- Camões
Camões (spr. kamóïsch), Luiz de, oder genauer Luiz Vaz de C., der einzige portug. Dichter von Weltruf, der größte Epiker der Neuzeit und zugleich einer der hervorragendsten Lyriker aller Zeiten, war aller Wahrscheinlichkeit nach 1525 (oder 1524) in Coïmbra geboren und starb 10. Juni 1580. Sein Vater, der cavalleiro-fidalgo Simão Vaz de C., der als Indienfahrer ein bewegtes Leben hinter sich hatte und dem Anscheine nach bald nach der Geburt seines einzigen Kindes schiffbrüchig bei Goa starb, entstammte einem adligen galicischen Geschlechte, das im 14. Jahrh. nach Portugal übergesiedelt und, von den portugiesischen Herrschern mit Würden und Ehren überhäuft, später aber verarmt und herabgekommen war. Seine Mutter Donna Anna de Macedo stammte aus Santarem. Seine Kindheit und Jugend scheint C. in Coïmbra verbracht zu haben (an den Ufern des Mondegoflusses, den seine frühesten Lieder oft und innig preisen), und zwar unter der Obhut eines Oheims, Bento de C., der die einflußreiche Stellung eines Ordensgenerals und Universitätskanzlers einnahm. Des Dichters Name steht nicht in den Listen der 1537 nach Coïmbra verlegten und im humanistischen Sinne reformierten Hochschule: doch hat er seine staunenswerte klassische Bildung und sein lateinisches, italienisches, spanisches und portugiesisches Wissen wohl nur bei geregelten Studien erwerben können. Eine zarte Neigung zu einer Coïmbraner Schönen begeisterte schon damals sein Dichtertalent zu formvollendeten Kanzonen in italienischer Manier. In den 40er Jahren (1542–46) lebte C. zu Lissabon in den Adels- und Hofkreisen, beglückt von Fürsten- und Frauengunst, die ihm eine reiche Fülle von scherzenden und ernsten Gelegenheitsgedichten entlockte, jenen reizenden leichtfüßigen Redondilhas, die sein »Buch der Lieder« (Cancioneiro) ausmachen. Einer Hofdame und Schutzbefohlenen der Königin widmete er seit Karfreitag 1544 leidenschaftliche Liebe. Diese Donna Catharina de Ataide, die Natercia seiner Dichtungen, scheint die Neigung des armen, amt- und würdelosen, aber genialen Dichters erwidert und seinen überschäumenden Stolz und Frohmut zu unbedachten Worten und kecken Taten hingerissen zu haben, die gegen die Hofetikette verstießen, die Dame kompromittierten, die Ataides reizten und Neider und Nebenbuhler zu Anklagen bewogen. Sicher ist, daß C. die Gunst der Königin verlor und verwiesen ward, vielleicht einmal, vielleicht öfter, noch vor 1550. Er trauert, der Hauptstadt und der Geliebten fern, zuerst in der Landschaft Ribatejo, sehnsüchtige Elegien und Sonette an den Hof sendend; dann greift er unmutig zum Schwert, kämpft zwei Jahre in Afrika (zwischen 1547 und 1553), wird in einem Seegefechte unfern Ceutas durch ein Sprengstück einer Kanonenkugel verwundet und des rechten Auges beraubt. Auf Grund eines mutmaßlichen, 1647 noch bekannten, dann aber verschollenen Aktenstückes nimmt man gemeinhin an, der Dichter habe sich unmittelbar nach der Rückkehr, im Frühjahr 1550, zur Indienfahrt einzeichnen lassen; der Plan aber sei damals nicht zur Ausführung gekommen. Neuere Forschung erklärt jenes Aktenstück für erfunden, legt die Heimkehr später und begründet sie mit der Hoffnung auf Gnade und einen Zivilposten. Fest steht, daß das vergebliche Hoffen und Harren und die gezwungene Ausschließung aus den feingebildeten Hofkreisen ihn auf Abwege brachte. Ein Streit mit einem Hofbeamten, Gonzalo Borges, bei dem C. den Gegner verwundete, zog ihm Gefängnis zu (vom Mai 1552 bis 7. März 1553). Freigelassen ward er nur unter der Bedingung, mit dem nächsten Geschwader als seines Königs Waffenmann nach Indien zu gehen. Nach Verlauf zweier Wochen, 26. März, verließ C. das Vaterland als einfacher Soldat, mit einem Jahressold von 9000 Reis. Teile seines Heldengedichtes nahm er bereits mit sich, doch ist das Märchen, daß er sein Epos im Kerker begann, angeregt durch das Erscheinen des Werkes »Da Asia« von I. de Barros (s.d.), entschieden abzuweisen. Nach sechs Monaten schwerer Not und Gefahr erreichte er Goa (September 1553). 16 Jahre lang führte C. nun auf asiatischem Boden ein buntes, wechselreiches Leben. Heldentaten, die der Geschichtsforscher verzeichnen müßte, vollbrachte er nicht. Ordnungsmäßig nahm er im November 1553 teil an einem Seezuge des Vizekönigs gegen Chembe, im nächsten Frühjahr an einem Unternehmen gegen den Korsaren Safar, der das Arabische und Rote Meer unsicher machte. Er überwinterte am Kap Gardafui und verblieb dann zunächst in Goa, dessen Sitten und Unsitten ihm so scharfe Satiren entlockten, daß er auch hier in Händel und Zwistigkeiten geriet. Ein wohlwollender Vizekönig sandte ihn, nach Ablauf der dreijährigen obligatorischen Dienstzeit, im März 1556 in einträglicher Zivilstellung nach Macao, das er jedoch erst 1558 nach längerm Aufenthalt auf Malakka und den Molukken erreichte. Hier findet er Muße zur Fortsetzung des Nationalepos (bis Ende des 6. Gesanges). Doch dauerte das relativ glückliche Stilleben nicht lange. C. wurde als Beamter straffällig befunden, des Amtes enthoben und nach Goa zurückbeordert. Auf der Rückfahrt litt er Schiffbruch an der Mündung des Mekong (Kambodscha) und rettete außer dem nackten Leben nichts als das Lusiadenmanuskript, das er schwimmend durch die Wogen trug. Nach kurzer Rast unter den Buddhisten gelangt er über Malakka, wo er der Geliebten Tod erfährt, nach Goa, neuer Verhaftung entgegen (1560). Dort wechseln Gunst und Ungunst: der Verdacht der Veruntreuung wird falsch befunden; der Dichter findet lohnende Beschäftigung, vergeudet im Übermut schnell das Gewonnene, kommt in Schuldhaft, nimmt noch einmal teil an einem Kriegszuge gegen den Samorim von Kalikut und vollendet sein Epos. Sehnsucht nach Portugal, das er in Goa-Babel wie sein verlornes Zion preist, und der Wunsch, seinen Heldengesang dem Vaterland zu weihen, treibt ihn schließlich von Indien fort. In Mosambik halten Mangel und Elend ihn zwei Jahre fest. Er legt die letzte Hand an die National-Epopöe; ordnet und kopiert seine lyrischen Gedichte, seinen »Parnasso«. Durch die Großmut einiger Freunde, besonders des Reichshistoriographen Diogo do Couto, wird ihm die Weiterreise ermöglicht (1569). Nach 17jährigen Irrfahrten betritt er 7. April 1570 wieder den vaterländischen Boden. Hochgestellte Gönner vermitteln die Widmung und sorgen für die Herausgabe der »Lusiaden« (s. unten). Am 12. März 1572 begann das Nationalepos seine Wanderung durch die Welt. König Sebastian verlieh C. »wegen seiner Kriegstaten und seiner Verdienste als Schriftsteller« einen Gnadensold von 15 Milreis für drei Jahre, der später auf weitere Frist bewilligt und nach seinem Tod, auf Befehl Philipps II., auch seiner greifen Mutter bis an ihr Lebensende ausgezahlt wurde. Von einem weitern materiellen Erfolge des Werkes verlautet nichts: während C.' Lebzeiten ward eine zweite Auflage nicht nötig (eine der zwei Ausgaben, die man mit dem Datum 1572 kennt, ist eine spätere Fälschung). Des Dichters letzte Periode umfaßt trübe Jahre, in denen er Weniges dichtete. Die Niederlage von Alcacer-Quebir (1578) brach sein Herz. Als Philipps spanische Truppen in Portugal einzogen, starb C., vermutlich hingerafft von der herrschenden Pestseuche. Beigesetzt wurde er sang- und klanglos in der St. Annenkirche, ohne jedes Merkzeichen. Als man 1854 nach den Gebeinen suchte, waren sie nicht sicher zu finden: zusammen mit allen übrigen, die ausgegraben wurden, bestattete man sie zu Belem, im Pantheon König Emanuels, gegenüber der Aschenurne Vasco da Gamas. Ein Standbild (von Bastos) errichtete man ihm 1867 in Lissabon. Sein 300jähriger Todestag ward 1880 festlich begangen.
C. bildet den großen Schlußstein der Blütezeit der portugiesischen Poesie. Was nach ihm in dichterischen Versuchen geleistet wurde, ist im glücklichern Fall Nachklang der glänzenden Vergangenheit. Seinen Weltruhm dankt er seinem Epos. Entdeckt auch der strenge Kunstrichter darin manches Fehlerhafte, z. B. die Verquickung der griechischen Mythologie mit der christlichen, so belebt doch ein echt dichterischer und wahrhaft epischer Geist die ganze Ausführung, und die darin sich aussprechende Vaterlandsliebe, Empfänglichkeit für kühne nationale Bestrebungen sowie die vollendete Sprache und der bezaubernde Wohlklang der schön gebauten Oitavas geben dem Werke im Original einen unwiderstehlichen Reiz. C. nannte sein Gedicht »Os Lusíadas« (die Lusiaden, s.d.), weil es die poetische Verherrlichung nicht eines einzelnen Helden, sondern der Nation ist. Im Mittelpunkte der Ereignisse steht die Umschiffung Afrikas durch Vasco da Gama und die erste Begründung portugiesischen Verkehrs mit Indien; in episodischen Erzählungen aber werden die ganzen ältern Geschicke Portugals verherrlicht und in Form begeisterter Prophezeiungen auch die spätern Entdeckungen und Großtaten der Portugiesen in Indien. Unter den Episoden, die das Ganze beleben, sind die berühmtesten die Erzählung vom Tode der Ines de Castro (dritter Gesang) und die Erscheinung des Riesen Adamastor, des verkörperten Kaps der Stürme. Daneben bricht das persönliche Gefühl des Dichters an zahlreichen Stellen mit Macht hervor, und diese männlich-kräftigen lyrischen Ergüsse, meist in schwermütigem Tone gehalten, erhöhen den Reiz des Gedichtes. Wodurch sich aber dasselbe am wesentlichsten von jedem andern Epos unterscheidet, das ist die Kraft und Wahrheit seiner Naturschilderungen, vor allem die Schilderung des Weltmeeres. Die »Lusiaden« sind nach Humboldts Ausspruch (»Kosmos«, 2. Teil) das »maritime Epos«, das die ganze majestätische Größe des ozeanischen Meeres spiegelt, ja dessen eigentliche Handlung nicht der Kampf zwischen Portugiesen und Indern, sondern der Kampf mit dem Weltmeer ist und der Sieg über dessen furchtbare Gewalt. Das Gedicht besteht aus zehn Gesängen, die zusammen 1102 achtzeilige Stanzen (oitavas rimas) mit fast durchgängig weiblichen Reimen, im ganzen also 8816 Zeilen, enthalten.
Die erste Ausgabe erschien zu Lissabon 1572; spätere wichtige Ausgaben: 1597, 1607, 1609, 1633, 1651; mit Biographie und Interpretationen von Correia (1613); mit den Argumenten jedes Gesanges von Barreto (1669). Einen Kommentar in spanischer Sprache lieferte der Polyhistor und Dichter Manoel de Faria e Sousa (Madr. 1639, 2 Bde.); eine Ausgabe mit Anmerkungen Ferreira (Neap. 1731, 2 Tle.; Rom 1732), mit Illustrationen der Morgado de Matheus zu Paris 1817. Neuere Ausgaben erschienen zu Coïmbra 1800, 2 Bde., von J. M. de Souza Botelho (Par. 1817 u. 1819, sehr korrekt, aber selten); mit Noten von Fonseca (das. 1846), von Coelho (Liffab. 1880). Eine Luxusausgabe ist die von Biel (Porto 1880). Ein Faksimile der ersten erschien 1900 in Lissabon. – Im ganzen zählt man gegen 100 Ausgaben und ca. 45 Übersetzungen des Gedichtes in 13 fremde Sprachen, darunter eine ins Lateinische von Thomé de Faria (Wien 1622). Ins Spanische wurde es übersetzt von Tapia (Salamanca 1580), Caldera (Alcalá de Henares 1580), Garcez (Madr. 1591), Lamberto Gil (1818); ins Italienische von Paggi (Liffab. 1658, Turin 1772), Nervi (1814), Briccolani (1826), Berlotti (1862); ins Französische von Duperron de Castera (Par. 1735), d'Hermilly und Laharpe (das. 1776), Fournier und Deffaules (in Prosa, 1825; neue Ausg. 1847), Millié (1825), Ragon (1842), Aubert (1844), Albert (1859), Azevedo (1870), Garel (1889), Hippeau (1890) etc.; ins Englische von Fanshaw (1655), Mickle (1775, neue Ausg. 1877), Mitchell (1854), Aubertin (1878), Duff (1880), Burton (1881) u. a. Außerdem liegen Übersetzungen ins Schwedische, Dänische (Lundbye), Polnische, Böhmische (Pichla), Russische (Dmitrijew) und Ungarische (Gyula) vor. In deutscher Übertragung wurden die »Lusiaden« zuerst bruchstückweise durch Meinhardt (in den »Gelehrten Beiträgen zu dem Braunschweigischen Anzeiger«, 1762) und Seckendorff (in Bertuchs »Magazin der spanischen und portugiesischen Literatur«) bekannt. Vollständige Übersetzungen brachten dann Heise (in Prosa, Hamb. 1807, 2 Bde.), Kuhn und Winkler (Leipz. 1807; umgearbeitet von R. v. Belzig, Stuttg. 1886), Donner (Leipz. 1833, 3. Aufl. 1869) und Booch-Arkossy (das. 1854), beide im Versmaß des Originals; ferner Eitner (Hildburgh. 1869) in reimlosen Jamben, Wollheim da Fonseca (Leipz. 1880) und W. Storck (Paderb. 1880).
C. war außerdem ein großer Lyriker, größer und mannigfaltiger als Dante, Tasso und Shakespeare in ihren Sonetten. Seine Verse vereinen alle Süßigkeit des innigsten Genusses mit einer hinreißenden Schwermut, strengen Ernst mit der anmutigsten Kindlichkeit und dies alles in der Reinheit des einfachsten und sprechendsten Ausdruckes. Die »Rimas« umfassen heute 356 Sonette, 22 Kanzonen, 15 Idylle, 27 Elegien, 12 Oden, 8 Oktaven, 6 Sextinen und 150 Lieder. Ein Gesamtmanuskript hinterließ C. nicht: allmählich hat man die einzelnen Stücke gesammelt (1595; 1598; 1616; 1666–69; 1685; 1860; 1873; 1880), und noch heute entdeckt man Ungedrucktes in Handschriften des 16. Jahrh.; doch hat man viel Unechtes und viel stark Verderbtes unter das echte Gut geschoben. Eine mustergültige kritische Ausgabe gibt es noch nicht. Auch besitzen wir von C. drei Komödien (»Die Amphitryonen«, »König Seleukus« und »Die Liebe des Philodemo«), die meist mit den übrigen kleinern Dichtungen u. d. T.: »Rimas de Luis de C.« (Lissab. 1593) abgedruckt sind. Gesamtausgaben der Werke des C. erschienen in Paris 1759 (3 Bde.), Lissabon 1772,1779–80,1782–83 (3 Bde.). In Deutschland sehr verbreitet ist die von Barreto-Feio und Monteiro (Hamb. 1834, 3 Bde.); die vollständigste ist die des Visconde de Juromenha (mit Biographie des Dichters, Liffab. 1860–71, 6 Bde.), während sich die von Theophilo Braga in der »Biblioteca da actualidade« (Porto 1874, 3 Bde.) besorgte durch Handlichkeit und billigen Preis auszeichnet. Eine vorzügliche Übersetzung der gesamten Werke C.' mit gediegenem Kommentar veröffentlichte W. Storck (Paderb. 1874–84, 6 Bde.), der auch das beste kritische Werk über sein Leben schrieb: »Luis' de Camoens Leben« (das. 1890; portugiesisch, mit Anmerkungen von C. Michaëlis de Vasconcellos, Lissab. 1896). Vgl. John Adamson, Memoirs of the life and writings of L. de C. (Lond. 1820, 2 Bde.); Braga, Historia de C. (Porto 1873–75, 3 Bde.); Reinhardstöttner, C., der Sänger der Lusiaden (Leipz. 1877); Lamarre, C. et les Lusiades (Par. 1878); Robert Avé-Lallemant, Luiz de C. (Leipz. 1879); Castello-Branco, Luiz de C. (Porto 1880); Latino Coelho, Luiz de C. (Lissab. 1880); R. F. Burton, C., his life and his Lusiads (Lond. 1881). Sehr verdienstvoll sind die »Bibliographia Camoniana« von Th. Braga (Lissab. 1880) und das gleichnamige Werk von I. de Vasconcellos (Porto 1880). – C. ist mehrfach zum Gegenstand von Dichtungen gemacht worden, so von Almeida-Garrett in einem epischen Gedicht (Par. 1825), von Campos in einem historischen Roman (1897), von Tieck in seiner bekannten Novelle »Tod des Dichters«, von Ad. Stern in einem Roman (1890) und R. Bunge (Roman in Versen, 1892). Fr. Halm sowie neuerdings L. Jardim und Zapata haben das Schicksal des Dichters dramatisch behandelt. Eine Oper: »Camoens«, von Farina ward 1857 in Padua ausgeführt.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.