Keuchhusten

Keuchhusten

Keuchhusten (blauer Schafs-, Stick-, Krampfhusten, Tussis convulsiva, Pertussis), eine epidemische Kinderkrankheit, die aber auch Frauen befällt und aus periodisch wiederkehrenden krampfhaften Hustenanfällen besteht. Er ist über die ganze Erde verbreitet und als echte Infektionskrankheit anzusehen. Nach Mézeray (gest. 1683) kam der K. schon 1414, unter Karl VI., vor, soll aber nach Trécourt sicher im 16. Jahrh. (1510, 1558 und 1577) in wiederholten Epidemien beobachtet worden sein. Als Vorstadium der Erkrankung zeigen die meisten Kinder die Symptome eines akuten, starken Bronchialkatarrhs mit leichtem Fieber, tränenden Augen, belegter Stimme, Husten. der besonders des Nachts sich einstellt. unruhigen Schlaf und gestörter Verdauung. Dieser Zustand geht nach 6–8 Tagen in den eigentlichen K. über, d. h. mehr und mehr drängt sich der Husten in einzelne Anfälle zusammen, und gleichzeitig werden, ohne daß jetzt noch Fieber auftritt, die Anfälle häufiger. Beim Anfall werden die Kinder blau (cyanotisch), die Hustenstöße folgen rasch auseinander und steigern sich so, daß der ganze Anfall aus einer größern Reihe kurzer, unregelmäßiger, rasch einander folgender Hustenstöße besteht, die von einem länger gedehnten, lauttönenden, langgezogenen Inspirationsversuch unterbrochen werden, wonach der Husten von neuem einsetzt (Reprise des Hustens). Häufig tritt heftiger Stimmritzenkrampf ein, bis endlich unter lauttönender Einatmung der Anfall zu Ende geht. Oft wird bei den Hustenstößen, bei denen viel schaumig-weißer Schleim ausgeworfen wird, auch der Inhalt des Magens erbrochen, zuweilen auch Urin und Stuhl entleert. Nach dem Anfall ist das Kind sehr erschöpft und erholt sich erst nach einigen Minuten allmählich wieder. Zuweilen treten in einem heftigen Anfall auch Blutungen aus Mund, Nase und Lungen ein, auch entstehen gelegentlich Brüche und Mastdarmvorfälle. Die Dauer eines Anfalles ist 1/2-2 Minuten, selten länger. Die Zahl der Anfälle innerhalb eines Tages ist sehr verschieden; auf der Höhe der Krankheit kommen 20–40 Paroxysmen auf 24 Stunden. Die Anfälle sind abends und nachts häufiger, besonders auf der Höhe der Krankheit. Die Dauer der heftigen Anfälle und des Höhestadiums der Krankheit währt von 14 Tagen bis zu 2 Monaten und noch länger. Meist werden 10–14 Tage lang die Anfälle immer heftiger und häufiger, dann aber bleibt ihre Heftigkeit eine Zeitlang gleich. Da die Anfälle die Kinder stark schwächen, ihnen die Nachtruhe rauben, so gehen bisweilen zarte Kinder auf der Höhe der Krankheit an Erschöpfung zugrunde. Bei regelmäßigem Verlauf treten nach den ersten Wochen die katarrhalischen Erscheinungen gewöhnlich vollständig zurück; das Kind befindet sich wohl, solange es keinen Anfall hat. Die Anfälle treten meist ohne Veranlassung ein; doch kann jede kleine Veranlassung, namentlich Weinen und Ärger, sie hervorrufen, ebenso zu schnelles Schlingen, kalte Luft, Rauch. Nachdem die Anfälle längere oder kürzere Zeit sich auf der Höhe erhalten haben, fangen sie unmerklich an, seltener zu werden und an krampfhafter Art und Heftigkeit zu verlieren. Nach ca. 8–12 Wochen geht die Krankheit allmählich unter dem Auftreten gelben katarrhalischen Auswurfs in den Normalzustand über. Am häufigsten wird der K. vom zweiten bis fünften, seltener im ersten Lebensjahr sowie vom fünften bis siebenten beabachtet. Mädchen oder zarte Kinder erkranken häufiger als Knaben und kräftige Kinder. Fast niemals befällt der K. zum zweitenmal dasselbe Individuum. Meist herrscht der K. in Epidemien, die am häufigsten am Ende des Winters und im ersten Frühjahr, etwas seltener im Herbst und Winter, am seltensten im Sommer auftreten. Wahrscheinlich ist der K. eine parasitäre Krankheit, d. h. von Mikroorganismen abhängig, doch ist ein spezifischer Erreger noch nicht nachgewiesen. Obwohl der K. an sich meist wenig gefährlich ist, wird er es in hohem Grade durch gewisse Komplikationen und Nachkrankheiten, von denen die häufigsten entzündliche Affektionen der feinern Bronchien und des Lungengewebes (katarrhalische Lungenentzündung) sind, die zu chronischen Lungenleiden, insbes. bei vorhandener erblicher Anlage, führen können. Bei sehr langer Dauer des Keuchhustens verfallen schwächliche Kinder zuletzt nicht selten m einen Zustand von Abzehrung, aus dem sie sich schwer wieder erholen.

Was die Behandlung anlangt, so gibt es unter der großen Zahl der versuchten und empfohlenen Mittel kein einziges bewährtes. Doch ist zur Erleichterung und Abkürzung des Übels und zur Verhütung der gefahrbringenden Komplikationen ärztliche Überwachung und Behandlung dringend nötig. Herrscht eine Keuchhustenepidemie, so muß jeder Katarrh bei Kindern mit verdoppelter Vorsicht behandelt werden; man schütze die Kinder sorgfältigst vor Erkältung, namentlich aber beuge man jedem Verkehr mit am K. leidenden Kindern vor. Man entferne auch den von kranken Kindern ausgeworfenen Schleim und sorge für gründliche Reinigung und Desinfektion der gebrauchten Tücher. Erkrankte Kinder müssen sich in gut gelüfteten Räumen, bei milder Witterung möglichst viel im Freien aufhalten. Bei Hustenanfällen kann man sogen. schleimlösende Mittel (Expektorantien) anwenden. Bei heftigen Hustenanfällen richte man das Kind auf, unterstütze den Kopf und entferne den zähen Schleim aus dem Munde. Günstig und oft überraschend schnell wirkt ein Ortswechsel, namentlich ist der Aufenthalt auf dem Lande in sonniger, trockner Lage zu empfehlen. Vgl. Sticker, Der K. (in Nothnagels »Spezieller Pathologie und Therapie«; Sonderdruck, Wien 1897) und die Lehrbücher der Kinderkrankheiten.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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