Gemmen

Gemmen

Gemmen (Gemmae, hierzu die Tafel »Gemmen und Kameen« mit Text) heißen Edelsteine im allgemeinen, dann geschnittene Steine. G im engern Sinne nennt man solche Edelsteine, in die das Bild vertieft geschnitten ist (intaglio), und Kameen (cammeo) solche, auf denen sich das Bild in erhabener Arbeit (en relief) befindet. In neuerer Zeit nennt man auch für den Galanteriewarenhandel angefertigte Muscheln mit erhaben geschnittenem Bildwerk Kameen und G. Die G. dienten ursprünglich nur zum Abdrücken in Wachs etc. und wurden meist in Siegelringen getragen, während Kameen zum Besetzen von Knöpfen, Spangen, Ringen, dann von Pokalen, Waffen, Kandelabern, Götterbildern etc. dienten. In Zeiten des Verfalls der Kunst verwendete man aber auch die G. in ähnlicher Weise. Die Fertigkeit, Edelsteine künstlich zu schneiden, war schon im Altertum bekannt. Nach einem Bericht des Herodot trug jeder Babylonier einen Siegelring, deren sich auch in Menge erhalten haben (Tafel, Fig. 2 u. 6). Im Museum zu Berlin u. a. O. gibt es Mumien, an deren Fingern noch Siegelringe stecken. Durch die Sage bekannt ist der Siegelring des Polykrates. Seit den Perserkriegen wurde auch in Griechenland das Wohlgefallen an Siegelringen ziemlich allgemein. Man benutzte dazu meist orientalische Ganz- und Halbedelsteine, für die G. einfarbige, durchsichtige, aber auch fleckige, wolkige Steine (Amethyst, Hyazinth, Karneol, Chalcedon, auch das Plasma des Smeraldo). Für Kameen (s. Kamee) bevorzugte man mehrfarbige Steine, wie den aus rauchbraunen und milchweißen Schichten bestehenden Onyx, den Sardonyx, der noch eine dritte Schicht von Karneol besaß, und andre aus dem Orient eingeführte Steinarten, indem man die dunkelste Schicht zum Hintergrund, die hellern zur Kolorierung des Reliefbildes benutzte. Von griechischen Steinschneidern sind uns nur wenig Namen bekannt (ein Verzeichnis gibt Brunn, Geschichte der griechischen Künstler, Bd. 2, 2. Aufl., Stuttg. 1889), und auf diese können wir die uns erhaltenen Steine nicht mehr zurückführen; wo ihre Namen auf G. vorkommen, sind sie häufig in neuerer Zeit in betrügerischer Absicht hinzugefügt. Als der ausgezeichnetste gilt Pyrgoteles, dem allein Alexander d. Gr. gestattete, sein Bild zu schneiden. Die künstlerische Entwickelung des Gemmenschnittes (Glyptik) folgte der Entwickelung der griechischen Plastik überhaupt. Neben Porträten und symbolischen Darstellungen mit Bezug auf den Namen und den Beruf des Trägers des Ringes, wohl auch mit Rücksicht auf die Eigenschaft des Steines als Amulett, wurden auch Darstellungen berühmter Kunstwerke, hochverehrter Götterbilder und ähnliches in Stein geschnitten. Auch im alten Etrurien stand die Glyptik in hoher Blüte. Es ist noch eine große Anzahl etruskischer G., meist in Form von Käfern (Skarabäen), z. T. von ausgezeichneter Arbeit, erhalten (Tafel, Fig. 3). In Rom war die Sitte, Siegelringe zu tragen, seit der letzten Zeit der Republik allgemein geworden, die Vorliebe für geschnittene Steine artete hier bald in Leidenschaft aus. Kunstliebhaber legten große Sammlungen von G. (Daktyliotheken, s. d.) an. Pompejus brachte die Daktyliothek des Königs Mithridates nach Rom und stellte sie in einem Tempel auf. Julius Cäsar stiftete sechs Daktyliotheken in den Tempel der Venus Genitrix. Man trieb nun großen Luxus mit G., besetzte damit sogar Kleider, Gefäße, Kandelaber und Geräte. Der bedeutendste Gemmenschneider dieser Zeit war Dioskurides. Damals entstanden auch die sehr großen, überaus kostbaren Kameen, die jetzt in den Sammlungen zu Wien, Paris, Petersburg u. a. O. aufbewahrt werden. Die berühmtesten sind: der schon in alexandrinischer Zeit entstandene Cammeo Gonzaga in Petersburg (Tafel, Fig. 15), die Gemma Augustea mit der Darstellung der Familie des Augustus in Wien, der Pariser Cammeo mit demselben Gegenstand (Tafel, Fig. 17) und der niederländische mit der Familie des Claudius im Haag. Man fertigte selbst ganze Gefäße aus Edelstein und versah sie mit künstlerisch ausgebildeten Reliefs, wovon die hervorragendsten Beispiele das Mantuanische Gefäß (s.d.) in Braunschweig, die Farnesische Schale aus Sardonyx in Neapel und ein Becher in Paris sind.

Antike G. aller Art, auch antike Nachbildungen der G. in Glas, sogen. Pasten (s. Paste), oft von vorzüglicher Arbeit, sind in großer Anzahl erhalten. Zu Ende der römischen Kaiserzeit artete die Glyptik aus, wurde roh und diente häufig dem Aberglauben. Im Mittelalter verlor sich die Kunst beinahe, und erst beim Beginn der Renaissancezeit erwachte zunächst in Italien das Interesse für antike Münzen und G. wieder. Es entstanden damals die Grundlagen der noch heute bestehenden großen Sammlungen im Besitz des italienischen Adels und in den Museen zu Berlin, Wien, Petersburg, Paris, London, Florenz, Neapel, Gotha, Dresden, Kopenhagen und Haag. Die Liebhaberei dafür war besonders im 18. Jahrh. weit verbreitet. Damals entstand die große Sammlung des Barons Ph. v. Stosch (s.d.), die nachmals an das Berliner Museum überging; ferner die Sammlung des Herzogs von Marlborough, die 1875 der englische Kohlenbergwerksbesitzer David Bronslow für 35,000 Guineen (735,000 Mk.) erwarb. Auch Kopien der G. in Glas und Abdrücke in Schwefel, Gips etc. wurden gefertigt und fleißig gesammelt. Am bekanntesten sind die Lippertschen Abdrücke, die unter dem Namen Lippertsche Daktyliothek (3000 Abdrücke) noch heute benutzt werden. Daneben sind die Abdrücke von Tassie (Katalog von Raspe, 1792) und die »Impronte gemmarie del Istituto archeologico di Roma« hervorzuheben. Mit dem Interesse für antike G. entstand auch das Bedürfnis, sie nachzuahmen, woraus sich dann allmählich ein neuer Kunstzweig entwickelte, der im 16. Jahrh. zu hoher Blüte gelangte. Die bedeutendsten Gemmenschneider des »Cinquecento« sind: Vittorio Pisano, Compagni, Caradosso, Giovanni delle Carneoli, Marmitta Vater und Sohn, Belli, Daniel Engelhart und etwas später Caraglio, Cesari, Mondella, Nassaro (Fig. 24), Pescia, Saracchi, Trezzo, Coldoré (Fig. 30), Kilian und Schwaiger und im 17. und 18. Jahrh. Pilaja, Torricelli, Tortorino, Höfler, Antonio, Giovanni und Luigi Pichler (Fig. 21,28 u. 29), Amastini, Cades, Cerbara (Fig. 22), Costanzi, Santarelli, Dorsch, Hecker, Natter, Brown (Fig. 32), Busch, Marchant (Fig. 23), Guay (Fig. 31), Jeuffroy (Fig. 33), Berini, Morelli, Girometti und Calandrelli (Fig. 27). Im Anfang des 19. Jahrh. hatten besonders Goethe, dann Kestner in Rom, der Herzog von Luynes und der Herzog von Blacas eifrig antike G. gesammelt. Seitdem ist aber das Interesse für sie wesentlich erlahmt, trotz der wissenschaftlichen Anregung dazu, namentlich durch die Forschungen von Köhler und Brunn. Doch ist noch in letzter Zeit eine bedeutende, über 1000 G. von allen Völkern zählende Privatsammlung von Tob. Biehler (Baden bei Wien) angelegt worden. Die moderne Kunst pflegt den Gemmenschnitt im eigentlichen Sinne des Wortes nur wenig. Nur in Paris waren in neuerer Zeit einige Steinschneider von künstlerischer Bedeutung (Lechevrel, Vaudet, Barbet u. a.) tätig. Vgl. O. Müller, Handbuch der Archäologie (3. Aufl., § 313–315); Frischholz, Lehrbuch der Steinschneidekunst (Münch. 1820); Krause, Pyrgoteles (Halle 1856, hier auch die Literatur über die antiken G.); King, Antique gems and rings (3. Aufl., Lond. 1872) und Handbook of engraved gems (2. Aufl., das. 1885); Middleton, Engraved gems of classical times (Cambr. 1891); Bucher, Geschichte der technischen Künste, Bd. 1 (Stuttg. 1875); Bouffier, Die Kameenschneidekunst für Dilettanten (Leipz. 1893); Babelon, La gravureen pierres fines (Par. 1894) und Histoire de la gravure sur gemmesen France (das. 1902); Furtwängler, Die antiken G. Geschichte der Steinschneidekunst im klassischen Altertum (Leipz. 1900, 3 Bde., mit 70 Tafeln) und Beschreibung der geschnittenen Steine im Antiquarium der königlichen Museen in Berlin (Berl. 1896, mit 17 Tafeln).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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