manīe

Manīe

Manīe (griech.), eine Geisteskrankheit, die in ihren Abstufungen als maniakalische Exaltation (Hypomanie), sodann als bis zur Tobsucht sich steigernde eigentliche M. bezeichnet wird. In Zusammensetzungen bedeutet das Wort immer die mit übermäßiger Erregung auf einen Ideengang hin gerichtete krankhafte Geistestätigkeit, die zum Teil verschiedene Formen des Wahnsinns begleitet, mit der eigentlichen M. aber nicht zu verwechseln ist. So bezeichnet man übermäßige leidenschaftliche Liebe als Erotomanie, seitens der Frauen auch als Nymphomanie, Andromanie, Neigung zum Stehlen Kleptomanie, zur Brandstiftung als Pyromanie etc. Esquirol sah in diesen Monomanien selbständige Geisteskrankheiten, eine Ansicht, die von deutschen Autoren lebhaft bekämpft ist, da diese Monomanien immer nur als Symptom einer bestimmten Geisteskrankheit auftreten. In der modernen Psychiatrie bedeutet M. eine verhältnismäßig seltene Gruppe krankhafter Seelenäußerungen, deren Grundzug in heiterer Verstimmung, gehobenem Selbstbewußtsein, stark beschleunigtem Vorstellungsablauf und erhöhtem sekundären Bewegungsdrang besteht. Die M. kommt gewöhnlich im jugendlichen Alter von 17–27 Jahren vor und befällt etwas häufiger das weibliche als das männliche Geschlecht. Bei aller Mannigfaltigkeit, die der M. wie jeder andern Geisteskrankheit eigen ist, läßt sich gewöhnlich zuerst eine mißmutige, gereizte Stimmung, eine erhöhte Erregbarkeit, Eingenommenheit und Schmerzhaftigkeit des Kopfes bei den Kranken beobachten. Dazu gesellt sich Schlaflosigkeit, erregter Geschlechtstrieb, späterhin erhöhter, bis zur Rastlosigkeit sich steigernder Tätigkeitstrieb und Redseligkeit, die namentlich dann auffallend ist, wenn bis dahin schüchterne, zurückhaltende Personen mit großer Lebhaftigkeit. treffender Wortbereitschaft und sprühendem Witz in der Gesellschaft die Unterhaltung an sich reißen und die staunenden Bekannten mit Bewunderung zu erfüllen wissen (s. Folie raisonnante). Eine Neigung zu geschlechtlichen und Trinkexzessen, auch Ausschreitungen gegen die Staatsgewalt und sonstige überstürzte Handlungen sind nicht selten. Auf der Höhe dieser Krankheit artet die fröhliche Stimmung (Amönomanie) und der Bewegungsdrang (Hyperkinesis) in lautes Singen, Lachen, Lärmen und wüstes Toben aus, wobei nicht selten weinerliche Stimmungen oder Zornesausbrüche mit unterlaufen. Größenideen, die ein Ausfluß der gehobenen Stimmung sind, seltener Sinnestäuschungen kommen im Krankheitsbilde der M. vor. Zuweilen hält sich die M. in mittlern Graden, zuweilen dauert sie monatelang in voller Raserei an. Das körperliche Aussehen der Kranken entspricht der Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen, das Gesicht ist gerötet, der Blick unstet, die Rede überstürzt, Puls und Atmung mäßig beschleunigt. Der Verlauf der M. gestaltet sich verschieden, je nachdem die Krankheit ihren Ausgang in Genesung nimmt oder nicht, was sich keineswegs aus der Stärke der Symptome vorhersagen läßt. Im erstern Falle wird nach 3–8 Monaten, zuweilen noch später, das Toben schwächer, das Benehmen natürlicher, der Schlaf kehrt wieder, und die Kranken bekommen das Bewußtsein ihrer Krankheit und sind dann bald völlig genesen. Im schlimmen Falle zieht sich die Unruhe auf Jahre in die Länge, es gesellen sich Benommenheit, Unreinlichkeit, allmähliche Geistesschwäche hinzu, die oft erst nach vielen Jahren den gänzlichen Verfall herbeiführen. Höchst selten reibt die Tobsucht auf der Höhe der Krankheit die Kräfte bis zur Erschöpfung auf, wenn nicht etwa andre körperliche Leiden zur M. sich hinzugesellen. Unter den Ursachen spielt die Erblichkeit die Hauptrolle. Nächstdem kommen in Betracht Blutverluste und dadurch bedingte schlechte Ernährung des Gehirns, schwere Wochenbetten (Puerperalmanie), langdauernde Störungen des Monatsflusses, lange fortgesetzte Säfteverluste durch Stillen, Verletzungen des Schädels. Die Behandlung der M. richtet sich vorzugsweise gegen das Toben und die Schlaflosigkeit. In den leichtern Fällen von M. ist eine Familienpflege (Beruhigungsmittel, Bäder, Bettruhe, Fernhaltung aller überflüssigen Sinneseindrücke) möglich, in allen schwerern Fällen ist die Überführung in eine Irrenanstalt anzuraten, da das Verbleiben in der Familie unberechenbare Gefahren nach sich ziehen kann.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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