Induktion [1]

Induktion [1]

Induktion (lat., »Einführung, Überleitung«) bezeichnet in der Logik sowohl, im Gegensatz zum Syllogismus (s. d.), den Schluß vom Besondern auf das Allgemeine, als auch, im Gegensatz zur Deduktion (s. d.), das oft aus vielen Schlüssen zusammengesetzte Verfahren, auf Grund der Erfahrung zu allgemeinen Begriffen und Gesetzen zu gelangen. Die I. im erstern Sinne hat man wieder in eine vollständige und unvollständige eingeteilt, je nachdem der allgemeine Schlußsatz sich auf die Kenntnis aller oder nur einiger Einzelfälle stützt. Sie hat aber überhaupt nur geringen Wert; denn wenn wirklich alle Einzelfälle bekannt sind (z. B. Merkur, Venus, Erde etc. beschreiben Ellipsen), dann ist der allgemeine Satz (alle Planeten beschreiben Ellipsen) lediglich eine Zusammenfassung; gründet sich der Schluß aber nur auf einige Fälle, so ist er überhaupt unberechtigt, falls nicht noch andre Beweisgründe dazu kommen. Die von den Wissenschaften geübte induktive Methode besteht dagegen darin, daß eine aus irgend welchen Beobachtungen geschöpfte oder sonstwie entstandene Vermutung über den Zusammenhang der Erscheinungen in planmäßiger Weise an den Tatsachen geprüft und so zur Gewißheit erhoben wird. Der Zusammenhang der Erscheinungen ist aber von zweierlei Art. Einmal sehen wir an den Naturkörpern bestimmte Eigenschaften in mehr oder weniger gleichbleibender Verbindung auftreten und bilden daraufhin allgemeine Begriffe von Arten, Gattungen etc., anderseits bemerken wir eine mehr oder minder regelmäßige Aufeinanderfolge von Vorgängen und gelangen so zur Annahme von Gesetzen. Aufgabe der I. ist es, festzustellen, welche Eigenschaften oder Vorgänge in objektiver, also ausnahmsloser Verknüpfung stehen, welche dagegen bloß zufällig in unsrer Beobachtung verbunden waren, und so zu wissenschaftlich begründeten Allgemeinbegriffen und Naturgesetzen zu gelangen. Soll nun z. B. bewiesen werden, daß die Erscheinung A die Ursache von B ist, so muß gezeigt werden, daß alle andern gleichzeitig mit A vorhandenen Umstände fehlen können, ohne daß deswegen der Erfolg B ausbleibt, oder daß, was noch sicherer ist, wenn alle diese Umstände dieselben geblieben sind und nur A verändert oder ganz ausgeschlossen ist, auch B sich verändert oder ausbleibt. Es müssen also im allgemeinen eine Anzahl passend gewählter Fälle (»Instanzen«) herangezogen und verglichen werden, unter Umständen kann aber auch eine einzige Probe genügen. In dieser Hinsicht haben nun die Wissenschaften, welche (wie Physik und Chemie) die von ihnen untersuchten Erscheinungen willkürlich herstellen und abändern, kurz sich des Experiments bedienen können, einen großen Vorsprung vor denen, die (wie Astronomie, Meteorologie, Soziologie etc.) nicht willkürlich in den Lauf der Dinge eingreifen können, sondern auf bloße Beobachtung der gegebenen Erscheinungen angewiesen sind. Eine wichtige Vorarbeit der I. ist die Analyse (s. d.) des jeweilig vorliegenden Tatbestandes, die genaue Beschreibung der Naturkörper, die Feststellung der einzelnen Stufen eines Prozesses etc. Ebenso unerläßlich wie die Kunst der Zergliederung, der Beobachtung und des Experiments ist aber für den induktiven Forscher die Kombinationsgabe und der geistige Scharfblick, der sofort Wesentliches und Zufälliges unterscheidet. Die Voraussetzung, daß es überhaupt in der Natur der Dinge feste Begriffe und Gesetze gibt, ist die Grundlage, ohne die das ganze Verfahren seinen Sinn verliert, und mit der also der forschende Geist an die Natur herantritt. Die Ausbildung der I. als Forschungsmethode ist Hand in Hand mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften in der Neuzeit erfolgt. Die erste systematische Darstellung derselben versuchte Francis Bacon (s. Bacon 3) in seinem »Novum Organon«, in der Gegenwart hat sich besonders I. Stuart Mill (s. d.) um die Logik der I. verdient gemacht.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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