Magnetische Influenz

Magnetische Influenz

Magnetische Influenz (Induktion), Erzeugung von Magnetismus durch Erregung eines Magnetfeldes. Nähert man den Nordpol eines Magnets einem Stück weichen Eisens, so wird es sofort selbst zu einem Magnet, indem es an seinem nähern Ende einen Südpol, am entferntern einen Nordpol bekommt, und vermag jetzt selbst wieder ein zweites, dieses ein drittes etc. Eisenstückchen anzuziehen und zu tragen. Das Eisen wird vom Magnet angezogen, weil es selbst durch m. I. zu einem Magnet wird, der dem genäherten Magnetpol seinen ungleichnamigen Pol zuwendet. Zur Erklärung dieser Erscheinungen hat man früher angenommen, daß der Magnetismus (die magnetische Masse) den Charakter eines Fluidums habe, und daß es zwei magnetische Flüssigkeiten, eine nordmagnetische und eine südmagnetische, gebe. Die Teilchen derselben Flüssigkeit stoßen einander ab, dagegen findet Anziehung statt zwischen den Teilchen der einen und denjenigen der andern Flüssigkeit. Die Erklärung der magnetischen Influenz wäre hiernach übereinstimmend mit der der elektrischen. Die Annahme von Molekularmagneten (s. Magnetische Kraft, S. 86) führte indes zu einer Modifikation der Auffassung. Man nimmt nunmehr an, daß auch jedes unmagnetische Eisen- oder Stahlstück aus bereits fertig gebildeten Molekularmagnetchen bestehe, die jedoch derart regellos gelagert sind, daß nach jeder Richtung ebenso viele Nord-wie Südpole sich wenden und deshalb ihre anziehenden und abstoßenden Wirkungen gegenseitig aufheben. Bei Annäherung eines Magnetpols drehen sich nun die Molekularmagnete so, daß sie ihre ungleichnamigen Pole dem influenzierenden Magnetpol zuwenden, und eben dadurch wird das Eisen- oder Stahlstück magnetisch. Während im Stahl die Moleküle der Drehung einen großen Widerstand (Koerzitivkraft) entgegensetzen, dagegen aber auch die neue Lage ebenso hartnäckig behaupten, kehren die Moleküle des Eisens, nachdem die magnetisierende Kraft aufgehört hat, ebenso leicht wieder in ihre frühere Lage zurück, wie sie diese verlassen haben. Jedes Eisen- oder Stahlstück kann nur bis zu einem gewissen Grade, bis zur Sättigung, magnetisch gemacht werden, die dann eintritt, wenn die Drehung sämtlicher Molekularmagnete erreicht ist. Bei der elektrischen Influenz wird eine solche Sättigung nicht beobachtet. Der Magnetismus des weichen Eisens verschwindet wieder, und die von ihm getragenen Eisenstückchen fallen sofort ab, wenn der influenzierende Magnetpol entfernt wird, oder überhaupt, sobald die magnetisierende Kraft aufhört. Stahl wird nicht so leicht magnetisch wie weiches Eisen; ist er es aber durch die anhaltende Einwirkung eines Magnets geworden, so bleibt er magnetisch, auch wenn er von diesem getrennt wird. Wegen der großen Koerzitivkraft des Stahls reicht die bloße Berührung mit einem Magnet zur Magnetisierung bis zur Sättigung nicht hin, sondern öfteres Bestreichen ist erforderlich, indem man z. B., in der Mitte anfangend, mit der einen Hälfte des zu magnetisierenden Stabes oder Hufeisens 10–201nal über den Nordpol, mit der andern Hälfte ebensooft über den Südpol eines kräftigen Magnets (am besten eines Elektromagneten) hinstreicht; natürlich erhält die am Nordpol gestrichene Hälfte einen Südpol und umgekehrt.

Fig. 1. Magnetnadel.
Fig. 1. Magnetnadel.

Die gebräuchlichsten Formen der Stahlmagnete sind: der geradlinige Magnetstab, die Magnetnadel, ein dünnes Magnetstäbchen, das gewöhnlich die Form einer langgestreckten Raute hat und in der Mitte mit einem Hütchen aus Achat oder Stahl versehen ist, das auf eine Stahlspitze ausgesetzt werden kann (Fig. 1); ferner der Hufeisenmagnet, dessen Pole, um sie gleichzeitig wirken lassen zu können, nebeneinander liegen. An die Pole wird ein Stück weiches Eisen, der Anker (mm, Fig. 2), gelegt, das selbst zu einem Magnet wird, der an den Polen des Hufeisenmagnets mit seinen ungleichnamigen Polen anliegt; da zur Bildung des Südpols des Ankers nicht nur der Pol N, sondern auch der Pol S des Magnets beiträgt, so ist die Magnetisierung des Ankers ungleich stärker, als wenn sie nur von dem einen Pol des Magnets bewirkt worden wäre.

Fig. 2. Magnetisches Magazin mit Anker.
Fig. 2. Magnetisches Magazin mit Anker.

Da jeder Pol des Ankers bestrebt ist, nicht nur die bereits gedrehten magnetischen Moleküle in ihrer Richtung zu erhalten, sondern auch die noch nicht gedrehten zu richten, so ist der angelegte Anker ein Mittel, nicht nur eine Schwächung des Magnets zu verhindern, sondern sogar eine allmähliche Kräftigung nicht gesättigter Magnete zu erzielen. Um denselben Vorteil auch bei Magnetstäben zu erreichen, legt man zwei gleiche Stäbe parallel so nebeneinander, daß der Südpol des einen nach derselben Seite gekehrt ist wie der Nordpol des andern, und verbindet ihre Enden durch zwei weiche Eisenstücke derart, daß sie mit den Stäben ein Rechteck bilden. Um stärkere Wirkungen zu erzielen, als durch einzelne Stäbe oder Hufeisen möglich ist, vereinigt man mehrere vorher magnetisierte Stahllamellen zu einem magnetischen Magazin (Lamellenmagnet, Blättermagnet, Fig. 2), indem man sie so auseinander schichtet, daß ihre gleichnamigen Pole auseinander zu liegen kommen, und sie durch Schrauben in dieser Lage befestigt. Natürliche Magnete und magnetische Magazine erhalten gewöhnlich eine Armatur, bestehend aus Polschuhen von weichem Eisen, in dem durch Influenz Pole erregt werden, die eine für die Verwendung besser geeignete Lage haben als die der Magnete selbst.

Hängt man in einiger Entfernung über einer Magnetnadel, die sich unter dem Einfluß der Erde in die Südnordrichtung eingestellt hat (s. Erdmagetismus), einen Magnetstab auf, so wird er sich zur Nadel parallel stellen, und beide, Stab und Nadel, werden mit ihren Nordpolen nach Norden weisen. Wird die Nadel aus ihrer Stellung seitlich abgezogen und dann losgelassen, so kehrt sie rasch wieder dahin zurück.

Fig. 3. Astatisches Nadelpaar.
Fig. 3. Astatisches Nadelpaar.

Senkt man nun den Magnetstab allmählich herab, so bemerkt man, daß bei einer gewissen Höhe des Stabes über der Nadel letztere das Bestreben, sich einzustellen, verliert und, wenn sie seitwärts abgezogen wird, nicht mehr in ihre frühere Stellung zurückkehrt. Senkt man den Magnetstab noch tiefer, so kehrt die Nadel ihre Stellung um und zeigt mit ihrem Nordpol nach Süden. Die Wirkung der Erde auf die Magnetnadel kann also durch einen in geeigneter Entfernung angebrachten Magnet neutralisiert werden. Die Magnetnadel heißt dann astatisch. Derselbe Erfolg wird erreicht, wenn man zwei ziemlich gleich starke Magnetnadeln (Fig. 3) so übereinander befestigt, daß die ungleichnamigen Pole übereinander liegen, und dieses astatische Nadelpaar frei schweben läßt.

Die Polstärke, die auf jeder Endfläche eines Stabes aus magnetisierbarem Material für eine Flächeneinheit in einem Magnetfeld hervorgerufen wird, ist der Stärke H des Feldes (der Kraftlinienzahl für 1 qcm, auch magnetisierende Kraft genannt) proportional, also = x H, worin x einen für die Substanz des Stabes charakteristischen Zahlenwert, die Magnetisierungszahl oder magnetische Suszeptibilität (Aufnahmefähigkeit, Magnetisierbarkeit) bezeichnet. Da von der Einheit der magnetischen Masse 4π Kraftlinien ausgehen, ist die durch Influenz im Eisen neu erregte Kraftlinienzahl für 1 qcm 4π.x. H, somit die Gesamtzahl Kraftlinien für 1 qcm = H+4π.x. H = (1+4πx). H = μ. H = B. Die Zahl μ ist hiernach das Verhältnis der Zahl B der Kraftlinien im Eisenkern zu ihrer Zahl vorher H an derselben Stelle des Feldes. Man bezeichnet sie als magnetisches Leitungsvermögen oder Permeabilität (Durchdringlichkeit) des Eisens; die Größe B heißt die magnetische Induktion. In CGS-Einheiten ist für weiches schwedisches Schmiedeeisen bei:

Tabelle

für ungeglühten Stahlguß bei:

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für gehärteten Magnetstahl bei:

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Körper mit positiven Magnetisierungszahlen heißen paramagnetische oder ferromagnetische, solche mit negativen diamagnetische, deren Magnetisierungszahl positiv gerechnet heißt Diamagnetisierungszahl. So ist z. B. für Wismut x = -0,0000015, für Wasser = -0,0000001.

Bringt man ein Stäbchen von Wismut, das, an einem Kokonfaden aufgehängt, horizontal schwebt, zwischen die Pole eines sehr kräftigen Elektromagnets (Fig. 4, von oben gesehen), so wird es von beiden Polen abgestoßen und stellt sich daher rechtwinklig (ab) zur Verbindungslinie der beiden Pole (äquatorial), während ein Eisenstäbchen sich natürlich in die Verbindungslinie (NS) der beiden Pole (axial) gestellt hätte.

Fig. 4. Diamagnetismus.
Fig. 4. Diamagnetismus.

Außer Eisen, Nickel und Kobalt erweisen sich noch Mangan, Chrom, Cer, Titan, Palladium, Platin, Osmium sowie fast alle Eisenverbindungen als paramagnetisch, als diamagnetisch dagegen nach Wismut: Antimon, Zink, Zinn, Blei, Silber, Kupfer, Gold, Glas, Schwefelkohlenstoff etc. Um Flüssigkeiten zu prüfen, füllt man sie in dünnwandige Glasröhren oder man stellt sie in einem Uhrglas über die sehr genäherten Pole eines starken Elektromagnets; im letztern Fall bilden sie unebene Oberflächen, und zwar häufen sich »magnetische Flüssigkeiten« über den Kanten der Pole an und bilden kleine Hügel, während diamagnetische Flüssigkeiten sich nach der axialen Richtung ausdehnen und nach der äquatorialen zusammenziehen; in der Mitte zwischen den beiden Polen bildet sich alsdann statt des frühern Bergrückens ein in der äquatorialen Richtung sich hinziehendes Tal. Die Kristallisationsverhältnisse üben auf die diamagnetischen Erscheinungen einen wesentlichen Einfluß aus. Eine parallel zur Kristallachse geschliffene Turmalinplatte stellt sich axial, wenn ihre Achse senkrecht steht, dagegen äquatorial, wenn ihre Achse horizontal liegt. Aus Versuchen mit kristallisiertem Wismut ergab sich, daß die Hauptspaltungsebene sich äquatorial zu stellen strebt, so daß ein Stäbchen aus kristallisiertem Wismut, dessen Längsrichtung auf dieser Ebene senkrecht steht, sich axial stellt. Faraday nennt diese Richtung des kristallisierten Wismuts, die sich axial zu stellen strebt, die Magnetkristallachse. Plücker bezeichnet als magnetische Kristallachsen solche durch die Kristallform bedingte feste Richtungen, nach denen die magnetische oder diamagnetische Polarität unabhängig von der Lage der magnetisierenden Pole auftritt. Eine Kugel aus Bergkristall z. B., in einer spezifisch gleich schweren Flüssigkeit schwebend, stellt sich bei Erregung eines magnetischen Feldes so ein, daß ein durch ihre Struktur bestimmter Durchmesser in die Richtung der magnetischen Kraftlinie fällt. Gleiches gilt für frei schwebende Tropfen flüssiger Kristalle (s. d.), aber auch für deren Moleküle, so daß im Magnetfeld eine solche kristallinische Flüssigkeit ihre innere Struktur derart ändert, daß sich an jeder Stelle die Auslöschungsrichtungen bei Beobachtung zwischen gekreuzten Nicols parallel, bez. senkrecht zu den magnetischen Kraftlinien stellen. Zur Erklärung des Diamagnetismus kann man sich vorstellen, daß die diamagnetischen Körper im Magnetfeld schwächer magnetisch werden als das umgebende Mittel, z. B. die Luft oder der leere Raum (Äther), und sich deshalb (nach Analogie des Archimedischen Prinzips) äquatorial einstellen, wie eine in eine Glasröhre eingeschlossene verdünnte Lösung von Eisenchlorid, die, von Luft umgeben, sich magnetisch erweist, dagegen in eine stärkere Eisenchloridlösung getaucht diamagnetisch erscheint. Kerzenflammen sind in höherm Grade diamagnetisch als die umgebende Luft; sie werden von den Magnetpolen abgestoßen und nehmen in äquatorialer Richtung eine verbreiterte Gestalt an. Die Gase sind diamagnetisch, Sauerstoffgas aber verhält sich gegen alle andern Gase magnetisch, d. h. es ist weniger diamagnetisch als sie. Die dargelegte Erklärung des Diamagnetismus macht die Annahme nötig, alle Körper, auch der Äther, seien magnetisch polarisierbar, eine magnetische Kraft rufe in ihnen magnetische Polarisation hervor, wie man sich dieselbe in einem Stahlmagneten durch Parallelstellung der Elementarmagnete erzeugt denkt. Demgemäß ist der Magnetismus, den wir am Pol eines Magnets beobachten, nicht der wahre dort angehäufte Magnetismus, sondern eine scheinbare (freie) magnetische Masse, gleich der Differenz der im Eisen und der (entgegengesetzten) im angrenzenden Medium (eventuell Äther) angehäuften magnetischen Masse. Das Coulombsche Gesetz der zwischen zwei Polen auftretenden magnetischen Kraft bedarf infolgedessen noch einer Modifikation; die Kraft hängt nämlich noch von der magnetischen Permeabilität des Mediums ab, das sich zwischen den Polen befindet, und ist dieser umgekehrt proportional. Nur wenn das Medium Luft oder Äther ist, deren Permeabilität = 1 gesetzt wird, gilt das Gesetz in der im Artikel »Magnetische Kraft« (S. 86) angegebenen einfachen Form (vgl. Elektrische Influenz). Auch bezüglich der Fortpflanzung der magnetischen Kraft ist, wie Hertz nachgewiesen hat, das Zwischenmedium von großer Bedeutung. Eine unmittelbare Wirkung in die Ferne, wie man sie früher annahm, existiert nicht. Wird irgendwo Magnetismus erregt, so breitet sich der Polarisationszustand aus mit der Geschwindigkeit von 300,000 km in der Sekunde. Die in jedem Moment vorhandenen Kräfte ergeben sich daraus, daß die einander zugewandten Enden der Molekularmagnete des polarisierten Mediums sich anziehen, während die nebeneinander liegenden gleichartigen sich abstoßen. Indem man sich die Kraftlinien als Ketten solcher Molekularmagnete denkt, kann man sagen, die Kraftlinien haben das Bestreben, sich zu verkürzen und sich gegenseitig abzustoßen. Letztere Kraft bezeichnet man als magnetischen Druck. Er ist in Kilogrammen auf 1 qm gleich der magnetischen Energie an der betreffenden Stelle in Kilogrammen auf 1 cbm. Bei entgegengesetzten Magnetpolen z. B. ergibt sich die Anziehungskraft, indem man die dieselben verbindenden Kraftlinien sich als gespannte elastische Fäden vorstellt, bei gleichnamigen durch den elastischen Druck, den die gewissermaßen wie umgebogene Borsten zweier gegeneinander gedrückter Pinsel gegeneinander drückenden Kraftlinien auseinander ausüben. In gleicher Weise ergeben sich aus dem Verlauf der Kraftlinien die magnetischen oder elektrodynamischen Kräfte zwischen Magneten und Strömen sowie zwischen elektrischen Strömen unter sich.

An der Grenze zweier verschiedener Medien erleiden die Kraftlinien eine Brechung, dort tritt eine scheinbare magnetische Masse auf. Verlaufen die Kraftlinien wie bei elektrischen Strömen im gleichen Medium in sich zurück, so tritt dies nicht ein, die elektrodynamischen Kräfte sind also in diesem Fall von der Permeabilität des Zwischenmediums unabhängig. Vgl. H. du Bois, Magnetische Kreise (Berl. 1894); Drude, Physik des Äthers (Stuttg. 1894); Ebert, Magnetische Kraftfelder (2. Aufl., Leipz. 1905); E. Cohn, Das elektromagnetische Feld (das. 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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