- Pheidĭas
Pheidĭas (Phidias), Sohn des Charmides, der größte Meister der griechischen Plastik, geb. wahrscheinlich um 490 v. Chr. in Athen, Schüler des Atheners Hegias. Gegen die andre Nachricht, daß der argivische Bildhauer Ageladas (s. d.) sein Lehrer war, sprechen chronologische Bedenken, doch liegt in ihr die richtige Erkenntnis eines Zusammenhanges der phidiasischen Kunst mit jener Schule. Übrigens war P. zuerst Maler und ging erst später zur Bildhauerei über. Von seinen Lebensschicksalen kennen wir nur die Erzählung seines Prozesses wegen angeblicher Unterschlagung von Gold, das zu dem Athenabild im Parthenon verwendet werden sollte. Nach der einen Fassung starb er im Gefängnis zu Athen, nach der andern wurde er verbannt, kam nach Elis und arbeitete jetzt erst die Zeusstatue zu Olympia, worauf er von den Eleern desselben Verbrechens angeklagt und mit dem Tode bestraft wurde. Mit der Entscheidung, welche Version den Vorzug verdient, hängt die über das zeitliche Verhältnis jener beiden größten Werke des Künstlers und die Bestimmung seiner Lebensdauer zusammen. Eine Einigung der Gelehrten ist noch nicht erreicht. Die Zahl der dem P. und seiner Schule zugeschriebenen Werke ist sehr groß. Eigenhändige Arbeiten von ihm besitzen wir nicht; von der durch P. zur höchsten Vollendung gebrachten Technik der Gold-Elfenbeinstatuen ist überhaupt kein Beispiel erhalten. Die Athena im Parthenon zu Athen wurde 438 nach neunjähriger Arbeit vollendet. Sie hatte eine Höhe von 26 griechischen Ellen (12 m); Kopf, Arme und Füße waren aus Elfenbein; die Bekleidung und Bewaffnung, aus reinem Gold hergestellt, hatte einen Wert von 44 Talenten. Die Göttin stand aufrecht und hielt in der vorgestreckten Rechten ein dem Beschauer zugewandtes Bild der Siegesgöttin. An der Innenseite des Schildes, in dessen schützender Höhlung die Burgschlange sich barg, war der Kampf der Giganten gegen die Götter, an der Außenseite die Amazonenschlacht angebracht, an den Sandalen der Kampf zwischen Lapithen und Kentauren. Verschiedene Nachbildungen in Freiplastik, so eine unvollendete Marmorstatuette und eine etwa meterhohe Marmorkopie im athenischen Nationalmuseum, eine kolossale Figur aus Pergamon, jetzt in Berlin, und ein polychromer Marmorkopf ebenda, ferner Reliefs und Werke der Kleinkunst vermitteln uns eine Vorstellung. Ein andres kolossales Werk war die Erzstatue der Athena Promachos, die zwischen den Propyläen und dem Erechtheion stand. Eine dritte berühmte Athenastatue von P. auf der Akropolis war ein Weihgeschenk attischer Ansiedler auf Lemnos und hatte danach den Beinamen »Lemnia«. Wertvolle Kopien nach ihr hat man in zwei Statuen in Dresden und Kassel und einem Kopf in Bologna erkannt. Sein zweites Hauptwerk, eins der sieben Wunder der Alten Welt, war der Zeus von Olympia; der König der Götter war dargestellt zugleich als huldreicher Allvater, der den Menschen ihre Bitten gewährt; er saß auf reichgeschmücktem Thron, sein Haupt reichte fast bis an die Decke des Tempels, dessen Höhe auf 17,5 m berechnet wird. In der einen Hand hielt er das Zepter, auf der andern eine Nike. An plastischem und ornamentalem Schmuck, an Gold, Elfenbein und edlem Gestein war alles aufgeboten, um das Überwältigende des Eindrucks zu erhöhen. Von diesem Werk ist außer kleinen Nachbildungen auf Münzen von Elis aus Hadrianischer Zeit nichts übriggeblieben. Außerdem werden noch 13 Erzstatuen genannt, Schutzgötter und Heroen von Attika und mit ihnen Miltiades, von den Athenern aus der marathonischen Siegesbeute in Delphi aufgestellt (die Beziehung dieses Werkes auf P. neuerdings angezweifelt); ferner Kolossalbilder der Athene in Pellene und Platää, Statuen des Hermes, Apollon und der Aphrodite, einer auf den Speer gestützten Amazone u.a. Das Bildnis des Künstlers wollten die Alten am Schilde der Parthenos in der Figur eines alten Mannes, der an dem Amazonenkämpfe teilnimmt, erkennen. Er ist auch auf der marmornen Nachbildung des Schildes (im Britischen Museum) deutlich. Ob aber diese Tradition richtig ist, erscheint sehr fraglich. Unvergängliche Denkmäler der Perikleischen Epoche, unübertroffene Schöpfungen der griechischen Kunst sind die unter P.' Leitung entstandenen Parthenonskulpturen (s. Tafel »Bildhauerkunst III«, Fig. 7), deren wunderbare Vollendung und Schönheit, gepaart mit Grazie und ernster, aber nun nicht mehr altertümlich strenger Würde, uns den »hohen Stil« der griechischen Kunst vor Augen führen. Vgl. Otfr. Müller, Commentatio de Phidiae vita et operibus (Götting. 1827); Brunn, Geschichte der griechischen Künstler, Bd. 1 (2. Aufl., Stuttg. 1889); Petersen, Die Kunst des P. am Parthenon und zu Olympia (Berl. 1873); Schreiber, Die Athena Parthenos des Phidias und ihre Nachbildungen (Leipz. 1882); Collignon, Phidias (Par. 1886) und Histoire de la sculpture grecque I. II (deutsch von Thraemer und Baumgartner); Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik, Bd. 1 (4. Aufl., Leipz. 1893); Furtwängler, Meisterwerke der griechischen Plastik (das. 1893); Springer, Handbuch der Kunstgeschichte I, bearbeitet von Michaelis (Leipz. 1904), mit erschöpfender Literaturangabe.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.