Elektromagnetismus

Elektromagnetismus

Elektromagnetismus, der durch elektrische Ströme erzeugte vorübergehende Magnetismus. Wird ein mit Seide oder Wolle umsponnener und dadurch isolierter Kupferdraht um einen Stab aus weichem Eisen gewunden, so wird der Eisenstab sofort zu einem Magnet und vermag Eisen anzuziehen und festzuhalten, wenn man einen elektrischen (galvanischen) Strom durch die Drahtwindungen leitet; er verliert aber seine magnetischen Eigenschaften sogleich und läßt das angezogene Eisen wieder los, wenn man den Strom unterbricht.

Fig. 1. Magnetisierungspirale.
Fig. 1. Magnetisierungspirale.

Ein solcher mit Drahtwindungen umgebener Eisenkern, den man durch Schließen und Öffnen des galvanischen Stromes nach Belieben magnetisch und wieder unmagnetisch machen kann, heißt ein Elektromagnet. Statt den Draht unmittel bar auf den Eisenkern zu wickeln, ist es zweckmäßiger, ihn auf eine Holzspule (Magnetisierungsspirale, Fig. 1) aufzuwinden, in deren Höhlung man den Eisenstab hineinschiebt. Dabei wird dasjenige Ende des Stabes zu einem Südpol (d.h. es würde sich, wenn man den Elektromagnet beweglich aufhängte, nach S. richten), das, dem Beschauer zugewendet, von dem Strom in der Richtung des Uhrzeigers umkreist wird (Fig. 2), das entgegengesetzte zu einem Nordpol. Nach Ampères Theorie kann man die Erscheinung so auffassen, daß die zunächst völlig regellos gelagerten Molekularströme (s. Elektrodynamische Kraft) durch die elektrodynamische Wirkung des Stromes in der Spule (des Magnetisierungsstromes) parallel gerichtet werden und nach Aufhören dieser Wirkung wieder in ihre frühere regellose Lage zurückkehren.

Fig. 2. Stromrichtung an den Polen.
Fig. 2. Stromrichtung an den Polen.

Hiermit stimmt überein, daß mit zunehmender Stromstärke die Polstärke nicht in infinitum zunimmt, sondern eine Grenze, die Sättigung, erreicht wird, bei der weitere Vermehrung der Stromstärke ohne Einfluß bleibt, d.h. sämtliche Molekularströme parallel gerichtet sind. Ähnlich wie Eisen verhalten sich auch Nickel und Kobalt, doch ist der erzeugte Magnetismus bedeutend schwächer. Äußerst schwacher Magnetismus ist auch bei Lösungen von Eisensalzen und Sauerstoffgas zu beobachten. Würde man die Öffnungen des Hohlraumes der Spule durch Korke dicht verschließen und sie in ein Gefäß mit Eisenchloridlösung einsenken, in der sich eine Magnetnadel befindet, so würde sich diese so drehen, als wenn der Hohlraum entgegengesetzte Pole angenommen hätte, wie sie ein Eisenchloridkern zeigen würde. Ähnliches zeigt sich, wenn die Spirale von Luft umgeben ist oder sich im Vakuum befindet und ein Wismutkern eingeschoben wird. Stoffe, die sich dem Magnetisierungsstrom gegenüber wie Eisen verhalten, heißen paramagnetische, die dem Wismut analogen diamagnetische.

Bringt man in die Drahtspule (Fig. 1) einen Stahlstab, so wird dieser nicht so leicht und so rasch magnetisch wie ein Stab aus weichem Eisen (s. Hysteresis); er behält aber seinen Magnetismus auch, nachdem der Strom unterbrochen ist, und ist nun zu einem dauernden Magnet geworden. Derartigen Magnetismus nennt man permanenten, im Gegensatze zum temporären, mit dem Strom wieder verschwinden den Magnetismus des weichen Eisens. Man erklärt den Unterschied dadurch, daß man dem Stahl Koerzitivkraft zuschreibt, welche die Drehung der Molekularströme erschwert oder hindert.

Fig. 3. Hufeisenförmiger Elektromagnet.
Fig. 3. Hufeisenförmiger Elektromagnet.

Die Magnetisierung des Stahlstabes wird befördert, wenn man ihn in der Drahtrolle einigemal bis an die Enden hin und her schiebt und den Strom öffnet, wenn er sich wieder in der Mitte der Rolle befindet. Noch vorteilhafter ist es, den Stahlstab an den Polen eines starken Elektromagnets zu streichen, indem man die eine Hälfte, von der Mitte angefangen, 10- bis 20mal über den Nordpol, die andre ebenso oft über den Südpol des Elektromagnets hinführt. Will man einen Elektromagneten von großer Tragkraft erzielen, so gibt man dem Eisenkern die Gestalt eines Hufeisens (a b c, Fig. 3), auf dessen Schenkel die Drahtspulen a und c aufgeschoben sind; an dem eisernen Anker d e, auf den jetzt beide Pole, sich gegenseitig unterstützend, wirken, wird die zur Aufnahme der Gewichte bestimmte Wagschale angehängt. Durch Elektromagnete kann man Tragkräfte erzielen, die alles durch gewöhnliche Stahlmagnete Geleistete weit übertreffen. Nennt man l die Länge des gestreckt gedachten Eisenkerns + der Länge des Ankers zwischen den Polen in Zentimetern, A den Querschnitt des Eisenkerns in Quadratzentimetern, s die Anzahl Drahtwindungen und i die Stärke des durchgeleiteten Stromes in Ampere, so ist die auf jeder Polfläche angehäufte Menge Magnetismus m in gewöhnlichen Einheiten (Zentimikroweber) m = (s.i)/(10/μ.1/A) worin 1/μ, falls das Eisen nur schwach gesättigt ist, etwa = 0,00085 zu setzen ist. Die Kraftlinienzahl N ist = 4π m, da von jeder magnetischen Einheit 4 π Kraftlinien ausgehend gedacht werden (s. Magnetische Kraft), somit N = (4π)/10.(s.i)/(1/μ.1/A). Das Produkt 4π/10.s i wird wohl auch magnetomotorische Kraft genannt (analog der elektromotorischen Kraft), der Ausdruck im Nenner 1/μ.1/A der magnetische Widerstand (die Reluktanz) des aus Eisenkern und Anker gebildeten magnetischen Kreises. Er ist wie der elektrische Widerstand der Länge der Leitung direkt und dem Querschnitt umgekehrt proportional. μ heißt die magnetische Permeabilität (analog der elektrischen Leitungsfähigkeit, s. Magnetische Influenz). Man kann sich nämlich vorstellen, daß die magnetische Kraft längs der Kraftlinien (s. Magnetische Kraft), die stets in sich geschlossen sind (bei einem Magnet geht jede Kraftlinie vom Nordpol durch den umgebenden Raum nach dem Südpol und von da durch den Magnet wieder zum Nordpol zurück), ströme, ähnlich wie ein elektrischer Strom längs eines geschlossenen Leiters. Die Stärke dieser magnetischen Strömung wird gemessen durch die Zahl der Kraftlinien, und der obige, dem Ohmschen Gesetz ähnliche Satz kann also ausgesprochen werden: Die magnetische Stromstärke (oder die Zahl der Kraftlinien) ist gleich der magnetomotorischen Kraft, dividiert durch den magnetischen Widerstand. Man kann auch die Magnetisierung vergleichen mit der Ladung eines elektrischen Kondensators; insofern wird das Reziproke des magnetischen Widerstandes magnetische Kapazität genannt. Die Tragkraft berechnet sich aus der Polstärke m und dem Querschnitt A zu 4π.m2/981000. A kg. Beispielsweise kann ein Hufeisenmagnet von 1 qcm Polfläche und 750.10-8 Weber (= 750 CGS Einheiten) Polstärke tragen: (8.3,14.7502)/981,000 = 10,42 kg. Man kann also durch Bestimmung der Tragkraft (magnetische Wage) die Kraftlinienzahl und damit die Permeabilität einer gegebenen Eisensorte bestimmen. Die Permeabilität ist nicht, wie die elektrische Leitungsfähigkeit, konstant, sondern wächst bis zu einem Maximum und nimmt dann wieder bis gegen Null ab.

Die Zahlen der folgenden Tabelle, welche die Beziehungen zwischen der Zahl Ampèrewindungen auf 1 cm Länge (Eisenkern und Anker gleichmäßig bebewickelt gedacht) und μ, sowie der magnetischen Dichte D der Pole, d.h. der Anzahl gewöhnlicher magnetischer Einheiten auf 1 qcm Polfläche gibt, sind, soweit sie für si/l = 0,5–120 gelten, nach Beobachtungen in der physikalisch-technischen Reichsanstalt an schwedischem Schmiedeeisen berechnet, die andern nach weniger sichern ältern Angaben.

Tabelle

Man kann hiernach im Maximum 37,000 Zentimikroweber Magnetismus auf 1 qcm erzeugen, und hierzu muß das Verhältnis der Ampèrewindungen (s i) zur Länge (l) 20,000 betragen.

Für fünfmal geglühten Stahlguß gelten folgende Werte:

Tabelle

Für Gußeisen:

Tabelle

Für gehärteten Magnetstahl:

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Etwas größere Werte gibt Wolframstahl. Manganstahl dagegen ist bei 12 Proz. Mangangehalt kaum noch magnetisierbar.

Die maximale (praktisch nicht zu erreichende) Tragkraft eines aus bestem schwedischen Eisen gefertigten Elektromagnets wäre bei der magnetischen Dichte 37,000 nach den obigen Formeln 550 kg auf 1 qcm Polfläche. A. v. Waltenhofen beobachtete bei einer magnetischen Dichte von 12,700 eine Tragkraft von 10,2 kg auf 1 qcm als erreichbares Maximum. Um möglichst große Tragkraft zu erzielen, empfiehlt es sich, die Länge l möglichst klein, den Querschnitt A möglichst groß zu machen. Dies ist z. B. bei Joules Magnet der Fall, der aus einer der Länge nach bewickelten Eisenröhre besteht, von der ein Segment abgeschnitten ist, um als Anker zu dienen, ferner bei dem sogen. Topfmagnet, einem die Magnetisierungsspule enthaltenden eisernen Topf, in dessen Mitte durch die Spule ein Eisenkern herausgeführt ist, ferner bei den Zahnradmagneten, nach Art eines Kronrades gebildeten eisernen Scheiben, deren Zähne Spulen tragen und durch eine zweite Scheibe als Anker verbunden werden, etc. Der Anker muß den Polflächen möglichst dicht anliegen, d.h. auf dieselben aufgeschliffen sein. Ein solcher durch den Anker geschlossener Elektromagnet verliert beim Unterbrechen des Stromes seinen Magnetismus nur z. T., der bleibende Rest, der sogen. remanente Magnetismus, der z. B. bei Schmiedeeisen 320 gewöhnliche Einheiten (Zentimikroweber) auf 1 qcm Polfläche betragen kann, verschwindet erst, wenn der Anker abgerissen wird. Er ist wohl zu unterscheiden von dem permanenten Magnetismus, der auch dann noch bleibt und nur durch eine entgegengesetzt gerichtete magnetomotorische Kraft beseitigt werden kann. Die erforderlichen Ampèrewindungen für 1 cm betragen z. B. für weiches Schmiedeeisen 0,64, für Stahlguß 0,8–1,6, für Gußeisen 9,5, für Wolframmagnetstahl 22 und für gewöhnlichen gehärteten Magnetstahl 42. Als Maß der Koerzitivkraft gilt die magnetisierende Kraft (4π/10.(si)/l), die zur Beseitigung der Magnetisierung erforderlich ist. Sie beträgt Fällen bez. 0,8; 0,97–2,08; 11,9; 27,5 und 52,6.

Nach v. Waltenhofen fällt der magnetische Rückstand bei plötzlicher Stromunterbrechung viel kleiner aus, als wenn man den Strom allmählich bis auf Null abnehmen läßt, es können sogar negative magnetische Rückstände auftreten, also anomale Magnetisierungen stattfinden und zwar nicht etwa infolge der durch die plötzliche Stromunterbrechung bedingten Wirbelströme und elektrischen Schwingungen. Am größten ist die Koerzitivkraft des härtesten und sprödesten Stahles; beim Anlassen nimmt sie ab und wird durch Erhitzen bis zur Rotglut und allmähliche Abkühlung so gering wie beim weichen Eisen. Graues Gußeisen, das hell rotglühend gemacht und dann abgelöscht wird, gewinnt dadurch eine bedeutende Koerzitivkraft. Bei einem offenen Elektromagneten, z. B. einem solchen mit geradem Eisenkern, tritt kein remanenter Magnetismus auf, und die Beziehung der Polstärke zur Stärke des Magnetisierungsstromes ist weniger einfach, da zu der wirkenden magnetomotorischen Kraft noch die entmagnetisierende Kraft der auf den Polflächen angehäuften Magnetismen hinzukommt, die den Eisenkern in entgegengesetzter Weise magnetisch zu polarisieren suchen wie der Strom. Magnetisierende Kraft und magnetomotorische Kraft auf 1 cm sind deshalb in diesem Fall verschieden, da erstere nur die Differenz der andern und der entmagnetisierenden Kraft ist.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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