Polynesĭer

Polynesĭer

Polynesĭer (s. Tafel »Australier und Ozeanische Völker II«, Fig. 7–15), der Zweig der malaiischen Rasse, der die Inseln des Stillen Ozeans bewohnt zwischen 180° östl. L. und 109° westl. L. mit Ausnahme der Fidschiinseln, jedoch einschließlich Neuseelands, das zugleich der südlichste Punkt des Gebietes ist, während im N. der 30.° nördl. Br. die Grenze bildet. Man hat ihnen auch die Mikronesier zuzurechnen, die das Mittelglied zwischen Polynesiern und Melanesiern bilden, nach Finsch aber von den erstern nicht mehr abweichen als Schwaben von Norddeutschen. Sie haben als hervorragendste äußere Merkmale eine in vorwiegend hellen Abstufungen braune Haut und schwarzes bis braunes, lockiges oder straffes Haar; der Bartwuchs ist bei straffem Haar schwach, bei lockigem stärker. Der Schädel ist brachykephal bis mesokephal (Index bei den Hawaiern 79,7, den Tahitiern 77,1, den Maori 76,4); durch künstliche Verunstaltung wird in vielen Fällen die Brachykephalie erhöht. Der Gesichtswinkel ist nicht selten von europäischer Größe, die Nase öfter abgeplattet als gebogen; die kleinen lebhaften Augen sind horizontal gestellt, die Backenknochen springen mehr nach vorn als nach der Seite vor, die Lippen sind dick, der Mund aber sonst wohlgebildet, das Kinn weicht bisweilen negerartig zurück. Die Körperhöhe, im allgemeinen mittelgroß, schwankt außerordentlich. Die P. sind zwar gut gebaut, aber nicht sehr kräftig, dagegen sind ihre Sinne außerordentlich scharf, und ihre geistige Begabung ist nicht gering. Der Grundzug ihres Charakters ist, wie bei allen Naturvölkern, leichtfertige Sorglosigkeit. Menschenopfer schlossen sich an die Totenfeste an, sie wurden von den Priestern gefordert beim Bau von Tempeln, von Kriegskanus, vor Beginn des Krieges u. a. Kindesmord war in dem vorchristlichen Polynesien eine der anerkanntesten Institutionen, namentlich wurden Mädchen ermordet. Ihr Wissen, zum Teil im ausschließlichen Besitz der Priester, erstreckte sich auf geschichtliche Überlieferung, Sternkunde und ein wenig Heilkunde. Die Maori hatten Holzstäbe mit Einkerbungen als Geschichtstafeln, an denen die bedeutenden Namen durch besondere Verzierungen ausgezeichnet waren. In der Heilkunde nahm unter den rationellen Behandlungsweisen das Kneten die erste Stelle ein. Die P. besitzen Zahlwörter, die bis 400,000 gehen; 5 und 10 bilden die natürlichen Abschnitte. Zur Erleichterung des Zählens hatte man in Hawaï Schnüre mit Knoten, in Tahiti Bündel von Kokosblattstreifen, in Neuseeland Kerbstäbe. Die Zeit berechnete man nach dem Mond; in Tahiti hatte man 14, in Neuseeland 13 Monate. Doch wurde das Jahr auch nach dem Erscheinen und Verschwinden der Plejaden auf 6 Monate berechnet. Man rechnete ferner nach Generationen; in Rarotonga geht diese Zählung um 29, in Mangarewa um 27 Generationen zurück. Gesang und Tanz füllen einen großen Teil des Lebens der P. aus. Der Charakter ihrer Gesänge ist nicht heiter, die Melodien aber sind einfach und angenehm; für Silbenmaß und gelegentlich für Reim haben die P. entschieden Sinn. Wettkämpfe, Kriegs- und Waffenspiele wurden leidenschaftlich gepflegt. Hinsichtlich der Kleidung entfalten die P. einen gewissen Luxus, Rindenstoffe (Tapa) und Matten werden aus Rindenstreifen durch Klopfen und Zusammenkleben gefertigt und schön gefärbt, auch im Flechten wird Tüchtiges geleistet. Schmuck lieben alle P. sehr; Halsbänder aus Muscheln, Früchten und Holzstäbchen, Ohrgehänge, Stirnreife, Mützen und Helme aus kostbaren Federn, Kämme, mit Federn u. a. verziert, frische Blumen sind die beliebtesten Schmuckgegenstände. Aus religiösen Anschauungen ging wohl die Tätowierung hervor. Der Reichtum der Waffen überrascht um so mehr, als Steine, Knochen und Muschelschalen die fehlenden Metalle ersetzen mußten. In Polynesien hatte man Steinbeile, nur die mikronesischen Beile hatten Klingen aus Muscheln. Die Hauptwaffe war der Speer mit durch Brand gehärteter Spitze oder durch Steinklingen, Knochensplitter oder, wie die Holzschwerter, mit Haifischzähnen u. dgl. bewehrt. Daneben gibt es Keulen, oft auf das reichste verziert, Bogen und Pfeil (s. Tafel »Australisch-ozeanische Kultur I«, Fig. 12). Als Schutzwaffen hatte man Helme und Rüstungen aus Holzstäbchen, Kokosfasern etc., der Schild aber war nirgends im Gebrauch. Wiewohl das si schreiche Meer und die große Zahl von Baumfrüchten mühelos reichen Unterhalt gewährten, so war doch, ein treffliches Zeugnis für die Kultur der P., der Ackerbau überall hoch entwickelt. Dagegen wird in Mikronesien, wo die Fischerei vielfach vorwiegt, Landbau nur auf den größern Inseln getrieben. Die Felder wurden umzäunt, Terrassen mit künstlich aufgehäufter Erde an steilen Abhängen angelegt, Bewässerungsanlagen gemacht, Schattenbäume und Ziergewächse gepflanzt. In der Viehzucht stehen obenan das Schwein, das aber nur Speise der Vornehmen war, dann der gleichfalls gemästete Hund und das Huhn. Jagd konnte nur in beschränktem Maße betrieben werden, der Fischerei aber dienen die vollkommensten Werkzeuge, welche die P. überhaupt besitzen. In Hawaï blühte sogar die künstliche Fischzucht in geordneter Teichwirtschaft. Die Nahrung des Volkes setzt sich aus Brotfrucht, Taro, Yams, Bataten, Kokosnuß und den Erträgnissen der Fischerei zusammen; daneben sind Ratten eine gewöhnliche Speise. Aus dem Taromehl bereitete man das säuerliche Poi. Irdene oder metallene Gefäße zum Kochen der Speisen besaßen die P. nicht; sie dämpften die Speisen in Gruben, die mit heißen Steinen gefüllt und dann geschlossen wurden. Das einzige, aber fast allgemein verbreitete Genußmittel war die Kawa (Awa), der gegorne Saft aus den gekauten Wurzeln des Piner metbysticum (Näheres s. Kawa), in Mikronesien auch Palmwein. Doch kannte man in Neuseeland keine berauschenden Getränke. Jetzt hat auch der Tabak sich über die ganze Inselwelt verbreitet. Der in ältern Zeiten in ganz Polynesien herrschende Kannibalismus fand sich bei Ankunft der Europäer vereinzelt nicht selten, als allgemeiner Brauch nur bei den Maori auf Neuseeland und auf den Markesas. Die viereckigen, niedrigen Häuser mit kahnförmigem Dach bestanden aus Pfählen mit Rohr- und Matteneinsätzen, die Pfosten wurden oft reich verziert. In der Gewerbtätigkeit stehen die Mikronesier den Polynesiern voran; sie sind aber beide gute Holzschnitzer, bauen große Kanus, fertigen Schalen für die Kawa u. a., Kleiderstoffe aus Baumrinde, Tapa, und zeigen auch im Flechten von Matten viel Geschick. Hölzerne Gefäße mannigfacher Art, Matten und Körbe, Kopfschemel, Fächer, Fliegenwedel, Kämme etc. finden sich überall, dagegen fehlt Sitzgerät gänzlich. Auf den Palauinseln wurde früher die Töpferei geübt, die in Polynesien nur auf der Osterinsel bekannt war. Nur in Mikronesien kennt man den Webstuhl und die Kunst, Holzgefäße durch Lackieren zu verschönern, sowie aus Stein, Glasscherben, Perlmutter, Porzellanscherben gefertigtes Geld. Im Familienleben ordnen sich die Interessen des einzelnen denen des Stammes unter. Das Band der Ehe ist sehr locker und kann leicht gelöst werden. Die Vornehmen lebten fast überall in Polygamie; die Achtung, die das weibliche Geschlecht genoß, war sehr gering. Von allen wichtigern Festen, selbst von der gemeinsamen Mahlzeit mit den Männern sind die Frauen ausgeschlossen. Die politischen Einrichtungen waren, als die Europäer nach Polynesien kamen, bereits im Verfall. Das Volk zerfiel in Häuptlinge, Freie und Sklaven; eine schroffe Grenze trennte die beiden ersten, die tabuierten, von den letzten, den nichttabuierten (vgl. Tabu). Die Häuptlinge hatten zwar meist despotische Gewalt, dennoch fehlte nirgends eine repräsentative Vermittelung zwischen Fürsten und Volk. Der Fürst war, wie die Priester, Träger des »Tabu«, einer göttlichen Kraft, die alle Dinge, in denen sie lag, dem Gebrauch der Menschen entzog. Neben dem König tritt oft ein Kriegshäuptling als Mitherrscher auf, auf Palau auch eine Königin, der die Angelegenheiten der Frauen unterstehen. Das Volk ist zur Heeresfolge verpflichtet, doch wurden auch Söldlinge von benachbarten Inseln herangezogen. Die erlegten Feinde wurden häufig verzehrt. Die religiösen Vorstellungen waren, als die Missionare den christlichen Glauben hier zu verbreiten suchten, bereits im Verfall. Aus der großen Fülle von Göttern heben sich besonders hervor Maui, der Himmel und Erde voneinander getrennt hat und ebenso wie Tangaroa als Schöpfer auftritt, Tati, der linkshändige Erderschütterer Samoas, Nu, der Himmelsgott, u. a., dann die aus den Seelen verstorbener Vornehmer hervorgegangenen Tiki oder Tii, die in der Unterwelt (Po) zu wirklichen Göttern wurden, während die Unedlen und die Weiber gänzlich zugrunde gingen. Flutsagen finden sich vielfach. Die Priester, die sich aus den Vornehmen rekrutierten. waren zugleich Ärzte, Bewahrer alles Wissens und häufig als Staatsmänner hochgeachtet. Die Bestattung war bei Vornehmen mit großen Feierlichkeiten verbunden, und die Begräbnisstätten vertraten oft die Stelle der Tempel; auf den mit Mauern eingefaßten und mit behauenen Steinen belegten Flächen erhoben sich Götterbilder, Altare, Priesterhäuser. Nirgends konnte die Mission so früh wie hier zur Aussendung eingeborner Lehrer übergehen, so daß die Christianisierung Polynesiens zum großen Teil von Eingebornen bewirkt und schon innerhalb eines Menschenalters durchgeführt wurde. Über die Sprachen der P. s. Malaiisch polynesische Sprachen. Literatur s. bei Artikel »Ozeanien«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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