Handelsgerichte

Handelsgerichte

Handelsgerichte, besondere Gerichte zur Entscheidung der Handelssachen, sollen dem Bedürfnis nach rascher Erledigung von Rechtsstreitigkeiten durch Bestellung sach- und personalkundiger Mitglieder auch aus dem Laienstand entsprechen. Entstanden sind sie in Frankreich, wo sich bereits im Mittelalter der Handel eine besondere Gerichtsbarkeit geschaffen hatte, die in Wirksamkeit trat, bevor sie von den Staatsbehörden anerkannt wurde. Von da verbreitete sich diese Einrichtung im Anfang des 19. Jahrh. über Belgien, Spanien, Portugal, Italien, die damals der französischen Herrschaft unterworfenen Teile Deutschlands und die Niederlande. In den letztern schaffte man sie indessen wieder ab. Dänemark errichtete 1861 ein eignes See- und Handelsgericht zu Kopenhagen. Eine ähnliche Rechtsbildung hatte auch in Deutschland im Mittelalter begonnen. Meist begnügte man sich in Handelsstädten, wie Hamburg, wo 1623 für den Seehandel auch ein besonderes Gericht, das Admiralitätskollegium, ins Leben gerufen wurde, in Frankfurt, Leipzig etc., mit der Bildung von eignen Abteilungen für Handelssachen an den gewöhnlichen Gerichten. Eine endgültige Regelung wurde durch die § 100 mit 118 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Jan. 1877 herbeigeführt. Dieses hat die H., die damals bestanden, aufgehoben. An ihrer Stelle können überall da, wo die Landesjustizverwaltung ein Bedürfnis dazu als vorhanden annimmt, bei den Landgerichten Kammern für Handelssachen ins Leben gerufen werden. Diese Kammern werden durch ein Mitglied des Landgerichts oder einen Amtsrichter als Vorsitzenden und zwei dem Kaufmannsstand angehörige vollstimmberechtigte Handelsrichter gebildet. Das Amt der Handelsrichter ist ein Ehrenamt, dessen Träger auf gutachtlichen Vorschlag der zur Vertretung des Handelsstandes berufenen Organe auf je drei Jahre ernannt werden. Handelsrichter kann jeder Deutsche werden, der Kaufmann oder Vorstand einer Handelsgesellschaft und im Handelsregister eingetragen ist oder gewesen ist, das 30. Jahr vollendet hat und in dem Bezirk der Kammer für Handelssachen wohnt. In Seeplätzen können die Handelsrichter aus dem Kreis der Schiffahrtskundigen genommen werden. Vor die genannten Kammern kommen diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die den Landgerichten in erster Instanz zugewiesen sind, insofern sie Ansprüche gegen einen Kaufmann aus beiderseitigen Handelsgeschäften, aus Rechtsverhältnissen des Seerechts, Wechselsachen und verschiedene sonstige Handelssachen (s. d.) betreffen. Über Gegenstände, zu deren Beurteilung eine kaufmännische Begutachtung genügt, sowie über das Bestehen von Handelsgebräuchen kann die Kammer für Handelssachen auf Grund eigner Sachkunde und Wissenschaft entscheiden; jedoch kann sie auch noch andre Sachverständige beiziehen. Als oberster Gerichtshof in Handelssachen wurde 1869 für den Norddeutschen Bund das Bundesoberhandelsgericht in Leipzig, seit 1871 unter der Bezeichnung als »Reichsoberhandelsgericht«, ins Leben gerufen; seine Geschäftsaufgabe ging mit dem 1. Okt. 1879 auf das Reichsgericht über. Die Hauptvorzüge dieser Einrichtung beruhen in einem innigern Anschluß des Verfahrens in Handelsprozessen an das Verfahren vor dem Landgericht und in der Erleichterung des Überganges von dem einen Verfahren in das andre, in der Verminderung, bez. Abkürzung von Kompetenzstreitigkeiten, in der Erweiterung des Wahlrechts der Parteien und in der Konzentrierung des handelsrechtlichen Gerichtsentscheids auf eigentliche Handelsplätze. In Österreich bestehen drei selbständige H. in Wien, Prag und Triest; sonst fungieren die Landes-, bez. Kreis- und die Bezirksgerichte als H. Vgl. Silberschmidt, Die Entstehung des deutschen Handelsgerichts (Leipz. 1894); Houyvet, Les tribunaux de commerce; organisation, compétence, procédure (Par. 1894).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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