Patagonĭen

Patagonĭen

Patagonĭen, das südlichste Land des amerikan. Kontinents zwischen 39°10´ und 53°53´43´´ südl. Br. (Kap Froward), begrenzt vom Atlantischen Ozean im O., dem Rio Negro im N., dem Rio Limay im NW., den Anden im W., der Magalhãesstraße im S. und 793,980 qkm groß, wovon nach dem Vertrag vom 23. Juli 1881 auf Argentinien (Gouvernements Rio Negro, Chubut und Santa Cruz) 672,593 qkm, auf Chile 121,387 qkm entfallen. Die meist bergige und vegetationslose Küste hat eine Reihe bedeutender Einschnitte, wie Bahía Blanca, Golfo de San Matias, Golfo Nuevo, Golfo de San Jorge etc.; doch ist an guten Häfen Mangel. Nach dem Innern steigt das Land in Terrassen zu einer einförmigen Hochebene mit Bergen bis zu 1500 m auf, die von zahlreichen Tälern (Bajos) durchschnitten wird und bis zu den die Westgrenze bildenden Anden reicht (im N. der Vulkan Tronado 2980, im S. der Chalten 2170 m). Die Brauchbarkeit der von letztern gegen O. ziehenden Flüsse wird durch Stromschnellen am Abfall der Terrasse und Verstopfung der Mündungen stark beeinträchtigt. Sie werden durch die großen Seen gespeist, die den Andenabfall umsäumen. Im N. entsendet der große Nahuel Huapi den Limay zum Rio Negro, weiter südlich der Fontana den Senger, der später die Seen Colhue und Musters durchzieht, zum Rio Chubut; der See Buenos Aires fließt zum Deseado und die Seen Chacabuco, San Martin, Viedma und Argentino zum Santa Cruz ab. Seiner geologischen Beschaffenheit nach besteht der östliche Hauptteil des Landes aus tertiären, nahezu horizontal gelagerten gröbern und feinern Sandsteinen, Mergeln, Tonen und Konglomeraten, die größtenteils von jüngern, quartären Bildungen und glazialen Geröllmassen bedeckt sind (vgl. auch Pampas). An verschiedenen Stellen sind die Tertiärsedimente von vulkanischen Gesteinen durchbrochen und überlagert; auch aus den Anden sind vulkanische Gesteine und noch tätige Vulkane bekannt. Hier treten unter dem Tertiär, das den O. von P. einnimmt, zunächst stark gefaltete Kreideschichten hervor. Weiter nach W. folgen ebenfalls cretazeïsche Tonschiefer mit eingelagerten Sandsteinen, dann kristallinische Schiefer, an die sich im westlichen Teile der Kordillere granitische Gesteine anschließen. Auch die Inseln an der Westküste bestehen meist aus Glimmerschiefer, Phyllit und anthrazitischem Schiefer mit untergeordnetem Granit. Braunkohlen kommen im Tertiär im S., z. B. bei Punta Arenas, vor; auch Eisenstein und Gold ist gefunden worden. S. Karte »Südamerika«.

Das Klima ist keineswegs so unwirtlich, wie frühere Berichterstatter angeben. Während die Westküste von einer kalten Meeresströmung bespült wird, wird die Ostseite von einem Ausläufer der südlichen Äquatorialströmung berührt. Daher ist letztere entschieden wärmer, besonders im südhemisphärischen Sommer. Wegen des nach S. abnehmenden Luftdruckes überwiegen westliche Winde, die mit wachsender Breite nach S. hin an Stärke zunehmen. Daher ist die Westseite viel regenreicher als die Ostseite. – Temperatur Puerto Montt (s. d.) Jahr 11°, mittlere Jahresextreme 25,9° und -1,4°, Bahia Blanca Jahr 15,2°, mittlere Jahresextreme 38,2° und -21,8°, Punta Arenas Jahr 6,2°, mittlere Jahresextreme 24,6° und -2°. Regenmengen: Puerto Montt 245, Punta Arenas 57, Bahia Blanca 49 cm. An den Westabhängen der Anden findet reichlicher Schneefall statt, daher mächtige Firnflächen und Gletscher, von denen einer bis zum Meer hinreicht (Höhe der Schneelinie im Feuerland 1200 m). – Am Nordrand Patagoniens, am Rio Negro, hört die Grassteppe der Pampas auf, und es folgt bis zur Südspitze eine pflanzenarme Steppe. Niedriges Dorngebüsch wechselt ab mit Büscheln braunen, harten Grases, und die geringe Zahl der vorkommenden Pflanzenarten setzt sich zusammen aus strauchartigen Kompositen, Plantago-, Verbena-, Acaena- und Margyricarpus-Arten. Anders ist die Westküste. Die mächtige Koniferenwaldregion der chilenischen Anden greift auch über deren Osthang hinüber und bildet Waldungen von Koniferen (Araucaria imbricata, Libocedrus tetragona, Fitzroya patagonica, Podocarpus u.a.). Es treten hinzu Laurazeen und Monimiazeen (Persea, Peumus), Rosazeen (Eucryphia cordifolia), Magnoliazeen (Drimys Winteri) und immergrüne oder blattwechselnde Buchen (Fagus betuloides, Dombeyi, obliqua u.a.). – In seiner Tierwelt bildet P. den Hauptteil der patagonischen Subregion der neotropischen Region. Das Guanako wandert in Rudeln über die baumlosen, von Gürteltieren durchwühlten Sandebenen; Hirsche gehen bis zur Südspitze Patagoniens, oft- und westwärts der Anden haust der große Caypu (Myopotamus), und die Küsten werden von der Mähnenrobbe (Otaria jubata) besucht. Von Raubtieren finden sich der Puma (Felis concolor), der Tschati (Felis mitis), die Pampaskatze (Felis pajeros), der brasilische Fuchs (Canis azarae), von den zahlreichen Vögeln bevölkern die kleinen amerikanischen Strauße oder Nandus (Rhea) in Scharen die Ebenen. Reptilien, Amphibien und Fische sind nur schwach vertreten (eine Klapperschlange ist bis P. verbreitet). Von Insekten überwiegen die dunkelgefärbten, speziell unter den Käfern die Melanosomen.

Die ursprünglichen Bewohner, von den Europäern Patagonier (s. Tafel »Amerikanische Völker II«, Fig. 14), von den Araukaniern Tehuelche (Tehuelischen) oder Chuelche (Tschultschen, d.h. Südvolk) genannt, während sie sich selbst Thoneca nennen, haben nach d'Orbigny eine mittlere Größe von 173 cm, plumpen, starkknochigen Körperbau, großen Kopf, aber kleine Hände und Füße, breites Gesicht, kleine Augen, Stumpfnase, großen Mund und vortretendes Kinn. Das Kopfhaar ist schwarz, grob und schlicht, die Behaarung sonst gering. Der Bart wird ausgerupft. Die Patagonier sind Jäger. Ihr Reichtum sind Pferde und Hunde. Ihre Kleidung besteht in Mänteln aus Guanakohäuten, wozu im Winter eine wollene Decke kommt (vgl. auch Tafel »Rauchgeräte I«, Fig. 23). Ihre Wohnungen sind Zelte (Toldos) aus Guanakohäuten, die sie bei ihrem herumstreifenden Leben von einem Platze zum andern tragen. Sie leben in einzelnen Horden, die bei Kriegen oder Raubzügen sich vereinigen und einen gemeinsamen Anführer ernennen. Die Blutrache ist bei ihnen Gesetz. Ihre Waffen sind Lanzen, Wurfschlingen und Wurfkugeln (Bolas), in neuerer Zeit auch Feuerwaffen. Von Natur gelten sie für friedfertig, offen und ehrlich. Zu diesen ursprünglichen Einwohnern sind seit 1832, von Rosas über den Rio Negro getrieben, zahlreiche Pampasindianer gekommen. Die Grenze ist durch eine Reihe von Forts am Rio Negro geschützt worden. Die Patagonier, heute höchstens 3000, leben fast ausschließlich im südlichsten Teile des Gebietes.

Die ersten Kolonisationsversuche der Spanier scheiterten. Die 1581 an der Magalhãesstraße angelegte Kolonie Felipe (Port Famine, s. d.) ging nach wenigen Jahren durch Hunger zugrunde. Auch die an der Ostküste 1780 angelegten Kolonien hatten nur einen kurzen Bestand, mit Ausnahme von Carmen de Patagones (s. d.). Eine von Chile an der Magalhãesstraße gegründete Verbrecherkolonie am Port Famine ging schon nach kurzem Bestand (1843–51) wieder ein. Dagegen haben die 1865 von Walisern angelegte Kolonie Chubut (s. d.) und die meist englische Kolonie Santa Cruz gute Fortschritte gemacht. Viel besser aber als diese Küstenbezirke eignen sich für die Kolonisation die am Fuße der Anden gelegenen fruchtbaren Ländereien. Seit 1869 ist das Land von Musters, argentinischen Offizieren und Gelehrten (Moreno, Moyano, Fontana u.a.) erforscht worden. Vgl. d'Orbigny, Voyage dans l'Amérique méridionale, Bd. 2 (Par. 1838); King, Fitzroy und Darwin, Voyage of the Beagle, etc. (Lond. 1839, 4 Bde.); Musters, Unter den Patagoniern (deutsch von Martin, Jena 1873); Quesada, La Patagonia (Buenos Aires 1875); Beerbohm, Wanderings in Patagonia (Lond. 1878); Ramon Lista, Mis esploraciones y descubrimientosen la Patagonia (Buenos Aires 1880); Lady Flor. Dixie, Across Patagonia (New York 1881, neue Ausg. 1901; deutsch, Leipz. 1882); Oblegado, Esploraciones de los Rio Negro y Limay (Buenos Aires 1882); Boye, Patagonia, Terra del Fuoco, Mari australi (Genua 1883); Lucy-Fossarieu, Ethnographie de l'Amérique antarctique. Patagons, etc. (Par. 1884); Albaracin. Estudios generales sobre los Rio Negro, etc. (Buenos Aires 1886); Burmeister, Relacion de un viaje á la Gobernacion del Chubut (das. 1888) und Breves datos sobre una excursion á Patagonia (das. 1891); Fonck, Viajes de Fray Francisco Menendez á la Cordillera (Valparaiso 1896) und Viajes etc. a Nahuelhuapi (das. 1900; behandelt die 1791–94 ausgeführten vier Reisen des Franziskanermönchs Menendez nach der alten Jesuitenmission); Carbajal, La Patagonia (Turin 1900, 4 Bde.); H. de la Vaulx, Voyage en Patagonie (Par. 1901); Prichard, Through the heart of Patagonia (New York 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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