Geistesschwäche

Geistesschwäche

Geistesschwäche (Debilitas, Imbecillitas, Dementia), Inbegriff der sämtlichen Abstufungen krankhaft verminderter Intelligenz, für die gemeinhin die Namen Blödsinn, Stumpfsinn, Schwachsinn, Einfalt, Idiotismus teils ohne Unterschied, teils mit Unterscheidung der verschiedenen Grade gebraucht werden. Allen diesen Bezeichnungen gemeinschaftlich ist die krankhafte Grundlage, so daß die Dummheit (stupiditas), d. h. die nur unvollkommene Fähigkeit eines Individuums, richtige Vorstellungen und richtige Schlüsse zu bilden, meist auf Langsamkeit der geistigen Hergänge (tardum ingenium) oder auf Unwissenheit der zur Bildung eines richtigen Urteils notwendigen Kenntnis von Tatsachen beruhend, nicht unter die G., also nicht unter die Kategorie der Geisteskrankheiten fällt. Die Grenze zwischen erheblicher physiologischer Dummheit und leichter pathologischer G. ist schwer zu ziehen. In ihren leichtern Graden ist die G. oft schwer zu erkennen, denn nicht so selten kommt der Irrenarzt in die Lage, gerade bei ausgeprägten Fällen von G. eine gewisse durchtriebene Verschlagenheit und scheinbar verwickelte Gedankenkombination vorzufinden. In der Einteilung der verschiedenen Grade von G. weichen die Autoren vielfach voneinander ab; man unterscheidet den Stumpfsinn (imbecillitas), Unfähigkeit aller Seelenvermögen zu normaler Tätigkeit, Stumpfheit der Sinnesorgane, Dumpfheit der Empfindungen, Schwäche der Besonnenheit, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, der Phantasie, der Urteilskraft, wobei Aufregung von Affekten möglich ist; Blödsinn (amentia, fatuitas), höchste Schwäche aller Seelenvermögen, der Erkenntnis, des Empfindens und Begehrens, womit fester Wille und starke Affekte unvereinbar sind. In bezug auf die Ursachen der G. lassen sich folgende Formen aufstellen: Die angeborne G. (Idiotie, s. d.) ist teils die Folge mangelhafter Entwickelung, namentlich angeborner Kleinheit des Gehirns oder seiner einzelnen Abschnitte, teils beruht sie auf angebornem Mangel ganzer Hirnteile, teils endlich entsteht sie infolge fehlerhafter Schädelbildung, indem die Schädelhöhle ungewöhnlich klein bleibt und folglich die normale Ausbildung des Gehirns mechanisch unmöglich macht. In den Bereich der angebornen G. gehört auch der endemische Blödsinn oder der Kretinismus. Die sekundäre oder erworbene G. ist ein Folgezustand sehr verschiedenartiger Gehirnkrankheiten, die in der frühesten Jugend (Kindesalter) als Hirnhautentzündungen, vor allem als die sogen. zerebralen Kinderlähmungen auftreten, aber auch dem mittlern Lebensalter angehören und sämtlich mit mehr oder weniger ausgedehnter Zerstörung und Entartung der Hirnsubstanz verbunden sind. Der Gehirnschwund (s.d.) nach Entzündungsprozessen des Hirnes und seiner Häute, Kopfverletzungen, Gehirnerweichung, Vereiterung und Verhärtung des Gehirns, die Epilepsie etc. sind Zustände, die in ihrem Ausgang zu völliger Vernichtung aller höhern Seelentätigkeiten, d. h. zum »terminalen Blödsinn«, führen. Die senile G. (Greisenschwachsinn) kommt im höhern Lebensalter vor und ist in ihren stärkern Graden wohl stets auf den im Greisenalter so gewöhnlichen Schwund des Gehirns zurückzuführen. Jede der genannten Formen von G. kann alle Grade bis zum vollendetsten Blödsinn durchlaufen. Jede akute Geisteskrankheit kann in G. (sekundäre Demenz) ausgehen. Von den leiblichen Abnormitäten, welche die G. zu begleiten pflegen, sind die hervorstechendsten und konstantesten: die Unempfindlichkeit des peripherischen Nervensystems, namentlich auch der Eingeweidenerven (daher Gefräßigkeit ohne Heißhunger), Schwächung oder Aufhebung der Empfindung, nachlässige Haltung, Unbehilflichkeit der Bewegungen bis zur vollkommenen Lähmung (der Extremitäten, der Sprachwerkzeuge, der Schließmuskeln) etc. – Die Prognose der G. ist bis auf seltenere Fälle vorübergehender Demenz (bei der als Erschöpfungsstupor oder Stupidität bezeichneten Psychose) im allgemeinen höchst ungünstig: denn sie ist das Symptom von unheilbar krankhaften Gehirnzuständen. Bei den niedern Graden der G. der Kinder haben konsequente Erziehungs- und Bildungsversuche zuweilen einen gewissen Erfolg, insofern sie in den Blöden- und Idiotenanstalten vor Verwahrlosung geschützt und zur Arbeit angehalten werden (s. Idiotenanstalten und Hilfsschulen). Über das Rechtliche s. Geisteskrankheiten, S. 501f.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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