- Wassersucht
Wassersucht (Hydrops), im allgemeinen jede krankhafte Ansammlung von wasserähnlicher Flüssigkeit an irgendwelcher Stelle des Körpers, ist niemals eine Krankheit für sich, sondern immer nur ein Symptom eines schwerern, in der Regel Herz oder Nieren oder beide Organe in Mitleidenschaft ziehenden Leidens. Befindet sich das Wasser nur unter der Haut, d. h. in den Maschen des Unterhautbindegewebes, so spricht man von H. anasarca, Hautwassersucht oder Odem; ist es frei in die natürlichen Höhlen des Körpers ergossen, so bezeichnet man die W. als Bauch- (H. ascites), Brust- (Hydrothorax), Herzbeutel- (Hydropericardium), Gehirn- (Hydrocephalus), Kniegelenk- (Hydrops genu), Hodenwassersucht (Hydrocele) etc. Als Sackwassersucht (H. saccatus, cysticus) bezeichnete man früher die Wasseransammlung in pathologisch neugebildeten Säcken und Höhlen. Die Quelle aller wassersüchtigen, d. h. hydropischen Flüssigkeiten ist das Blut. Sie bestehen aus Wasser mit geringem Gehalt an Eiweiß und Salzen. Sie sind klar, rötlich, gelblich oder grünlich, zuweilen auch trübe und flockig; dabei sind sie bald dünnflüssig, bald dicker, kleberig und schleimig. Sie reagieren gewöhnlich alkalisch, selten neutral.
1) Allgemeine W. bedingen schwere chronische Ernährungsstörungen, bei denen das Blut wasserreicher wird, als es normal sein soll. Häufig sind dabei auch Schädigungen der Blutgefäßwände vorhanden, so daß sie leichter durchlässig für das Blutplasma werden. Dahin gehören langwierige Eiterungen, Skorbut, erschöpfende Blutverluste, Lungenschwindsucht in ihren letzten Stadien u. a. Ganz gewöhnlich ist allgemeine W. vorhanden bei chronischen Nierenentzündungen, bei denen nicht nur das Blut durch Verminderung der Harnabscheidung wasserreicher wird, sondern auch die Blutgefäßwände durch krankhafte Stoffe geschädigt sind. Am häufigsten ist W. bei Blutstauungen infolge von Kreislaufstörungen, also vor allem bei Herzschwäche. Daher begleitet W. oft die letzte Lebenszeit bei vielerlei Krankheiten.
2) Örtliche W. wird durch chronische Entzündung und daraus folgende Absonderung wässeriger Flüssigkeit bedingt (soz. B. Gehirnwassersucht, Wasserbruch, Gelenkentzündung, Brustwassersucht), oder sie entsteht infolge örtlicher Kreislaufshindernisse, z. B. durch Druck einer Geschwulst, einer Flüssigkeitsansammlung auf eine stärkere Blutader, durch Erschwerung des Pfortaderkreislaufs bei Leberkrankheiten (Cirrhose), durch Verstopfung einer Blutader durch Gerinnsel (Thrombenbildung), wobei dann die W. stets die jenem verschlossenen Gefäß angehörende Gewebsprovinz allein befällt. Zuweilen kommt W. angeboren vor, wobei besonders Syphilis der Eltern den Grund abgibt, oder wo fötale Entzündungen des Mutterkuchens oder der Eihäute Erschwerung des Blutumlaufs auch ohne allgemeine Krankheiten der Mutter bedingt haben. Auf solcher embryonalen Hydropsie beruhen der Wasserkopf, der Wirbelspalt (spina bifida), Blasenspalt u. a.
Die Erscheinungen der W. beginnen bei den allgemeinen Störungen, z. B. den Herzfehlern, an den entferntesten Punkten der Peripherie, wo im normalen Zustande die Zirkulation die meisten Hindernisse zu überwinden hat, und es erfolgt daher zuerst Anschwellung der Knöchel und Füße, dann allmählich Erguß in die freie Höhle des Brustraumes, des Herzbeutels, des Bauchraumes, in die ganze Körperhaut. Die allgemeine W. ist stets ein überaus schweres Krankheitssymptom für den Gesamtorganismus; sie ist oft, da die Ursache einer Besserung nicht zugänglich ist, unheilbar und macht zuletzt das Bestehen des Organismus durch den Mangel an Zufuhr eines für die Ernährung seiner Organe tauglichen Blutes unmöglich. Die Kennzeichen der W. an der äußern Haut sind. Geschwulst von weicher, teigiger Beschaffenheit, ohne erhöhte Temperatur, schmerzlos, höchstens zuweilen ein spannendes Gefühl, blasse oder nur schwach gerötete, manchmal glänzende, manchmal auch trockene Haut, von der sich auch die Epidermis zuweilen abschelfert. Wassererguß im Bauchraum wird bei größerer Flüssigkeitsmenge erkannt durch Aufgetriebensein des Bauches; auch tritt wohl der Nabel hervor; Wassererguß im Brustraum kann nur durch genaue physikalische Untersuchung der Brust erkannt werden. Die Behandlung hat ins Auge zu fassen: die Bekämpfung des der jeweiligen Art der W. zugrunde liegenden Moments und dessen Beseitigung. Bei W. aus hydrämischer Blutbeschaffenheit kommt es vor allem darauf an, das Blut durch geeignete Ernährung und Beseitigung der Grundkrankheit zu verbessern. Von den Grundursachen der W. sind namentlich die Herzkrankheiten häufig einer Behandlung zugänglich; in diesem Falle verschwindet die W., wenn die Herzkraft sich hebt, daher dienen alle herzstärkenden Mittel zur Beseitigung der W. Weniger leistungsfähig, aber oft nicht entbehrlich ist die künstliche Wasserentziehung durch Anregung der Nierentätigkeit (harntreibende Mittel), der Schweiß-, Speichel- und Darmabsonderung (Abführmittel). Lokale Wasseransammlung muß häufig durch Einstich mit einer Hohlnadel (Paracentese) abgelassen werden, besonders bei Bauch- und Brustwassersucht; freilich ist diese Hilfe fast nie von langer Dauer, weil die wassererzeugende Ursache fortdauert. Bei bedeutender Spannung der Haut in der Hautwassersucht entleert man Wasser durch Schröpfköpfe oder flache Einschnitte, wobei man sorgsam anti- und aseptische Vorsichtsmaßregeln gebrauchen muß, da sonst die vielen kleinen Hautwunden zur Entstehung von Wundrose oder ähnlichem bieten.
Auch bei Haustieren kommen aus ähnlichen Ursachen wie beim Menschen alle Formen wassersüchtiger Zustände vor. Chronische Bauchwassersucht ist namentlich bei alten Hunden häufig. Vor allem aber neigen Schafe allgemein zu Wassersucht. Es bildet sich bei ihnen leicht wässerige Durchtränkung des Fleisches und der Unterhaut (anasarca) aus, bei weißen Schafen verstärkt sich merkwürdigerweise unter dem Einfluß der Sonnenstrahlen diese Wässerigkeit der Unterhaut bis zur Ausbildung einer kropfartigen Geschwulst (Wasserkropf). Auch bei Rindern entsteht nicht selten unter dem Einfluß unpassend gemischter, zu wasserreicher und stickstoffarmer Nahrung (namentlich durch zuviel Rübenschnitzel etc.) eine chronische Hydrämie, wobei sich nach dem Schlachten allgemeine wässerige Durchtränkung der Unterhaut (Zellgewebswassersucht des Rindes) und namentlich des ganzen Fleisches findet. Solches Fleisch ist blaß und schlaff, trieft bisweilen förmlich und ist nach den Regeln der Fleischbeschau als untauglich zum Genuß, bei mäßiger W. als minderwertig zu behandeln. Bei Lebzeiten der Tiere ist eine Besserung der W., die sich durch Mattigkeit, Blässe der Schleimhäute, Verschlechterung der Verdauung und Beinschwellungen kennzeichnet, durch Änderung des Futters, namentlich durch Trockenfutter und Kraftfutterzulagen, zu erzielen.
In der Gärtnerei heißt W. ein krankhafter Zustand der Holzpflanzen bei lange anhaltender Nässe und unterdrückter Transpiration, wobei die Blätter abfallen, obgleich sie noch grün und anscheinend gesund sind, die Früchte keinen Wohlgeschmack annehmen und sogar faulen, ehe sie reif sind, auch die Triebe nicht gehörig verholzen und weich bleiben, so daß sie im Winter zugrunde gehen. Auch bezeichnet W. (Odem) eine durch übermäßiges Wachstum des Rindengewebes veranlaßte Krankheitsform, bei der beulenartige, zuletzt ausbrechende und wieder zusammenschrumpfende Wucherungen entstehen.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.