Athos

Athos

Athos (neugriech. Hagion Oros, türk. Aineros, ital. Monte Santo, »heiliger Berg«), östlichste der drei Landzungen der Chalkidischen Halbinsel, ein 50 km langes und bis 10 km breites, durch eine schmale, niedere Erdzunge mit dem Festland verb undenes Bergmassiv, das sich im Berg A. zu 1935 m Höhe erhebt. Üppiger Laub- und Strauchwald, vermischt mit Reben-, Öl- und Obstpflanzungen, bedeckt die von zahlreichen Meereseinschnitten und Felsenvorsprüngen umsäumte, von Schluchten und Tälern durchsetzte Halbinsel. In der alten Geschichte ist sie berühmt durch den Untergang der persischen Flotte unter Mardonios 492 v. Chr., den die am A. tobenden Stürme herbeigeführt hatten, weshalb Xerxes vor seinem Zuge gegen Hellas 483 einen in Spuren noch heute sichtbaren Kanal durch die niedrige Landzunge graben ließ, den 3 Jahre später über 1200 Dreiruderer passierten. Jetzt ist die Halbinsel merkwürdig als Sitz einer eigentümlichen Mönchsrepublik, die 20 große Klöster, 12 Dörfer (Skiten), 250 Zellen und 150 Einsiedeleien mit 6000 meist griechischen und russischen Mönchen umfaßt. Den letztern werden neuerdings politische Umtriebe zugeschrieben. Jede der griechischen Kirche angehörende Nation besitzt unter den Klöstern eins oder mehrere, die jährlich von zahlreichen Pilgern griechisch-orthodoxer Religion besucht werden. Die Privilegien, welche die in völliger Abgeschiedenheit lebenden Mönche genießen, verdanken sie Murad II., weil sie sich noch vor der Eroberung Konstantinopels freiwillig unterwarfen. Noch heute darf sich kein Mohammedaner im heiligen Bezirk niederlassen. Die Regierung der geistlichen Republik führt die aus 20 Abgeordneten (einem aus jedem Kloster) und 4 Vorstehern bestehende heilige Synode von Karyäs, dem reizend gelegenen Hauptort der Halbinsel. Die berühmtesten Kloster sind St. Lavra, am Fuße des weithin im Archipel sichtbaren Berges A., auf dessen höchstem Gipfel die Kapelle der Verklärung steht, Vatopädi und das äußerst malerisch gelegene Zographu. In der innern Regierungs- und Verwaltungsform der Klöster besteht seit alters ein merkwürdiger Unterschied. Die einen, die eigentlichen Cönobien, stehen unter einem Abt (Hegumenos); die andern, die sogen. Monastira idiorrhythma, haben eine republikanische Verfassung. In jenen führen die Mönche ein Leben der Gemeinsamkeit, in diesen leben sie nach ihrem Belieben und erhalten vom Kloster nur Brot und Wein. Die Lebensart auf dem A. ist äußerst mäßig und streng; kein Weib darf das Gebiet betreten. Die außer den Klöstern auf dem A. befindlichen Skiten sind Gruppen von etwa 60 einzelnen Häusern, in deren jedem 4–5 Mönche zusammen wohnen, noch strengerer Zucht und härtern Bußübungen unterworfen als in den Klöstern selbst. Wissenschaftliche Studien treibt man auf dem A. nicht, während er im Mittelalter der Hauptsitz griechischer Gelehrsamkeit und christlich-byzantinischer Kunst war. Die Zahl der Handschriften der Klosterbibliotheken (meist theologischen Inhalts) wird auf 13,000 geschätzt, die teilweise zu den kostbarsten Kleinodien der Diplomatik und Paläographie gehören. (Katalog der griechischen Handschriften von Lambros, Cambridge 1895–1900, 2 Bde.)

Geschichte der Athosklöster. Den Namen A. leiten die Alten gewöhnlich ab von dem Giganten Athos, der im Kampf mit den Göttern den Berg aus Thessalien hierher geschleudert haben soll. Schon in vorchristlicher Zeit war der A. ein Heiligtum der umliegenden Völker, dessen Bewohner von Spenden der Pilger lebten. Die Spitze des Bergkegels, wo heute das Kirchlein Mariä Himmelfahrt steht, krönte ein Kolossalbild des thrakischen Zeus, und in einem Tempel am Strande (jetzt Abtei des Philotheos) feierte man jährlich ein großes Fest sämtlicher Athoniten. Christliche Eremiten traten auf dem A. um die Mitte des 9. Jahrh. auf; um 880 wurden Kloster erbaut, die den A. als ihr Eigentum erhielten, aber von Arabern und Sarazenen viel zu leiden hatten. Der eigentliche Begründer der Klosterkolonie wurde um 968 der Mönch Athanasios, der das Musterkloster St. Lavra erbaute; byzantinische Mönchspraxis mit Handarbeit und Gebet, gemeinschaftlicher Mahlzeit und Unterwerfung aller unter einen einzigen gaben der Kolonie Halt. Seitdem erhoben sich unter Konstantin Monomachos (1042–54) neben Lavra andre Klöster im großen Stil, namentlich Xeropotamu und Vatopädi, neben einer Menge steingemauerter Klausen mit Kirche, Garten, Ackerfeld, Obstwald und eingefriedigtem Besitz: im ganzen über 180 selbständige Anlagen mit 700 Mönchen. Aus der Grasdachhütte und dem Zentralkirchlein ward nach und nach ein prachtvoller Tempel nebst Klafter, daneben die fortlaufende Marktgasse mit Kaufläden und Arbeitsschuppen, gepflasterte Nebengassen, Häuser, Kapellen, Gärten, die kleine Hauptstadt des A. Die Erbauung der 20 Großabteien, die man jetzt auf dem A. findet, fällt zwischen 970 und 1385; die jüngste ist St. Dionys. A. ward nach dem Verfall des griechischen Kaiserreichs das neue Jerusalem der Slawen und Rumänen; was der Klosterbund heute besitzt, stammt aus den Slawenländern an der Donau und aus Rußland. Von den 20 Großabteien sind Chilantari, Zographu, Simopetra, St. Paul, Xenophu und Russiko serbo-bulgarische Stiftungen, acht andre: St. Gregorio, Karakalu, Dochiario, Kutlumusi, Xeropotamu, Pantokratoros, das trapezuntische St. Dionys und selbst das prachtvolle Lavra, Schöpfungen der Fürsten von Jassy und Bukarest. Keinen Anteil, weder an der Gründung noch an der Wiedererneuerung, haben die Slawowalachen nur an Iwiro, Protato, Esphigmenu, Philotheu, Kastamonitu und Stavronikita.

Vor der athanasianischen Reform hießen die Einsiedler Hesychasten (Ruhende), was das völlige Versunkensein des Geistes in Gott bezeichnen sollte, das man durch unverwandtes Anschauen von Brust und Nabelgegend zu erreichen meinte. Durch Bekämpfung dieser Schwärmerei erregte im 14. Jahrh. der lateinische Mönch Barlam einen Streit, der dadurch beendigt ward, daß ein Konzil in Konstantinopel das geheimnisvolle Licht, das die Athosbewohner erblicken wollten, mit dem unerschaffenen Licht des Berges Tabor für identisch erklärte. Um 1765 wurde Vorstand der Akademie von Vatopädi der gelehrte Korfiot Eugenius Bulgari; er fand nur sieben Schüler vor, bald aber strömte aus der Türkei, aus Rußland und Italien eine so große Anzahl herzu, daß die Akademie gegen 200 Zöglinge in 170 Zellen zählte. Doch die Athosmönche zwangen den einer freien Philosophie huldigenden Bulgari, seinen Posten zu verlassen. Das Institut verkümmerte und ward endlich als »gefährlich für Religion und Sittlichkeit« durch den ökumenischen Patriarchen aufgelöst. Vgl. Fallmerayer, Fragmente aus dem Orient (2. Aufl., Stuttg. 1877); Gaß, Zur Geschichte der Athosklöster (Gießen 1865); Langlois, Le mont A. (Par. 1866); Lambros, Ein Besuch auf dem Berge A. (deutsch, Würzb. 1881); Ghédéon, Der Berg A. (griech., Konstant. 1885); Riley, Athos, the mountain of the monks (Lond. 1887); Miller, Le mont A. (Par. 1889); H. Brockhaus, Die Kunst in den Athosklöstern (Leipz. 1891); Ph. Meyer, Die Haupturkunden für die Geschichte der Athosklöster (das. 1893).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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