- Elektrische Influenz
Elektrische Influenz (elektrische Verteilung), die durch den Ein fluß eines genäherten elektrischen Körpers in einem Leiter bewirkte Trennung der beiden Elektrizitäten. Nähert man einem isolierten Leiter, z. B. einem an den Enden abgerundeten, auf einem Glasfuß wagerecht aufgestellten Metallzylinder, vom einen Ende her einen elektrischen Körper, etwa einen geriebenen Glasstab, so wirkt die (positive) Elektrizität des letztern auf die beiden in dem Leiter anfangs noch miteinander verbundenen Elektrizitäten und trennt sie, indem sie die ungleichnamige (negative) an das nähere Ende heranzieht, die gleichnamige (positive) nach dem entferntern Ende zurückdrängt. Daß die beiden Enden des Metallzylinders, wie angegeben, entgegengesetzt elektrisch geworden sind, erkennt man an elektrischen Doppelpendeln, die aus zwei an leinenen Fäden nebeneinander hängenden und im unelektrischen Zustande sich berührenden Holundermarkkugeln bestehen; beim Annähern der Glasstange sieht man jedes Pendelpaar auseinander gehen, weil die beiden Holundermarkkugeln eines jeden, gleichnamig elektrisch geworden, sich abstoßen, und zwar, wie man sich leicht durch Prüfung überzeugen kann, die am nähern Ende mit negativer, die am entferntern Ende mit positiver Elektrizität. Entfernt man nun den elektrischen Körper (den Glasstab) wieder, so vereinigen sich die beiden getrennten Elektrizitäten sofort wieder, der isolierte Leiter kehrt in den unelektrischen Zustand zurück, und die Pendelpaare fallen wieder zusammen. Berührt man dagegen bei fortdauernder Gegenwart des Glasstabes den Metallzylinder mit dem Finger, so ist der abgestoßenen positiven Elektrizität ein Ausweg eröffnet, sie entweicht durch den leitenden menschlichen Körper in die Erde, und das am entferntern Ende aufgehängte Pendelpaar klappt zusammen; aber die am nähern Ende angehäufte negative Elektrizität kann durch den Finger nicht entweichen, weil sie, von der positiven des Glasstabes angezogen, festgehalten oder, wie man früher sagte, gebunden wird. Nimmt man jetzt erst den Finger und dann den Glasstab weg, so verbreitet sie sich frei über den ganzen Zylinder, und beide Pendelpaare fahren auseinander mit negativer Elektrizität. Der Metallzylinder ist also jetzt negativ geladen durch den Einfluß eines positiv elektrischen Körpers, ohne daß dieser von seiner Elektrizität das mindeste abgegeben hat. Es wäre jedoch irrig, anzunehmen, daß jene negative Elektrizität ohne entsprechenden Arbeitsaufwand gewonnen worden sei; denn indem man den positiv elektrischen Glasstab von dem negativ elektrischen Leiter entfernte, hatte man die zwischen beiden wirksame Anziehung zu überwinden und dabei eine Arbeit zu leisten, deren Ergebnis die auf dem Leiter auftretende elektrische Energie ist (s. Energie). Bringt man zwischen den elektrischen Körper und den isolierten Leiter eine zur Erde abgeleitete Metallplatte, so kehrt der Leiter augenblicklich in den neutralen Zustand zurück; die e. J. erstreckt sich nämlich jetzt zunächst auf die Metallplatte, die auf der Vorderseite sich mit der ungleichnamigen Elektrizität erster Art bedeckt, auf der Hinterseite aber, weil die Influenzelektrizität zweiter Art in die Erde entwich, unelektrisch ist. Der elektrische Körper und die Metallplatte bilden alsdann zusammen eine Vereinigung, auf der die Elektrizität für sich im Gleichgewicht ist, und jener kann durch die Metallplatte hindurch auf einen dahinter befindlichen Leiter keinerlei Wirkung äußern (elektrische Schirmwirkung). Eine nichtleitende Platte, z. B. eine Glasplatte, übt eine solche schützende Wirkung nicht aus, sie läßt die elektrische Wirkung durch, sie ist diëlektrisch. Ist ein elektrischer Körper am einer leitenden Hülle rings umgeben, so wird ihre äußere Oberfläche durch die Influenz jenes Körpers mit diesem gleichnamig elektrisch, die innere ebenso stark entgegengesetzt elektrisch, und diese Elektrizität hält der des umschlossenen Körpers das Gleichgewicht, wo er sich im Innern des Hohlraums auch befinden mag; bringt man jetzt den Körper mit der Hülle in Berührung, so wird er vollkommen unelektrisch, indem sich seine Elektrizität mit derjenigen der Innenwand gerade ausgleicht; demnach ist auch die gleichnamige Elektrizitätsmenge auf der Außenseite der Hülle derjenigen des umschlossenen Körpers gleich, und die Wirkung des letztern nach außen hin ist, unabhängig von seiner Lage im Innern, immer dieselbe, als ob seine gesamte Elektrizitätsmenge auf der Außenseite der Hülle ausgebreitet wäre. Überhaupt ist die Wirkung belieb ig vieler elektrischer Massen außerhalb einer sie umschließenden leitenden Fläche (Faradays Gefäß) immer die nämliche, als wenn ihre Gesamtmasse auf dieser Fläche ausgebreitet wäre.
Auch in Isolatoren ist eine Art Influenz möglich, wie man schon daraus erkennen kann, daß leicht bewegliche Stückchen selbst der besten Isolatoren von elektrischen Körpern angezogen werden. Man erklärt sich die Erscheinung dadurch, daß die Moleküle bewegliche elektrische Ladungen enthalten (s. Elektronen), die durch die Einwirkung der elektrischen Kraft nach entgegengesetzten Richtungen getrieben werden, ohne aber, wie bei einem Leiter, das Molekül verlassen zu können. Jedes Molekül erhält so zwei entgegengesetzte Pole, das Medium wird polarisiert (s. Diëlektrische Polarisation), ganz ähnlich wie ein magnetisches Medium unter dem Einfluß einer magnetischen Kraft (s. Magnetismus, Magnetische Influenz, Elektromagnetismus). Scheinbar ist sogar anal ag dem permanenten Magnetismus auch eine permanente diëlektrische Polarisation möglich, doch beruhen die betreffenden Erscheinungen vermutlich auf dem Vorhandensein fremder Partikelchen mit schwachem Leitungsvermögen. Eine Leidener Flasche z. B. zeigt einige Zeit nach der Entladung einen sogen. Rückstand (Residuum), d.h. die Belegungen laden sich schwach van neuem, weil die in den leitenden Partikelchen geschiedenen Elektrizitäten sich wieder vereinigen und die gebundene Elektrizität freigeben. Hierdurch ist natürlich Energieverbrauch bedingt, da durch Leitung die elektrische Energie in Wärme übergeht. Man nennt die Erscheinung auch elektrische Absorption oder diëlektrische (elektrostatische) Hysteresis. Kalkspat und andre Kristalle zeigen dieselbe nicht, wohl aber Bergkristall. Eine geladene Leidener Flasche mit abnehmbaren Belegungen erweist sich, nachdem die Belegungen mittels isolierender Griffe abgenommen, entladen und wieder angebracht wurden, fast unverändert geladen, nicht infolge diëlektrischer Hysteresis, sondern weil die Ladung der Belegungen durch den Luftzwischenraum auf die Glasoberfläche übergegangen war.
Infolge der gegenseitigen Anziehung der einander zugewendeten Pole der Moleküle eines diëlektrisch polarisierten Mediums muß sich dieses in der Richtung der Kraftlinien, wenn auch nur minimal, kontrahieren, infolge der Abstoßung der nebeneinander befindlichen gleichartigen Pole der Quere nach ausdehnen. Derartige Wirkungen sind in der Tat zu beobachten. Man bezeichnet sie als Elektrostriktion.
Ebenso wie bei einem Magnetstab neutralisieren sich die einander zugewendeten entgegengesetzten Pole der Moleküle hinsichtlich ihrer Wirkung nach außen, und es bleibt nur die Wirkung der oberflächlichen Schichten übrig, so daß scheinbar das dem elektrisierten Körper zugewendete Ende des Isolators entgegengesetzt, das abgewendete gleichartig elektrisch wird wie bei einem influenzierten Leiter, somit auch Anziehung eintreten muß wie bei letzterm. Diese Influenz in dielektrischen Medien muß namentlich bei Berechnung elektrischer Kraftwirkungen berücksichtigt werden, wenn sich die Körper nicht im Vakuum oder in Luft befinden. Wirkt z. B. eine Masse von M Coulomb auf eine andre von m Coulomb in r Meter Abstand, so ware die Kraft nach dem Coulombschen Gesetz = (9.109)/g.(m. M)/r2 Kilogramm. Befinden sich nun aber die beiden elektrischen Konduktoren z. B. in Öl, so tritt zu der Ladung M noch eine derselben dicht anliegende, durch Influenz im Öl erregte entgegengesetzte M1 hinzu, die deren Wirkung derart beeinträchtigt, daß nur die Differenz M-M1 zur Berechnung der Kraft in Betracht kommt. Man nennt M die wahre, M-M1 die freie Ladung des Konduktors. Nimmt man an, daß auch der Äther im Vakuum und die Luft diëlektrisch polarisierbar sind, so hat man es überhaupt nie mit wahren, sondern stets nur mit freien Ladungen zu tun
Gleiches gilt für m. In folgedessen ist die Kraft nur = 1/η.(9.109)/g.(m. M)/r2 kg, wobei η die sog. Diëlektrizitätskonstante bedeutet. Sie beträgt z. B. für:
Denkt man sich z. B. einen Schellackstab in der Richtung der Kraft in ein elektrisches Feld gebracht, so verdichten sich in ihm gewissermaßen die Kraftlinien, weil an seinen Enden durch Influenz neue Elektrizitätsmengen auftreten, deren Wirkung zu der der vorhandenen Massen hinzukommt. Diese durch Influenz erzeugte Elektrizitätsmenge ist der Feldintensität H proportional, d.h. sie beträgt für das QMeter etwa ε. H Coulomb, wobei ε die Elektrisierungskonstante oder der Elektrisierungskoesffizient heißt. Da von 1 Coulomb 4π Kraftlinien ausgehen, ist die Zahl der neu entstandenen Kraftlinien 4πε H, und da schon H vorhanden waren, die gesamte Kraftlinienzahl für das QMeter nunmehr H + 4πε.H = (1 + 4πε)H = η.H, also η = 1 + 4πε. Das Produkt ηH heißt elektrostatische Induktion. Denkt man sich in dem Schellack eine sehr dünne Kraftröhre ausgehöhlt und darin beweglich die Elektrizitätsmenge g/(9.109) Coulomb auf einen Punkt zusammengedrängt, so ist die Kraft in Kilogrammen, die auf diese wirkt,die sogen. elektrostatische Kraft schlechtweg oder Feldintensität. Höhlt man aber den Raum zwischen zwei sehr nahe befindlichen Niveauflächen aus, so ist die hier auf dieselbe bewegliche Elektrizitätsmenge ausgeübte Kraft gleich der elektrostatischen Induktion. Gewöhnlich werden Feldintensität und elektrostatische Induktion nicht auf Kilogramm und g/(9.109) Coulomb, sondern auf absolute Einheiten (Dyne, elektrostatische Einheit der elektrischen Menge) bezogen.
Für kristallisierte Körper ist die Diëlektrizitätskonstante nach verschiedenen Richtungen verschieden; eine Kugel aus einem einheitlichen Kristall geschliffen, allseitig beweglich, in ein elektrisches Feld gebracht, stellt sich deshalb so ein, daß die Richtung der größten Diëlektrizitätskonstante mit der Richtnug der elektrischen Kraft übereinstimmt.
Grenzen zwei verschiedenartige Medien im elektrischen Feld aneinander, so erleiden die Kraftlinien an der Grenze eine Brechung, die von dem Werte der Diëlektrizitätskonstanten abhängig ist. Insofern die Kraftlinien die Richtungen der Achsen der elektrisch polarisierten Moleküle angeben, heißen sie auch Induktionslinien. Überall da, wo Induktionslinien endigen, befindet sich die gleiche Menge entgegengesetzter Elektrizität, wie da, wo sie entspringen; z. B. gehen die Kraftlinien von einem isolierten geladenen Konduktor zu den Wänden des Zimmers. Dort befindet sich also im ganzen ebensoviel entgegengesetzte Elektrizität wie auf dem Konduktor.
Ist die Ladung an den Enden eines diëlektrisch polarisierten Körpers = ± m Coulomb, die Länge, d.h. die Entfernung dieser beiden Ladungen = l Meter, so ist das elektrische Moment (analog dem magnetischen) = l.m. Als spezifisches elektrisches Moment bezeichnet man das elektrische Moment für das Kubikmeter; es ist identisch mit der elektrischen Dichte. – Über Elektrische Verteilung im technischen Sinn s. den besondern Artikel (S. 658).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.