Amerikanische Sprachen

Amerikanische Sprachen

Amerikanische Sprachen. Die Versuche, die zahlreichen und eigentümlich entwickelten Sprachen der Ureinwohner Amerikas als Töchter einer einzigen Grundsprache zu erweisen, haben kein sicheres Resultat ergeben. Doch findet sich die Aufnahme des Objekts in den Körper des Verbums in den meisten amerikanischen Sprachen, weshalb sie auch als polysynthetische oder inkorporierende (einverleibende) Sprachen bezeichnet werden. Außer dem Objekt werden häufig auch Zusätze zu demselben und adverbiale Bestimmungen jeder Art mit dem Verbum verschmolzen, das der herrschende Redeteil ist. Anstatt der dekadischen findet sich häufig die vigesimale Zählmethode, besonders in Mexiko, Mittelamerika und dem östlichen Südamerika. Nach den bisherigen Forschungen können folgende Sprachen- und Dialektgruppen unterschieden werden: 1) in Nordamerika die Sprachen der Athabasken- und Kinaistämme, der Algonkin, der Irokesen, der Dakota, der Tscherokesen, der Appalachen (Krik, Hitschiti und Tschachta oder Choctaw), der Koloschen, der Tsikaili-Selisch, der Sahaptin-Walawala, der Tschinuk, die Mutsun- und die Nahuatlsprache in Mexiko, die sonorischen Sprachen in Sonora und Texas, die Sprachen der Otomi, Tarasken, Matlasinken, Mixteken, Zapoteken und Tschapaneken in Mexiko; 2) in Mittelamerika die Sprachen der Moskito und Bribri, die Mayasprachen und die nach Südamerika übergreifenden Sprachen der Kariben und Arowaken; 3) in Südamerika die Sprachen der Moro, Baure und Maipure, der Köggaba, der Muiska, der Paeze, der Yaruro und Betoi, der Tschimu, die Inkasprache (Ketschua) nebst dem Aymara, die weitverbreiteten Dialekte der Guarani, die Kiririsprache und die Sprachen der Tschikito, der Lule, der Abiponen, der Botokuden, Colorado, Molutsche und Feuerländer. Die reinste und reichste Entwickelung des polysynthetischen Typus zeigen das Nahuatl, die athabaskischen, irokesischen und Algonkinsprachen und das Guarani, während das Otomi, Mutsun und Bribri sehr formenarm sind und das Ketschua als eine agglutinierende Sprache bezeichnet werden kann. In betreff der Zahlenbezeichnung steht am tiefsten das Tschikito, das gar keine Zahlenausdrücke außer für die Begriffe »eins, einige, viele« besitzt. Die Dialekte der Eskimo oder Innuit im hohen Norden Amerikas sind trotz der ungeheuern Entfernung nahe mit den Dialekten der Eskimo in Grönland verwandt und bilden einen Sprachstamm für sich. Vgl. die »Sprachenkarte« nebst Textblatt; dela Viñaza, Bibliografia española de lenguas indigenas de América (Madr. 1892); Fr. Müller, Grundriß der Sprachwissenschaft, Bd. 2 und 4 (Wien 1882 u. 1888); G. v. d. Gabelentz, Die Sprachwissenschaft (2. Aufl., Leipz. 1900). Zahlreiche ältere Grammatiken von amerikanischen Sprachen hat Jul. Platzmann in den letzten Jahrzehnten neu herausgegeben.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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