Arsēnige Säure

Arsēnige Säure

Arsēnige Säure (Arsenigsäureanhydrid, Arsentrioxyd, weißer Arsen, Weißglas, weißes Arsenglas, Hüttenrauch, Rattenpulver, Giftmehl) As2O3 findet sich in der Natur in regulären Kristallen (isomorph, mit Sanarmontit Sb2O3) als Arsenit (Arsenikblüte) auf Gängen bei Andreasberg, Joachimsthal, Schwarzenberg, Markirch, in monoklinen Kristallen als Claudetit (Portugal), bildet sich beim Erhitzen von Arsen oder arsenhaltigen Erzen an der Luft und wird meist als Nebenprodukt beim Rösten arsenhaltiger Silber-, Kupfer-, Kobalt-, Nickel-, Zinnerze, seltener aus gediegen Arsen, aus Arsenkies FeS2.FeAs2 und Arsenikalkies FeAs2 auf Gifthütten gewonnen. Die aus dem Röstgut sich entwickelnden Dämpfe leitet man in lange liegende Kanäle oder in große Kammern, die in Gifttürmen übereinander angebracht sind. Es kondensiert sich graues Arsenmehl, das in gußeisernen Kesseln durch Sublimation raffiniert wird und dann eine schwach gelbliche, glasige, durchsichtige Masse mit muscheligem Bruch (Arsenglas) bildet.

Die außerordentliche Giftigkeit der meisten Arsenverbindungen erfordert ganz besonders ausgedehnte Anwendung und strenge Durchführung von Schutzmaßregeln. Seit Erlaß des Haftpflichtgesetzes ist der Gesundheitszustand der Arbeiter ein befriedigender, ja in manchen Fällen ein günstiger. Die Hütte ist gegen die Umgebung gut abzuschließen, Rückstände und Scherben der Apparate sind sorgfältig beiseite zu schaffen. Grubenwässer, Aufbereitungswässer und durch Erz- und Berghalden sickernde Meteorwässer sind, wenn nötig, mit Kalkmilch zu mischen und nach Absetzen des Niederschlags abzulassen. Die Umgebung der Arsenhütten ist meist bis auf 150 und mehr Schritte unbewohnt, die nächsten Bewohner sind Arbeiter und Beamte, die an die Aufnahme minimaler Arsenmengen gewöhnt sind. Schädigungen der Umgebung kommen nicht vor. In unmittelbarer Umgebung der Werke wird man weder Gemüse noch Futterpflanzen bauen.

A. S. ist farb- und geruchlos, schmeckt schwach metallisch süßlich. Reguläre Kristalle entstehen bei schneller Abkühlung des Dampfes und beim Erkalten einer warm gesättigten wässerigen Lösung, spez. Gew. 3,70. Monokline Kristalle entstehen bisweilen bei Sublimation von As2O3, spez. Gew. 4,15. Amorphe a. S. entsteht bei der Sublimation, wird an der Luft allmählich kristallinisch (regulär), porzellanartig, milchweiß, spez. Gew. 3,798. Kristallisierte a. S. verflüchtigt sich beim Erhitzen, ohne zu schmelzen, schmilzt nur bei plötzlichem Erhitzen oder unter Druck und erstarrt dann glasig. Amorphe a. S. schmilzt bei 200°. Der Dampf ist farb- und geruchlos. A. S. löst sich schwer und langsam in Wasser, doch weichen die Angaben über die Löslichkeit sehr stark voneinander ab. In Alkohol ist a. S. wenig, in Säuren, besonders in Salzsäure. leichter löslich. Aus der salzsauren Lösung der amorphen arsenigen Säure schießen Kristalle unter Lichtentwickelung an; beim Erhitzen der Lösung entweicht Arsenchlorid. Aus Lösungen in Ammoniak und kohlensaurem Kali scheidet sich a. S. im freien Zustande wieder ab. Oxydationsmittel verwandeln a. S. in Arsensäure; Kohle, Metalle, Wasserstoff und Cyankalium reduzieren a. S., und beim Erhitzen entwickelt sich Knoblauchgeruch, beim Arbeiten in einem Glasrohr entsteht ein Arsenspiegel (s. Arsen). Die Lösung der arsenigen Säure in Salzsäure entwickelt mit Zink Wasserstoff und Arsenwasserstoff; alkalische Erden und kohlensaure Alkalien geben beim Schmelzen mit arseniger Säure Arsensäuresalz und Arsen; Schwefelwasserstoff fällt aus sauren Lösungen der arsenigen Säure alles Arsen als gelbes Schwefelarsen, das in Schwefelammonium löslich ist. Mit Essigsäure und überschüssigem Kali zur Trockne verdampft, entwickelt a. S. beim Glühen im Glasrohr penetranten Geruch nach Kakodyloxyd. Die Verbindung As2O3 ist das Anhydrid der eigentlichen arsenigen Säure H3AsO3, die in der Lösung desselben vorhanden, aber in fester Form noch nicht erhalten worden ist. Die Lösung reagiert schwach sauer und bildet mit Basen die Arsenigsäuresalze (Arsenite).

Man benutzt a. S., welche die Nuance der meisten organischen und anorganischen Farbstoffe erhöht, in der Farbenindustrie, in der Kattundruckerei zur Fixierung der Eisen- und Tonerdebeizen, zur Darstellung von Schweinfurtergrün, Lackfarben etc., bei den Kobalt- und Nickelhüttenprozessen, zu Kobaltultramarin, Rinmanns Grün, zum Beizen der Haare in der Hutmacherei, zum Reinigen des Glases während des Schmelzens (durch Oxydation von Kohle und Eisenoxydul), zur Darstellung eines Emails, des Auripigments und der Arsensäure, in Natronlauge gelöst als Reduktionsmittel, in Salzsäure gelöst zum Graubeizen von Messing und Bronze und zuweilen zum Härten von Eisen, zur Vertilgung der Ratten etc., zum Konservieren ausgestopfter Tiere und zum Imprägnieren des Saatgetreides (gegen Brand und Ungeziefer), auch als Arzneimittel (s. unten).

A. S. ist, besonders im gelösten Zustande, höchst giftig. In sehr geringer Dosis (0,002 g) genommen, erregt sie Wärmegefühl in der Magengegend und gesteigerten Appetit, bei fortdauerndem Gebrauch kann sich der Organismus unter noch nicht näher festgestellten Verhältnissen an das Mittel gewöhnen und gedeiht dabei auffallend gut. So herrscht in Steiermark, Salzburg, Tirol etc. die Sitte des Arsenikessens, und die ihr huldigen, erreichen z. T. ein hohes Alter, werden bei gleichbleibender Ernährung kräftiger, oder ihr Körper nimmt an Gewicht bedeutend zu, wenn ihre Arbeitskraft nicht in Anspruch genommen wird. Die Leute beginnen mit sehr geringen Dosen, nehmen den Arsenik (Hidri) in mehrtägigen Pausen und steigen bis 0,3 g und höher; sie sind aber an das Mittel gebunden und verfallen beim Aussetzen desselben in große Abgespanntheit. Auch bei Pferden wird a. S. angewendet, um sie glatt, fett und feurig erscheinen zu lassen, ebenso bei Rindern und Schafen zur Erhöhung der Mastfähigkeit. Das Fleisch solcher Tiere enthält nach dem Schlachten unschädliche Mengen von Arsenik. A. S. wird durch lebendes Protoplasma zu Arsensäure oxydiert, die sich schnell wieder in a. S. verwandelt und dabei aktiven Sauerstoff abgibt. Diese Prozesse üben einen mäßigen Reiz auf die Gewebe aus und fördern die Energie des Wachstums, wirken aber bei größerer Intensität zerstörend. So vernichtet a. S. auch die geformten Fermente und wirkt daher gärungs- und fäulniswidrig, während bei Überschuß der Fermente die a. S. zu Arsenwasserstoff reduziert wird. In Lösung wirken 0,2 g a. S. fast stets tödlich, dagegen können größere Stücke von mehreren Gramm ohne Schaden verschluckt werden. Man benutzt a. S. bei Wechselfieber, Neurosen, Hautkrankheiten, Bleichsucht, gegen bösartige Lymphome, äußerlich als Ätzmittel. Über Arsenikvergiftung s. d. A. S. wird in Deutschland hauptsächlich in Freiberg und auf einigen kleinern Werken des Erzgebirges, auch zu Reichenstein in Schlesien dargestellt und kommt als Pulver und als Glas in den Handel. Sehr viel a. S. liefert England. Die Gewinnung der arsenigen Säure aus natürlichem Schwefelarsen war den Alten bekannt.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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