- Eskĭmo
Eskĭmo, weitverbreiteter Volksstamm des arktischen Amerika, der fast alle Küsten des Festlandes von der Straße Belle Isle am Atlantischen Ozean bis zur Eisbai des Großen Ozeans am Fuße des Eliasberges sowie die Küsten der benachbarten Inseln und Grönlands bewohnt. Zu ihnen gehören auch die Alëuten (s.d.) und die asiatischen Yuit an der Küste der Tschuktschen-Halbinsel vom Ostkap bis zum Anadyr-Golf. An der Westküste Grönlands gehen die E. bis 78° nördl. Br. hinaus. Ihren Namen (eigentlich Eski-mwhan, »Rohfleischesser«) haben sie von dem Algonkinstamm der Abenaki erhalten. Sie selbst nennen sich Innuit (»Menschen«). Ihre Gesamtzahl dürfte trotz der gewaltigen Ausdehnung ihres Gebietes 40,000 nicht überschreiten, von denen etwa 11,000 in Grönland, 1500 in Labrador und 13,000 in Alaska leben. Entgegen der frühern Ansicht, daß die E. asiatischen Ursprungs und über die Beringstraße eingewandert seien, suchen jetzt die meisten Forscher die Ursitze in Amerika, sei es an der Hudsonbai (Boas), sei es im südlichen Alaska (Rink).
Die E. (s. Tafel »Amerikanische Völker I«, Fig. 3 u. 4) sind meist unter Mittelgröße, dabei aber stark und gewandt. Ihr Schädel ist lang und hoch, das Gesicht breit und platt, die Backenknochen hervorstehend, die Augen dunkel und geschlitzt, das Haar schwarz und straff, der Bartwuchs wenig entwickelt, die Haut gelbbraun, Hände und Füße auffallend klein. Im allgemeinen sind die westlichen E. ein schönerer Menschenschlag als die östlichen. Die wichtigste Beschäftigung der E. ist der Fang von Seehunden, Renntieren und Walfischen, die ihnen alles liefern, dessen sie an Nahrung, Kleidung und Gerätschaften bedürfen. Im Sommer, wenn die Renntiere herdenweise wandern, fängt der E. seinen Bedarf mit Hilfe von Schlingen, Fallgruben, Speeren und Pfeilen. Die Felle der jungen Tiere liefern ihm warme Kleider, welche die Frauen geschickt zu gerben und zu nähen verstehen. Das in der Sonne gedörrte oder in einer Eisgrube aufbewahrte Fleisch dient zur Winternahrung. Im Herbst bieten Gänse und andre Vögel reichliche Nahrung; verschiedene Kräuter, Wurzeln, Beeren, der Inhalt des Renntiermagens bilden die Zukost. Nachdem das Renntier nach Süden gezogen, sammeln sich die Eskimofamilien an bestimmten Plätzen zum Fange der Walfische, Walrosse und Robben, der ihnen, wenn er ergiebig ist, einen sorgenlosen Winter schafft. Zugleich erhalten sie dadurch Brennmaterial für ihre irdenen Lampen. Streifen der Eingeweide werden sauber aneinander genäht und liefern die Segel zu den Umjaks (Weiberbooten), die 15–20 Menschen nebst Zelten und Hausgeräten fassen. Aus dem gleichen Material gefertigte, wasserdichte Hemden ziehen die Männer über, wenn sie in ihren Kajaks (kleinen überdeckten Fellbooten von 4 m Länge und 0,6 m Breite, die mittels eines Doppelruders fortbewegt werden, s. Tafel »Schiffsfahrzeuge der Naturvölker I«, Fig. 7) sitzen. Im Bau und in der Handhabung dieser Boote zeigen die E. eine außerordentliche Geschicklichkeit. Die Rippen und andre Knochen des Walfisches werden, wenn es an Treibholz mangelt, zu Schlittengestellen verarbeitet und dienen auch als Balken in den aus Torf gebauten Häusern. Letztere stehen halb im Boden und sind ganz mit Erde und Moos bedeckt; das Licht fällt durch ein Loch im Dach, das mit den durchsichtigen Därmen von Seetieren überspannt ist; der Eingang ist unter der Erde, lang und niedrig. In diesen Häusern (Iglus) oder auch in geschickt gebauten Schneehütten, die durch Tranlampen erleuchtet und erwärmt werden, verbringen die E. die monatelange Winternacht, die sie durch Ausführung von Tänzen und Gesängen und durch verschiedene Spiele sich verkürzen. Doch kaum beginnen die Tage länger zu werden, so ziehen sie mit ihren Familien aus Meer zur Jagd auf Seehunde, die harpuniert werden, wenn sie die Luftlöcher im Eise besuchen. Seehundsfleisch ist ihnen die liebste Speise; das Seehundsfell liefert die beste Bedeckung für ihre Fahrzeuge und Sommerzelte, auch fertigen die Weiber wasserdichte, bequeme Stiefel und leichte Sommerjacken daraus. Das einzige Haustier der E. ist der Hund, eine wilde, wolfsähnliche Art, die zum Ziehen und zur Jagd gebraucht wird und hauptsächlich von Fischabfällen lebt.
Die E. schließen ihre Ehen sehr früh und leben meist in Monogamie, wiewohl Polygamie erlaubt ist. Auch Polyandrie hat man bei ihnen beobachtet. Sie haben ein ruhiges und doch heiteres Temperament und sind leicht zufriedengestellt. Ihre geistige Begabung zeigt sich schon darin, daß sie die außerordentlichen Schwierigkeiten ihrer Lage zu überwinden wußten. In der Anfertigung ihrer Geräte (vgl. »Indianische Kultur«, Tafel II, Fig. 11–14, u. Tafel III, Fig. 20–23; Tafel »Geräte der Naturvölker I u. II« u. Tafel »Kunst der Naturvölker II«) betätigen sie einen künstlerischen Sinn; ihre Bilderschrift ist derjenigen der indianischen Jägervölker weit überlegen, ihre musikalische Begabung nicht gering. Auch haben sich die grönländischen E. als gelehrige Schüler der dänischen Missionare bewiesen. Den ältern und neuern Seefahrern haben sie auf dem Schauplatz der nordwestlichen Durchfahrt wesentliche Dienste geleistet. Die E. sind im allgemeinen wahrheitsliebend, ehrlich und mutig. Ein Lieblingsvergnügen ist das Tabakrauchen, das sie in Gesellschaft ausüben (s. Tafel »Rauchgeräte I«, Fig. 21 u. 22). Sie leben in völliger Gleichheit ohne Regierung und eigentliche Häuptlinge. Sie kennen ein höchstes Wesen, Tornarsuk oder (nach Hall) Anguta genannt, und zahlreiche niedere Geister. Eine große Rolle spielen Zauberer und Geisterbeschwörer (Angekok). Sie glauben an eine Fortdauer nach dem Tode, weshalb sie die Leichen der Verstorbenen gut kleiden und neben sie alle die Gerätschaften legen, deren sich dieselben im Leben bedienten. Die östlichen E. begraben ihre Toten, die westlichen legen sie auf eine hölzerne Plattform und errichten darüber eine Hütte. Nach dem Tode kommen die Seelen entweder in die Oberwelt oder in die Unterwelt. Nach einigen ist das himmlische Paradies das bessere, und hierher gelangen dann die Seelen der Ermordeten oder Verunglückten, nach andern genießt das unterirdische Paradies den Vorzug. Die E. besitzen einen reichen Sagenschatz, der mit großer Treue von Generation zu Generation übertragen wird. Auf der Westküste von Grönland und in Labrador ist durch die Bemühungen herrnhutischer Missionare (seit 1772) das Christentum eingeführt. Die Sprache der E. behandelten Kleinschmidt (»Grammatik«, Berl. 1851), Fr. Müller (im »Grundriß der Sprachwissenschaft«, Bd. 2, Wien 1879) und Bourquin (Gnadau 1891); ein »Vocabulaire français-esquimau« gab Petitot (Par. 1876) heraus. S. Amerikanische Sprachen und die »Sprachenkarte«. Vgl. Ch. F. Hall, Life with the Esquimaux (Lond. 1864, 2 Bde.; 3. Ausg. 1871); Rink, Eskimoiske Eventyr og Sagen (Kopenh. 1866–71; engl., Lond. 1875); Derselbe, The E. tribes, their distribution and characteristics (Kopenh. 1887, Supplement 1891); Morillot, Mythologie et légendes des Esquimaux (Par. 1874); Dall, Tribes of the extreme Northwest (Washingt. 1887); Boas, Central E. (das. 1888); Holm, Les Grönlandais (Kopenh. 1889); Nansen, Eskimoleben (Christiania 1891; deutsch, Berl. 1903); Nelson, The E. about Bering Strait (Bureau of American Ethnology, 1901); Boas, The E. of Baffin Land and Hudson Bay (»Bull. Americ. Mus. Nat. Hist.«, New York 1901).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.