Salizylsäure

Salizylsäure

Salizylsäure (Orthooxybenzoësäure, Phenolkarbonsäure, Spirsäure) C7H6O3 oder C6H4.HO.CO2H findet sich in den Blüten von Ulmaria palustris (Spiraea Ulmaria) und als Salizylsäuremethyläther im ätherischen Wintergrünöl von Gaultheria procumbens. Sie entsteht durch Oxydation von Salizyliger Säure, die sich in dem ätherischen Öl der Blüten krautartiger Spiräen findet, beim Schmelzen von Salizin, Kumarin, Indigo, Sulfo- und Chlorbenzoesäure oder Kresol mit Kali, und wird erhalten, indem man Natronlauge mit Phenol sättigt, verdampft und das Phenolnatrium im Destillationsapparat bei einer allmählich von 180 auf 220° gesteigerten Temperatur mit Kohlensäure behandelt. Hierbei destilliert die Hälfte des Phenols über und Dinatriumsalizylat bleibt zurück. Preßt man Kohlensäure in einen Autoclav, der Phenolnatrium enthält, so entsteht phenolkohlensaures Natron, das bei 130° in salizylsaures Natron übergeht. Phenolnatrium gibt auch mit Diphenylkarbonat und mit Tetrachlorkohlenstoff S. Sie bildet farb- und geruchlose Nadeln, schmeckt süßlich-sauer, löst sich bei 15° in 400, bei 100° in 12 Teilen Wasser, in 3 Teilen absolutem Alkohol, in 50 Teilen heißem Glyzerin und Öl, sublimiert bei vorsichtigem Erhitzen auf 200° unzersetzt, ist auch flüchtig mit Wasserdämpfen, schmilzt bei 155°, bildet bei langsamem Erhitzen auf 220° Salol (Salizylsäurephenyläther), Xanthon und Kohlensäure, zerfällt bei raschem Erhitzen in Phenol und Kohlensäure, leichter beim Erhitzen mit Salzsäure und Schwefelsäure, bildet meist lösliche, kristallisierbare Salze, gibt mit Natrium Pimelinsäure und färbt sich in wässeriger Lösung mit Eisenchlorid violett. S. wirkt in saurer Lösung kräftig fäulniswidrig und gärunghemmend und wird in der Technik zur Verhinderung von Zersetzungen vielfach angewandt. Im Haushalt eignet sie sich zur sichern Konservierung von eingemachtem Obst. Die gewerbliche Benutzung zur Konservierung von Nahrungsmitteln ist verboten, da Nahrungsmittel von guter Beschaffenheit bei zweckmäßiger Behandlung eines derartigen Schutzes nicht bedürfen, die Konservierungsmittel vielmehr sehr oft nur angewandt werden, um über Mängel in der Beschaffenheit oder Behandlung hinwegzutäuschen. S. dient auch zur Herstellung künstlicher Farbstoffe. S. ist verhältnismäßig wenig giftig. Große Gaben erzeugen Schweiß, Temperaturabfall, Erbrechen, Ohrensausen, Schwerhörigkeit, vertieftes Atmen, psychische Erregungszustände, Hautausschläge. Sehr große Gaben töten durch Blutdruckerniedrigung unter Dyspnoë, Schlafsucht und Kollapserscheinungen. Man benutzt S. und ihr Natriumsalz arzneilich als Spezifikum gegen akuten Gelenkrheumatismus, ferner bei Muskelrheumatismus, Gicht, Ischias, Cerebrospinalmeningitis, Tetanus, Diabetes (zur Bekämpfung der begleitenden Beschwerden), Brustfellentzündung, katarrhalischem Ikterus, Epididymitis, dann bei parasitären Hautaffektionen, Ekzemen, als Waschmittel bei juckenden Hautleiden, als Wundverbandwasser, zu Spülungen bei Darmkatarrhen der Kinder und bei Würmern, als Salizylstreupulver (3 Teile S., 10 Teile Weizenstärke, 87 Teile Talk), zum Aufstreuen auf übermäßig schwitzende Körperteile, bei Fußschweiß. Auch in der Tierheilkunde findet S. Benutzung bei Milzbrand, Maul- und Klauenseuche, Rotzkrankheit und Druse der Pferde, bei Geschirr- und Satteldruck etc., in der Bienenzucht dient sie gegen Faulbrut. – Salizylsaures Natron NaC7H5O3 bildet weiße, süßsalzig schmeckende, wasserfreie, kristallinische Schuppen, löst sich leicht in Wasser und Alkohol, nicht in Äther, wird arzneilich wie S. benutzt und dieser vorgezogen, weil es besser zu nehmen ist, rascher aufgesaugt wird und dem Magen zuträglicher ist als die freie Säure. Es wirkt wie freie S., weil es in den entzündeten Geweben durch vorhandene Säuren zersetzt wird. Diese Zersetzung findet auch in alkalischer Lösung statt bei einer Kohlensäurespannung, die den Verhältnissen entzündeter Gewebe entspricht. – Salizylsaures Quecksilberoxyd HgC7H4O3, ein weißes, amorphes, in Wasser und Alkohol kaum lösliches Pulver, wird gegen Syphilis benutzt. – Basisch salizylsaures Wismut Bi(C7H5O3)3Bi2O3, ein gelblichweißes, amorphes Pulver, unlöslich in Wasser und Alkohol, wird bei Magen- und Darmkrankheiten benutzt. – Salizylsäuremethyläther C6H4.OH.CO2CH3 findet sich im Gaultheriaöl (s. d.) und im Birkenrindenöl von Betula lenta, entsteht bei Destillation von S. mit Methylalkohol und Schwefelsäure, bildet ein farbloses Öl, riecht angenehm, spez. Gew. 1,197, siedet bei 224° und löst sich wenig in Wasser, leicht in Alkohol und Äther. Auch viele Derivate der S. werden arzneilich benutzt. Salizylsaures Antipyrin ist das Salipyrin (s. d.). Acetylsalizylsäure ist das Aspirin (s. d.), Salizylsäurephenyläther ist das Salol (s. d.), Salizylsäurenaphthyläther das Betol (s. d.), Salizylsäureacetylparamidophenyläther ist das Salophen (s. d.) etc. – S. wurde zuerst 1838 von Piria und Ettling aus ätherischem Öl von Ulmaria palustris dargestellt, Cahours fand sie 1844 im Wintergrünöl, Gerland stellte sie 1851 aus Anthranilsäure dar, und 1860 gewann sie Kolbe aus Phenolnatrium und Kohlensäure. Er entdeckte das antiseptische Verhalten der S. und ließ sich 1874 eine einfache Darstellungsmethode patentieren, die 1884 von Schmitt verbessert wurde. Vgl. Kolbe und Neubauer, Die S. in ihren verschiedenen Wirkungen (Leipz. 1875); v. Heyden, Die S. und ihre Anwendung (das. 1876); Kolbe, Chemische Winke für praktische Verwendungen der S. (das. 1876); Fürbringer, Zur Wirkung der S. (Jena 1875); Buß, Zur antipyretischen Wirkung der S. (Stuttg. 1876).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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