Gelenkentzündung

Gelenkentzündung

Gelenkentzündung, zahlreiche, in ihrem anatomischen Sitz, ihrem Verlauf, ihren Krankheitserscheinungen und ihren Ausgängen verschiedene Gelenkübel. Die G. des Kniegelenks heiß Gonitis, die der Hüfte Coxitis; der allen Gelenkentzündungen gemeinschaftliche Name Arthritis wird häufig für die gichtische G., die Gicht, vorbehalten. Die meisten, wenn nicht alle Gelenkentzündungen entstehen auf metastatischem Wege, d. h. die Erreger bestimmter Krankheiten, wie z. B. des Typhus, Scharlach, Tuberkulose, Syphilis, der einfachen akuten oder chronischen Entzündungen und Eiterungen der Haut, der Mandeln, Knochen, Schleimhäute, Lymphdrüsen etc., werden durch den Blutstrom in das Gelenk verschleppt, siedeln sich dort in der das Gelenk auskleidenden serösen Haut (Synovialhaut) an und rufen eine Entzündung der letztern (Synovitis) hervor, wobei Verletzungen und Erkältungen nur als das Gelenk zur Entzündung prädisponierende Ursachen angesehen werden können. So findet bei der Gicht (Arthritis urica) eine krankhafte Anhäufung harnsaurer Salze im Blut statt, die eine Entzündung durch Ablagerung dieser Salze in die Gelenkauskleidungen hervorrufen. Ferner gehören hierhin der sogen. Tripperrheumatismus und alle Arten der G., die im Verlauf schwerer Wundkrankheiten, der Pyämie, Septichämie, Kindbettfieber, Syphilis und ähnlicher fieberhafter Allgemeinleiden zur Beobachtung gelangen. In ähnlicher Weise entsteht die tuberkulöse G., der Tumor albus chronicus oder Caries tuberculosa, durch in die Gelenkhöhle hineingelangte Tuberkelbazillen. Ihnen allen liegt die Aufnahme mikroskopischer Keime ins Blut zugrunde, bei allen sind es Bakterien, die als Ansiedler und als örtliche Entzündungserreger in den Gelenkhäuten vorgefunden werden. Eine besondere Art von Gelenkentzündungen erzeugen noch Ernährungsstörungen, die im höhern Alter auftreten, besonders den knorpeligen Überzug betreffen und sich durch besonders schleichenden Verlauf auszeichnen (Arthritis deformans). Die G. spielt sich in erster Linie auf der Synovialmembran ab, zieht aber bei längerer Dauer auch Knorpel, Knochen und Bänder in ihren Bereich. Entzündet sich die Synovialmembran aber, so sondert sie als seröse Haut ebenso wie z. B. das Brustfell eine wässerige (Synovitis serosa acuta) oder mehr fibrinöse (Synovitis fibrinosa seu sieca) oder eine eiterige Ausschwitzung (Synovitis purulenta) ab.

1) Bei der akuten G. unterscheidet man nach der Beschaffenheit der entzündlichen Ausschwitzung zwei Formen, die seröse und die eiterige. Bei der serösen ist die in die Gelenkhöhle abgesonderte Flüssigkeit wässerig, trübe, manchmal mit Faserstoffflocken vermischt. Das Gelenk ist dabei geschwollen, gerötet, bei Bewegungen schmerzhaft; zuweilen besteht Fieber in mäßiger Höhe. Diese Krankheit verläuft gutartig, so daß bei Ruhigstellung des Gliedes im festen Verband die Wasseransammlung in einigen Wochen aufgesogen wird, oder sie geht durch Steigerung der Entzündung in Eiterung über, oder es entwickelt sich unter Ausdehnung der Gelenkkapsel und Nachlaß der Schmerzen eine chronische Gelenkwassersucht (Hydrops articuli chronicus, Hydarthrosis). Am häufigsten tritt dies ein bei G. am Knie, demnächst im Ellbogen-, Fuß- und Handgelenk. Am Knie nimmt die Wasseransammlung zuweilen derart zu, daß der Wassersack, infolge Übertritts des Gelenkergusses aus der Gelenkhöhle in den mit letzterer in Verbindung stehenden, unter den Muskeln der Vorderseite des Oberschenkels (quadriceps) belegenen großen Schleimbeutel, über die halbe Höhe des Oberschenkels hinausreicht, daß die Gelenkflächen voneinander gedrängt werden und das Gehen unmöglich wird. In solchem Fall und überhaupt bei sehr verzögerter Aufsaugung muß die Flüssigkeit mittels eines Trokars entleert werden, manchmal zu wiederholten Malen. In vielen Fällen führt aber Pinselung der Gelenkgegend mit Jodtinktur, Kompression mit Gummibinden und vor allem Massage auch bei chronischen Ergüssen zur Heilung. Ursachen der serösen G. sind Erkrankungen in den dem Gelenk benachbarten Knochen und Weichteilen, vor allem aber die verschiedensten Infektionskrankheiten, deren Erreger sich in den Gelenken ansiedeln, oder die durch Erzeugung von Giften, die im Blute zirkulieren, entzündungerregend wirken.

2) Bei der eiterigen G. (Gelenkeiterung, Empyem des Gelenkes) nehmen Schwellung und Rötung hohe Grade an und erstrecken sich über große Teile der befallenen Glieder, die Schmerzhaftigkeit ist sv gesteigert, daß jede Bewegung aufs äußerste empfindlich, die Lage des Gliedes nur bei völliger Erschlaffung der Kapsel, d. h. bei halber Beugung, noch möglich ist. Das Fieber ist um so lebhafter, je größer die Gelenkfläche, von der die Aufnahme der Entzündungsprodukte ins Blut stattfindet. Bei den leichtern, sogen. katarrhalischen Eiterungen ist nur die Synovialhaut blutreich und geschwellt, bei schwereren entstehen in ihr, ferner in den Gelenkknorpeln, dem unterliegenden Knochen und den Gelenkbändern durch brandiges Absterben Substanzverluste, auch kann der Eiter in die Umgebung der Gelenke durchbrechen. Die akute eiterige G. ist in vielen Fällen eine Begleiterscheinung von akuten Infektionskrankheiten, meist findet man dann den Krankheitserreger auf dem Blutweg in das Gelenk gelangt. Häufig entsteht die eiterige G. als Begleiterscheinung des Eiterfiebers (s. Pyämie) durch metastatische Verschleppung der Eiterkokken; in solchen Fällen wird die Pyämie zum tödlichen Ausgang führen, unabhängig von der G. Liegen harmlosere Erkrankungen zugrunde, oder ist die eiterige G. durch Eröffnung eines Gelenkes infolge einer Verletzung entstanden, so führt eine sachgemäße Behandlung in vielen Fällen zur Heilung. Diese wird meistens in Eröffnung des Gelenkes und Entleerung des Eiters bestehen, durch Stich oder, namentlich bei sehr akuter, hochfieberhafter Entzündung, durch breite Eröffnung mit dem Messer. Auch antiseptische Ausspülung ist in solchen Fällen angezeigt. Häufig, namentlich nach schon eingetretener Zerstörung von Gelenkteilen, bleibt Verwachsung und Gelenksteifigkeit (s.d.) zurück. Bei diesen langwierigen Fällen sind die warmen Bäder von Teplitz, Wildbad, Gastein, Wiesbaden und Öynhausen oft von vortrefflicher Wirkung.

3) Die chronisch beginnende fungöse G. (weiße Gelenkgeschwulst, Gliedschwamm, Tumor albus) beruht auf Tuberkulose. Auch diese Form geht von der Synovialhaut aus; diese verdickt sich langsam durch Bildung eines schwammig-sulzigen Granulationsgewebes ohne reichlichere Eiterabsonderung, ohne Fieber und entzündliche Rötung, aber mit weißer, teigiger Schwellung der ganzen Umgebung. Das Granulationsgewebe ist mit echten Tuberkeln völlig durchsetzt. Bald beteiligt sich der knorpelige Überzug der Gelenkenden; er geht zugrunde, aus dem bloßgelegten Knochen schießen neue Fleischwärzchen auf, die mit den Ausfüllungsmassen der Gelenkhöhle verwachsen und Steifigkeit bedingen können oder zur tiefer greifenden Knocheneiterung (Karies) mit Knochenauftreibung, Nekrose und Fistelbildung (Gelenkverschwärung, Arthrocace) führen. Der Kräftezustand leidet dabei beträchtlich, und nicht selten gehen die Kranken an Abzehrung, Lungenschwindsucht, allgemeiner Tuberkulose oder Speckentartung der Unterleibsdrüsen zugrunde. Bei der Behandlung ist das Augenmerk vorwiegend auf die Erhaltung und Besserung des Ernährungszustandes zu richten, Solbäder und Waldluft sind bei Kindern besonders von Nutzen. Das Gelenk selbst ist frühzeitig durch Operation von tuberkulös erkrankten Weichteilen zu befreien, bei beginnendem Knochenfraß (Karies) ist die Resektion vorzunehmen, wobei man darauf zu achten hat, daß man immer im gesunden Gewebe operiert. Gegen tuberkulöse Fistelbildungen wurde die Wundbehandlung mit Jodoform empfohlen. Neuerdings hat sich die Stauungshyperämie (s. Hyperämie) vielfach bewährt.

4) Die deformierende G. (Arthritis deformans oder nodosa) beginnt gleich von Anfang an in dem Knorpelüberzug und den knöchernen Gelenkenden und ist dadurch von allen den vorgenannten Arten der G. unterschieden. Sie ist ein Leiden des Greisenalters und heißt, da ihr gewöhnlichster Sitz im Hüftgelenk ist, auch Malum senile coxae. Eine Entzündung ist sie eigentlich nicht, ohne Eiterung, ohne Gelenkschwellung und Fieber verläuft die Krankheit schleichend Jahre hindurch und gibt sich nur durch Gehstörungen kund, die durch Abschleifung des Gelenkkopfes in seiner Pfanne bedingt werden. Die Gestaltveränderungen der knöchernen Gelenkteile erreichen dabei oft hohe Grade, an Stelle der schwammigen Textur tritt ein Knochengewebe von elfenbeinerner Härte, die Synovialmembran wird nur sekundär in den Prozeß einbezogen und zur Schrumpfung gebracht. Nicht selten lösen sich verdickte Zotten der Membran oder gewucherte knorpelige Gewebsstücke beim Bewegen ab und bleiben dann als freie Körper, sogen. Gelenkmäuse (s.d.), in der Höhle liegen. Sie bewirken oft durch ihr Hineingeraten zwischen die gleitenden Flächen plötzliche schmerzhafte Störungen beim Gehen und müssen durch Einschnitt entfernt werden. Jede der früher erwähnten Formen kann später in das Krankheitsbild dieser schleichenden G. übergehen, auch schon in jüngerm Lebensalter. Die Behandlung verspricht nur mäßige Erfolge. Das Gelenk muß täglich mäßig gebraucht werden, warme Bäder und passende künstliche Bandagen erleichtern wesentlich die in ihren Ursachen nicht angreifbaren Funktionsstörungen (vgl. Arthropathia tabidorum).

5) Bei der Arthritis urica findet man auf den Knorpeln und an den Zotten der Synovialis bröckelige, kreidige, meist aus harnsaurem Natron bestehende Massen (s. Gicht).

6) Bei der syphilitischen G. endlich können sich syphilitische Geschwülste (sogen. Gummigeschwülste) in Knochen, Knorpel u. Synovialis entwickeln, von denen oft weiße, glatte, glänzende, unregelmäßig strahlige Narben zurückbleiben. Immer werden sich bei dieser G. an andern Körpergegenden anderweitige Anzeichen von veralteter Syphilis finden. Diese G. ist wohl heilbar, kann aber ebenfalls durch Wucherung der benachbarten Knochenhaut und der Knorpel zu entsprechenden Auswüchsen und endlich auch zur Gelenksteifigkeit und Gelenkverödung führen. – Die G. der Kinder (Pädarthrocace), die bei Kindern vorkommende G., befällt namentlich die Gelenke zwischen Finger und Mittelhandknochen und ist von Austreibung der Gelenkenden, Schiefstellung der Finger etc. begleitet. Von dieser G. werden meist nur mit skrofulösem Habitus oder mit ererbter Syphilis behaftete Kinder befallen. Der größte Teil dieser Formen ist tuberkulöser Natur und wie der Gliedschwamm (s. Gelenkentzündung 3) zu behandeln. Vgl. Schömann, Das malum coxae senile (Jena 1851); Schüller, Pathologie und Therapie der Gelenkentzündungen (Wien 1887) und Literatur bei »Gelenkkrankheiten«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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