Samos [1]

Samos [1]

Samos (türk. Susam Adasy), eine der ansehnlichsten Inseln des Ägäischen Meeres (s. Karte »Griechenland«), nahe der ionischen Küste, von Kleinasien und dem Gebirge Mykale (Samsun Dagh) nur durch einen kaum 2 km breiten Sund getrennt, umfaßt 468 qkm mit (1902) 53,424 griechischen und griechisch-orthodoxen Einwohnern, ungerechnet die in Kleinasien lebenden 15,000 Samier, aber einschließlich 1449 Fremder, darunter 1325 Griechen. Der Osten der fruchtbaren Insel ist hügelig, die Mitte wird von N. nach Süden von einem einst dicht bewaldeten, jetzt aber nur noch spärlich mit Zypressen, Fichten und Eichen bestandenen Gebirge durchzogen, das im N. Assoron (jetzt Karvuni, 1137 m), südlich davon Ampelos (jetzt Pevka, 750 m) genannt wird. Den Westen erfüllt der 1440 m hohe Kerketeus (heute Kerki). An nutzbaren Mineralien kommen Zink, silberhaltiges Blei, Eisen, Antimon etc. vor, wurden aber im Altertum gar nicht, jetzt wenig ausgebeutet. Reich ist S. an landschaftlichen Reizen und im Verhältnis zu andern ägäischen Inseln auch an Wasser, wiewohl der längste Bach noch nicht 13 km mißt. Die Westspitze der Insel hieß Kantharion (Kap Katavafis), die östlichste heißt heute Kap Gatos, die südliche Kap Kolonnäs. S. brachte im Altertum Öl, Feigen, Trauben und andre Früchte zur Ausfuhr. Auch heute noch wird auf 30,500 Hektar Wein gebaut und ausgeführt; während jedoch im Altertum der samische Wein wenig geschätzt ward, gehört jetzt der weiße Muskatwein aus S. zu den besten der Inselweine. Von sonstigen Naturprodukten werden genannt: der »samische Stein« zum Polieren des Goldes, die bei verschiedenen Krankheiten Heilkraft bewährende »samische Erde« und vor allen der Ton, woraus die in Rom hochgeschätzten samischen Gefäße gefertigt wurden. – Die ältesten Bewohner von S. waren Karer und Leleger, die durch flüchtige Ionier aus Epidauros verdrängt wurden. Unter ihnen erreichte S. eine hohe Kultur: Architektur und Plastik blühten schon im 7. Jahrh. v. Chr. in den Schulen des Rhökos und Theodoros; von ihnen ward die Kunst, das Erz zu gießen und den Edelstein zu bearbeiten, wesentlich gefördert. Mit Korinth wetteiferte S. in der Schiffbaukunst; der Samier Koläos war angeblich der erste Hellene, der die Säulen des Herakles durchfuhr. Polykrates (532–522) begründete eine bedeutende Seeherrschaft, wurde aber von dem persischen Satrapen Orötes nach Kleinasien gelockt und hingerichtet. Sein Bruder Syloson unterjochte später die Insel mit persischer Hilfe und beherrschte sie nach grausamer Verwüstung als persischer Satrap, bis sie 479 durch den Griechensieg von Mykale frei wurde und sich dem Attischen Seebund anschloß. 441 empörte sie sich und wurde 440 von Perikles unterworfen; gegen Ende des Peloponnesischen Krieges hatte die attische Flotte hier längere Zeit ihr Hauptquartier. Da S. den Athenern treu blieb, eroberte Lysandros 404 die Insel und setzte eine oligarchische Regierung nebst einem spartanischen Harmosten ein. 365 eroberte der attische Feldherr Timotheos nach zehnmonatiger Belagerung die Hauptstadt, vertrieb die Bevölkerung und besetzte die Insel mit attischen Kleruchen, die ein eignes Gemeinwesen mit besondern Beamten bildeten. Erst nach Alexanders d. Gr. Tode wurde die Insel durch Perdikkas den Samiern zurückgegeben (322). Später gehörte sie zeitweilig zu Ägypten, kämpfte mit Antiochos d. Gr. und Mithradates gegen Rom und wurde 84 v. Chr. mit der römischen Provinz Asia vereinigt. – 1550 wurde S. von den Osmanen erobert. 1824 siegte hier der Grieche Kanaris über die Türken. Nach dem Londoner Protokoll von 1827 ward S. 1830 der Pforte zurückgegeben und 10./11. Dez. 1832 zu einem tributpflichtigen Fürstentum gemacht. Seitdem genießt die Insel, zum türkischen Inselwilajet gehörig, eine Ausnahmestellung. Die Pforte ernennt nur den Fürsten und erhebt eine jährliche Abgabe (s. unten). Die Erledigung dieser und andrer allgemeinen Angelegenheiten findet unter Beteiligung von 26 Repräsentanten der Einwohner statt. Für Hafenbauten, Straßenbau, Unterricht und gemeinnützige Anstalten geschieht viel. Ackerbau, Handel und Schiffahrt sind Haupterwerbszweige der Einwohner. Die Ausfuhr (Rosinen und Wein, beide nahezu die Hälfte der Ausfuhr ausmachend, vornehmlich nach Italien und Frankreich, neuerdings auch nach Deutschland gehend, ferner Zigaretten und Tabakblätter, Öl, Häute, Ton) wertete 1905: 18,370,312 Piaster, die Einfuhr (Getreide, Alkohol, Mehl, Kolonialwaren, Gewebe) 18,935,220 Piaster (je 18 Pf.). Der Schiffsverkehr belief sich 1905 in allen vier Häfen der Insel (Vathy, Tigani, Karlovasi, Marathokampos) auf 3291 Segler und 1200 Dampfer von zusammen 382,467 Ton. Im Handel mit S. stehen obenan Österreich und Frankreich; doch gewinnt jetzt auch der deutsche Handel immer mehr an Boden. Die Ein fuhr aus Deutschland wertete 1899: 500,000 Mk., die Weinausfuhr dorthin betrug 40,000 hl. Telegraph und Fernsprecher verbinden die wichtigern Orte: die Hauptstadt Vathy (5000 Einw.) in der östlichen Hälfte der Insel, der wichtigste Ort für den Außenverkehr der Insel, ist Sitz eines deutschen Vizekonsuls, Karlovasi (4200 Einw.) und Marathokampos (4435 Einw.), für dessen Hafen die Regierung schon über 2 Mill. Mk. verausgabt hat, im W., im Binnenlande Mytilini (4500 Einw.) und Chora (2077 Einw.). Die Rechtspflege ist gut, die Finanzen befinden sich in geordnetem Zustande. Die Einnahmen betrugen 1906/07: 3,268,900, die Ausgaben 3,103,466, die öffentliche Schuld 2,528,576 Piaster. S. ist seit 1832 ein der Pforte tributpflichtiges (jährlich 300,000 Piaster Tribut), christliches Fürstentum unter einem vom Sultan ernannten, also nicht erblichen Statthalter oder Fürsten griechischer Nationalität, der unter türkischer Oberherrschaft und unter dem Schutze von Frankreich, England und Rußland steht. Am 11. März 1902 wurde auf das Drängen der Bevölkerung an Stelle Machalaki Beys Alex. Mavroyeni Bey, vordem türkischer Gesandter in Washington, zum Fürsten ernannt; doch mußte er 5. Mai 1904 dem Juristen Janko Effendi Withynos, zuletzt Generalprokurator beim Appellhofe des türkischen Staatsrats, weichen. Aber auch er wurde 29. Juli 1906 durch Konstantin Karatheodóry, bisher Mitglied der Zivilbeamtenkommission, ersetzt. Im übrigen hat das kleine Fürstentum eine vollständig ausgebildete eigne Verwaltung mit einer Kammer aus 40 auf zwei Jahre gewählten und jährlich sich versammelnden Mitgliedern, die in der ersten Sitzung den Senat wählen. Bewegungen, die auf Vereinigung mit Griechenland oder auf gänzliche Selbständigkeit hinzielen, sind im Gange. Die Handelsflagge ist rot und blau horizontal gestreift, durch ein weißes Kreuz in vier Felder geteilt (s. Tafel »Flaggen I«). Vgl. Guérin, Description de l'île de Patmos et de l'île de S. (Par. 1856); Stefani, S., étude géologique, paléontologique et botanique (in Gemeinschaft mit Forsyth Major und Barbey, Lausanne 1892, mit 14 Tafeln).

Die alte gleichnamige Hauptstadt lag an der Südostküste, wo heute Chora und Tigani liegen, und in der Ebene westsüdwestlich davon, mit der Stadt durch eine Heilige Straße verbunden, der berühmte Heratempel, von dem noch eine Säule aufrecht steht. Der Tempel war im ionischen Stil von Rhökos begonnen, aber nie ganz vollendet worden. Die Perser verbrannten ihn, doch wurde er wieder aufgebaut; Seeräuber, später Verres und M. Antonius plünderten ihn. Von der Stadt S. ist noch die nördliche Umfassungsmauer auf steilem Bergesabhang und ein Teil der östlichen mit Türmen und Toren erhalten; sie ist teils in kyklopischer Bauart (wohl aus der Zeit des Polykrates), teils in regelrechtem Quaderbau ausgeführt. Die Burg Astypaläa lag im O. nahe beim Meer. Dem Polykrates wird ferner die Anlage der Hafendämme (bei Tigani noch jetzt unter der Oberfläche des Meeres sichtbar) und einer vielbewunderten unterirdischen Wasserleitung zugeschrieben.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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