Physikalische Geographie

Physikalische Geographie

Physikalische Geographie (physische Geographie, Geophysik), der Teil der Erdkunde, der sich mit der Entstehung und dem Aufbau der Erde und besonders mit den an der Oberfläche und im Innern der Erde tätigen Kräften und deren Wirkungen beschäftigt. Man teilt die p. G. im allgemeinen in folgende Abschnitte: 1) Die Physik des festen Erdkörpers: Geologie, Orographie und Morphologie der Erdoberfläche, Schnee und Eis der Hochgebirge, Gletscher (glaziale Physik und Geologie), die vulkanischen Erscheinungen und die Erdbeben; 2) Atmosphärologie: Meteorologie, Klimatologie, meteorologische Optik und atmosphärische Elektrizität; 3) Hydrographie: die Betrachtung der Gewässer des Festlandes, Quellen, Flüsse und Seen, und Ozeanographie, die Verteilung der Meere auf der Erdoberfläche, die Physiographie der Meeresbecken, die Küstenbildung, Temperatur, Salzgehalt und chemische Zusammensetzung der Meere, die Wellenbewegungen, Ebbe und Flut und Meeresströmungen; 4) magnetische und elektrische Kräfte der Erde, der Erdmagnetismus (Deklination, Inklination und Horizontalintensität), Polarlichter. Häufig wird noch als 5. Teil die Verteilung der Organismen auf der Erdoberfläche gezählt, nämlich Anthropogeographie, Tiergeographie und Pflanzengeographie. Über die einzelnen Abteilungen s. die betreffenden Artikel. Die Entwickelung der physikalischen Geographie konnte naturgemäß erst beginnen, nachdem am Ende des 15. Jahrh. die Deklination der Magnetnadel erkannt und durch Georg Hartmann in Nürnberg 1543 die Inklination entdeckt war, und nachdem Galileis Erfindung eines Thermoskops (1597) und Torricellis Konstruktion eines Barometers (1643) gestatteten, exakte Beobachtungen über die Temperatur der Atmosphäre und über den an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten schwankenden Luftdruck anzustellen. Die barometrischen Beobachtungen wurden zu Höhenmessungen verwendet, und diese wiederum ermöglichten eine genauere Darstellung der Formen der Erdoberfläche, auch die Zeichnung von Karten mit Isohypsen und Isobathen (die erste 1737 durch Buache, s. d.). Eine eigentliche wissenschaftliche Morphologie der Erde beginnt aber erst mit A. v. Humboldt und seinem grundlegenden Werk »Über die mittlere Höhe der Kontinente« (1843). Humboldt (und neben ihm Georg Wahlenberg) ist auch der Schöpfer der Pflanzen- und Tiergeographie. Mit dem Bau und der Entwickelung der Erde beschäftigte sich zuerst in eingehender, wissenschaftlicher Weise A. G. Werner (1750–1817), der Vater der Geologie; auch die Vulkane, Erdbeben, die Gebirgsbildung, die Gletscher und die Eiszeit zogen er und seine zahlreichen Schüler (darunter A. v. Humboldt) in den Bereich ihrer Forschungen. Unterdessen wurde die Kenntnis von den Ozeanen durch Ellis (die ersten Tiefseetemperatur-Messungen, 1749), Reinhold Forster, Cooke u.a. (Tiefseelotungen) wesentlich gefördert. Doch wurde ein wirklich wissenschaftliches Verfahren mit sichern Werkzeugen und Methoden erst durch die Kabellegungen im Anfang der 50er Jahre des 19. Jahrh. angebahnt. Hand in Hand damit ging die chemische Analyse des Meerwassers und die Untersuchung des Meeresbodens (Challenger-Expedition, 1872–76, s. Maritime wissenschaftliche Expeditionen), der marinen Tier- und Pflanzenwelt, das genauere Studium der Tiefseetemperaturen, der Gezeiten und der Meeresströmungen, um deren Erforschung sich besonders Lentz und M. F. Maury (s. d.) verdient gemacht haben. Daneben beschäftigte die Untersuchung der Wärmeverbreitung auf der Erdoberfläche eine Reihe von Forschern, von denen hier nur Dove und Kämtz genannt seien; es wurden die Wärmeunterschiede der Zonen, der Gegensatz zwischen ozeanischem und kontinentalem Klima festgestellt und durch Dove (1837) eine Klärung der Ansichten über Luftdruck und Luftströmungen (Monsune, Passate, Föhn, Bora etc.), mit denen sich schon früher 1686 Halley und später 1735 Hadley beschäftigt hatten, herbeigeführt. Den langsamsten Fortschritt zeigten die Feuchtigkeits- und Niederschlagsmessungen und die Bestimmungen der magnetischen und elektrischen Kräfte der Erde. Vgl. Schmidt, Lehrbuch der mathematischen und physischen Geographie (Götting. 1829–30, 2 Bde.); Peschel, Physische Erdkunde (2. Aufl. von Leipoldt, Leipz. 1883–85, 2 Bde.); Studer, Lehrbuch der physikalischen Geographie und Geologie (Bern 1844–47, 2 Tle.); Supan, Grundzüge der physischen Erdkunde (3. Aufl., Leipz. 1903); Günther, Lehrbuch der Geophysik und physikalischen Geographie (2. Aufl., Stuttg. 1897–99, 2 Bde.), Lehrbuch der physikalischen Geographie (2. Aufl., das. 1895) und populär (in der Sammlung Göschen): Physische Geographie (3. Aufl., Leipz. 1905); Penck, Morphologie der Erdoberfläche (Stuttg. 1894, 2 Bde.); Lapparent, Leçons de géographie physique (2. Aufl., Par. 1898); v. Richthofen, Führer für Forschungsreisende (Berl. 1886); H. Wagner, Lehrbuch der Geographie, Bd. 1 (Hannov. 1903); Ule, Grundriß der Erdkunde (Leipz. 1900); Ratzel, Die Erde und das Leben (das. 1901–02, 2 Bde.); Hann, Hochstetter und Pokorny, Allgemeine Erdkunde (5. Aufl. von Hann, Brückner u. Kirchhoff, Leipz. 1896–99, 3 Bde.); Berghaus, Physikalischer Atlas (neu bearbeitet von H. Berghaus, Gotha 1886–1892, 7 Abtlgn.); Zöppritz und Hergesell, Jahresberichte in Wagners Geographischem Jahrbuch (das., seit 1880); »Beiträge zur Geophysik« (hrsg. von Gerland, Stuttg.; dann Leipz., seit 1887).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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