Elektrische Verteilung

Elektrische Verteilung

Elektrische Verteilung, im physikalischen Sinn soviel wie Elektrisch e Influenz (s. d.), im technischen die Art der Zuführung des in elektrischen Anlagen erzeugten Stromes zu den Stellen, wo er benutzt werden soll. Dies kann indirekter Weise geschehen, so daß der erzeugte Strom oder doch ein Teil von ihm durch die Verbrauchsstellen fließt oder in indirekter, indem der Strom eine Sammlerbatterie ladet und der von dieser wieder abgegebene Strom zu den Verbrauchsstellen geleitet wird, oder indem man ihn durch die primäre Spule eines Umformers gehen läßt, dessen sekundäre dann den Verbrauchsstrom liefert. Die Sammlerbatterie verwendet man jetzt meist in zweckmäßigerer Weise, den Umformer kann man aber dann nicht entbehren, wenn der elektrische Strom auf größere Entfernungen geleitet werden soll. Das ist nur vorteilhaft, wenn man hohe Spannungen verwenden kann, diese aber müssen zur Speisung von Lampen oder Motoren auf eine genügend niedere Spannung, jetzt meist 110 Volt, herabgesetzt werden, und das kann nur durch Umformer geschehen. In Europa pflegt man große Apparate zu verwenden, die den Strom für das ganze Netz umformen, in Amerika zieht man es vielfach vor, jedes Haus oder gar jede Lampe mit einem besondern kleinen Umformer zu versehen.

Die direkte Schaltung kann so eingerichtet werden, daß der Strom alle stromverbrauchenden Apparate nach der Reihe durchläuft, oder daß er sich durch alle gleichmäßig ergießt, oder aber, daß er eine Gruppe gleichmäßig durchfließt, dann aber nacheinander durch mehrere solcher Gruppen geht. Die erste Art der Schaltung heißt Reihenschaltung oder Schaltung in Series, auch Hintereinanderschaltung, die zweite Parallelschaltung oder Nebeneinanderschaltung, die dritte gemischte Schaltung. Jede elektrische Lampe bedarf nun, wenn sie genügend leuchten soll, einer gewissen Stromstärke und einer gewissen Spannung.

Fig. 1. Hintereinanderschaltung von Lampen.
Fig. 1. Hintereinanderschaltung von Lampen.

Bei Hintereinanderschaltung einer Anzahl Lampen behält demnach die Stromstärke durch den ganzen Stromkreis denselben kleinen Wert, während die Spannung anfangs hoch sein muß, nach und nach aber abnimmt; bei Parallelschaltung dagegen hat die Spannung einen kleinen Wert, die Stromstärke aber muß an den Polen der Stromquelle so groß sein, daß bei der Verteilung jede Lampe die Strommenge erhält, die sie zum Brennen bedarf. Die Hintereinanderschaltung, die Fig. 1 schematisch darstellt, wo D die Dynamomaschine, ✕✕ die einzelnen Lampen bedeuten, ist zuerst von Edison verwendet worden, auch jetzt wohl noch, namentlich in Amerika, in Gebrauch. Sie hat den Nachteil, daß man nur eine Art Lampen anwenden kann, da die Spannung, welche die Bogenlampen bedürfen, noch nicht die Hälfte beträgt von den 110 Volt, bei der die Glühlampen brennen. Differentialbogenlampen (s. Elektrisches Licht, S. 650) eignen sich deshalb für diese Schaltung, weil, im Fall die Lampe erlischt, der Strom um sie herumgehen kann, ohne unterbrochen zu werden. Glühlampen müssen, wenn sie verlöschen, selbsttätig einen ihnen gleichen Widerstand einschalten.

Fig. 2. Zweileitersystem.
Fig. 2. Zweileitersystem.

Diese Schaltungsweise hat die Elektrizitätsgesellschaft Helios für die Beleuchtung des Kaiser Wilhelm-Kanals gewählt, die mit 25 kerzigen Glühlampen ausgeführt wird. Bisher hat sie zu Klagen keine Veranlassung gegeben. Als Stromquelle eignet sich eine Hauptstrommaschine (s. Elektrische Maschinen, S. 637). Für die in Fig. 2 dargestellte reine Parallelschaltung oder das Zweileitersystem eignet sich besser eine Nebenschlußmaschine. In der Nähe der Maschine D muß die Stromstärke so groß sein wie die Stromstärken in allen Zweigen zusammen. Dementsprechend muß der Draht einen beträchtlichen Durchmesser haben, doch darf er nach dem entgegengesetzten Ende der Leitung zu abnehmen. Die Lampen brennen unabhängig voneinander. Man kann also Glühlampen und Bogenlampen zusammen brennen lassen. Da aber die Spannung einer Bogenlampe nur etwas über 40 Volt beträgt, die Glühlampen aber für 110 Volt eingerichtet werden, in allen die Hauptleitungen verbindenden Drähten aber dieselbe Spannung herrschen muß, so muß man in einen jeden solchen eine Glühlampe oder hintereinander zwei Bogenlampen und einen Vorschaltwiderstand schalten, ohne den die Bogenlampen nicht ruhig genug brennen würden.

Fig. 3. Zweileitersystem mit gleichbleibender Stromstärke.
Fig. 3. Zweileitersystem mit gleichbleibender Stromstärke.

Dem Übelstand, daß die Lampen in der Nähe der Dynamomaschine D mehr Strom erhalten wie die in größerer Entfernung befindlichen, kann man durch die in Fig. 3 angegebene Anordnung abhelfen. An Draht wird dadurch freilich nicht gespart. Die gemischte Schaltung findet bei großen Zentralen ihre Anwendung, wo einzelne Lampengruppen als gesondertes Ganzes auftreten und als solche ihren Strom erhalten.

Fig. 4. Gemischte Schaltung.
Fig. 4. Gemischte Schaltung.

In derartigen Fällen erweist es sich oft als zweckmäßig, nach Angabe von Fig. 4 ein System von Hauptleitungen H zu legen, von denen die Lampenleitungen ausgehen, diesen Hauptleitungen aber den Strom durch besondere, nicht weiter verzweigte Leitungen S, die Speiseleitungen (Feeders), zuzuführen.

Alle diese Schaltungsweisen werden an Zweckmäßigkeit von den von Hopkinson eingeführten Mehrleitersystemen weit übertroffen, und so findet man das Dreileitersystem, für größere Anlagen wohl auch das Fünfleitersystem, weitaus am meisten angewendet. Das Dreileitersystem (Fig. 5) bedarf zweier Dynamomaschinen D1 und D2, an deren voneinander abgewandten Polen die beiden Leitungen L1 und L2 angelegt werden, während die beiden andern Pole mit der Ausgleichsleitung oder Mittelleitung A in Verbindung stehen.

Fig. 5. Dreileitersystem.
Fig. 5. Dreileitersystem.

Durch die Leitung L1 geht dann der positive Strom der Maschine D1, durch die Leitung L2 der negative von D2. Sie gleichen sich aus durch die Leitungen, welche die Lampen enthalten. In vollständiger Weise kann dies aber nur geschehen, wenn zwischen beiden Leitungen gleichviel Lampen brennen, wenn beide gleich belastet sind. Ist das aber nicht der Fall, sind z. B. zwischen L1 und A mehr Lampen eingeschaltet wie zwischen L2 und A, so ist der Strom in L1 stärker wie der in L2; der Überschuß wird also durch A zur Maschine D1 gehen, die Ausgleichsleitung also negativen Strom führen. Das Entgegengesetzte findet statt, wenn zwischen L2 und A eine größere Zahl eingeschaltet ist. Die Ausgleichsleitung A wird also meistens etwas Strom führen, aber nie den ganzen wie L1 und L2, ihr Durchmesser kann also kleiner sein.

Fig. 6. Fünfleitersystem.
Fig. 6. Fünfleitersystem.

Im Vergleich zu der einfachen Parallelschaltung, deren sämtliche Vorteile das Dreileitersystem bietet, ist also sehr viel weniger Draht anzuwenden. Die Ersparnis beträgt etwa 60 Proz. Von dem Dreileitersystem unterscheidet sich das in Fig. 6 dargestellte Fünfleitersystem dadurch, daß es drei Ausgleichsleitungen hat, allerdings auch vier Dynamomaschinen bedarf. Ebenso wäre ein Sieben-, Neun- etc. Leitersystem möglich.

So vorteilhaft nun auch die Mehrleitersysteme sich im Betrieb gestalten, so ist doch ihre Anlage wegen der Notwendigkeit der Anwendung mehrerer Dynamomaschinen mit großen Kosten verknüpft, und man hat sich vielfach Mühe gegeben, mit der gewöhnlich zu verwendenden Zahl auszureichen, das Dreileitersystem also mit nur einer Maschine zu betreiben. Dies ist auf zweierlei Art gelungen, mit Hilfe einer Sammlerbatterie und mit Hilfe des Spannungsteilers.

Fig. 7. Dreileitersystem mit Sammlerbatterie.
Fig. 7. Dreileitersystem mit Sammlerbatterie.

Fig. 7 zeigt, wie man die erstere verwenden kann, um bei Anwendung des Dreileitersystems eine Dynamomaschine zu sparen und sich zugleich alle Vorteile, welche die Anwendung der Sammler mit sich bringt, zu sichern. Man teilt dazu die Sammlerbatterie in zwei gleich große Teile, verbindet den positiven Pol der einen Hälfte mit dem positiven, den negativen Pol der andern Hälfte mit dem negativen Pol der Maschine und legt die beiden andern Pole an die Ausgleichsleitung. Führt die Ausgleichsleitung A keinen Strom, so verhalten sich die beiden Hälften der Sammlerbatterie wie eine einzige mit der Dynamomaschine parallel geschaltete. Erzeugt dagegen die Dynamomaschine mehr Strom, als das Netz verbraucht, so dient der Überschuß zum Laden der Batterie, im andern Fall tritt der von der Batterie gelieferte Strom ein, wenn der von der Dynamomaschine erzeugte nicht ausreicht. An diesem Sachverhalt ändert es nichts, wenn auch die Ausgleichsleitung Strom führt, es werden dann nur die beiden Hälften der Sammlerbatterie in verschiedener Weise für Stromlieferung oder Stromaufnahme in Anspruch genommen (vgl. Elektrische Anlage). Den Spannungsteiler hat v. Dolivo-Dobrowolsky angegeben, er besteht aus einer um einen eisernen Kern gewickelten Drahtspule und kann die eine Dynamomaschine ersetzen. Dazu hat man nur die Achse des Kommutators C der Dynamomaschine, Fig. 8, an deren Bürsten Bˏ u. Bˏˏ die Außenleitungen Lˏ und Lˏˏ gelegt sind, mit zwei voneinander isolierten Schleifringen Sˏ u. Sˏˏ zu versehen, auf denen die mit den Enden der Spule T in Verbindung stehenden Bürsten Rˏ und Rˏˏ schleifen und sie mit zwei diametral entgegengesetzten Schienen des Kommutators zu verbinden. Die Ausgleichsleitung ist an dem Halbierungspunkt der Spulen T angelegt. Kommt nun ein positiver oder negativer Strom durch A an, so findet er durch Tˏ Sˏ oder Sˏˏ die zugehörige Kommutatorschiene und die Ankerspulen seinen Ausgleich zur negativen oder positiven Bürste, während sich die in den Ankerspulen vorhandenen Ströme durch T nicht ausgleichen können.

Fig. 8. Spannungsteiler.
Fig. 8. Spannungsteiler.

Diese sind nämlich Wechselströme (vgl. Elektrische Maschinen, S. 638), die die Spule mit Eisenkern nicht durchsetzen können. Ruft doch jeder in die Spule T eintretende Stromstoß durch Magnetoinduktion einen entgegengesetzt gerichteten Strom in der Spule hervor, der jenem den Durchgang verwehrt. Der Induktionsstrom ist freilich nur von seh r kurzer Dauer, aber eben so rasch erlischt auch der ihn erzeugende Strom, um sich dann umzukehren. Dabei erzeugt er von neuem den Induktionsstrom entgegengesetzter Nichtung, und so sind die Wechsel ströme des Anters nicht imstande, sich durch die Spule T auszugleichen, während die aus A kommenden Gleichströme T ungehindert durchfließen können, da sie keine Magnetoinduktion hervorrufen. Es ist nun nicht nötig, die Lampen oder Motoren beim Dreileitersystem sämtlich so anzuordnen, daß die sie speisenden Drähte zwischen der einen Außen leitung und der Ausgleichsleitung gespannt sind. Man kann vielmehr zwischen der letztern und einer Außenleitung auch Drähte abzweigen, zwischen die eine Anzahl Lampen nach dem Zweileitersystem geschaltet sind. Nur hat man darauf zu sehen, daß die beiden Zweige des Netzes möglichst gleich belastet werden. In ähnlicher Weise kann man auch den Drehstrom einer Arbeitsübertragung (s. Elektrische Kraftübertragung) zur Speisung elektrischer Lampen benutzen. Zwischen den drei den Strom führenden Drähten ist ja stets ein Spannungsunterschied von bestimmter Größe vorhanden, nach der die Anzahl hintereinander zu schaltender Lampen sich ergibt. Es ist dann nur darauf zu achten, daß alle drei Zweige gleich stark belastet werden. Auch kann man die Punkte, an denen die drei Leitungen an der vom Netz abgewendeten Seite zusammentreffen und an denen Spannung und Stromstärke Null sind, durch einen vierten Draht, den Ausgleichsdraht, miteinander verbinden und zwischen ihm und den drei Drahten die Lampen anbringen. Vgl. Uppenborn, Die Versorgung von Städten mit elektrischem Strom, nach Berichten elektrotechnischer Firmen (Berl. u. Münch. 1891); Herzog u. Feldmann, Die Berechnung elektrischer Leitungsnetze in Theorie und Praxis (das. 1893); Heim, Die Einrichtung elektrischer Beleuchtungsanlagen für Gleichstrombetrieb (3. Aufl., Leipz. 1898); Herzog u. Feldmann, Handbuch der elektrischen Beleuchtung (2. Aufl., Berl. u. Münch. 1901); Miller, Die Versorgung der Städte mit Elektrizität (Stuttg. 1903 ff.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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