Pflanzensystematik

Pflanzensystematik

Pflanzensystematik (beschreibende, deskriptiv-systematische Botanik), die wissenschaftliche Beschreibung und Benennung der Pflanzenarten und ihre Anordnung in einem wissenschaftlichen System. Als Art (Spezies) wird in der Botanik die Gesamtheit derjenigen Pflanzenindividuen bezeichnet, die in allen wesentlichen Merkmalen übereinstimmen und sich in den unwesentlichen, aus innern Ursachen oder durch äußern Anlaß variierenden Merkmale nicht weiter voneinander entfernen, als die Nachkommen eines Individuums es imstande sind. Alle diejenigen unter sich verschiedenen Arten, die in den Fortpflanzungsorganen (Blüte und Frucht oder Sporen und sporenbildende Organe) oder auch in andern wichtigen morphologischen Beziehungen derart wesentlich übereinstimmen, daß sie durch allmähliche oder sprungweise Abänderung einzelner Eigenschaften im Laufe der Generationen aus einer gemeinsamen Urform hervorgegangen sein können, werden zu einer Gattung (Genus) vereinigt. Die kurze beschreibende Darstellung der einer Art oder einer Gattung zukommenden Merkmale wird als Charakter (Art- oder Gattungscharakter) bezeichnet. Die Zusammenstellung der Merkmale, welche die einander nahestehenden Arten oder Gattungen unterscheiden, bildet die Diagnose (Art- oder Gattungsdiagnose). Zur wissenschaftlichen Pflanzenbenennung (Nomenklatur) dienen lateinische Wörter oder latinisierte Wörter verschiedener Ableitung. Nach der von Linné durchgeführten Doppelbenennung (binomiären Nomenklatur) kommt jeder Pflanzenart ein aus zwei Worten gebildeter Namen zu, von denen das erstere die Gattung, das letztere die Art bezeichnet. So ist z. B. der Gattungsname des Veilchens Viola. Das dreifarbene Veilchen bezeichnet man als Viola tricolor. das wohlriechende Veilchen als Viola odorata. Zur Vervollständigung eines botanischen Pflanzennamens gehört die Beifügung der Autorität, d.h. des Namens desjenigen Schriftstellers, der die Pflanze zuerst unter jenem Namen beschrieben hat. Das geschieht, soweit eine Verwechselung ausgeschlossen bleibt, unter konventioneller Abkürzung des Namens der bekanntern Schriftsteller. L. bedeutet Linné, DC. = De Candolle, Willd = Willdenow, Rchb. = Reichenbach u. s. s. Es kommt vor, daß eine Pflanzenart von verschiedenen Autoren unter verschiedenen Namen beschrieben wird, wenn z. B. über die Gattung, in die sie gehört, oder darüber, ob sie eine selbständige Art oder mit einer andern Art zu vereinigen sei, geteilte Meinungen bestehen. Die verschiedenen Namen, die einer Pflanzenart gegeben worden sind, nennt man deren Synonyme, ihre Aufzählung ist die Aufgabe der botanischen Synonymik. Um der durch die Synonyme allmählich immer mehr um sich greifenden Verwirrung in der botanischen Nomenklatur zu steuern, hat der botanische Kongreß zu Paris 1868 eine einheitliche internationale Regelung der Nomenklatur beschlossen, wobei das Prioritätsrecht als Norm gilt. In bezug auf ältere Namen soll bei Arten nicht über das Jahr 1753 zurückgegriffen werden, in dem die erste Auflage von Linnés »Species plantarum« mit der von ihm eingeführten Doppelbenennung erschien. Für Gattungsnamen gilt 1752 als Ausgangsjahr. Es hat sich indes gezeigt, daß durch die Beschlüsse des Pariser Kongresses noch nicht alle Zweifel beseitigt sind, und daß besonders durch eine strikte Befolgung der gegebenen Regeln eine sehr große Anzahl seit langem eingebürgerter Namen beseitigt werden mußte, wodurch die Verständigung erschwert und neue Verwirrung verursacht wird. Es ist deshalb ein neuer internationaler Kongreß der Botaniker 1905 in Wien abgehalten worden, dessen Beschlüsse die Unsicherheit in der Nomenklatur beseitigen sollen.

Die wissenschaftliche Gruppierung der Pflanzen zu einem Pflanzensystem kann von verschiedenen Gesichtspunkten aus unternommen werden und verschiedenen Zwecken dienen. Jedes nach den Gesetzen der Logik gegliederte System entspricht dem Bedürfnis des menschlichen Geistes zu klassifizieren und die Mannigfaltigkeit der Einzelerscheinungen höhern Sätzen zu subsummieren, um eine Übersicht über das Gesamtgebiet zu gewinnen. Auch für das Bestimmen einer Pflanze, d.h. für die Auffindung ihres Platzes im System und damit die Feststellung des ihr zukommenden Gattungs- und Artnamens, kann jedes auf logischer Grundlage aufgebaute System verwendet werden. Man hat in der Tat zahlreiche derartige Systeme konstruiert und für den Zweck des Pflanzenbestimmens in Form von analytischen Schlüsseln ausgearbeitet. Von diesen Systemen verwenden die künstlichen Systeme willkürlich gewählte Merkmale zur Unterscheidung der einzelnen Abteilungen und Unterabteilungen. Das bekannteste künstliche System ist das Sexualsystem, das Linné seiner Einteilung des Gewächsreiches zugrunde gelegt hat (s. Pflanzen system). Die natürlichen Systeme gehen von der Voraussetzung aus, daß die gegenwärtig lebenden Pflanzen durch Entwickelung in verschiedenen Richtungen von gemeinsamen Uranfängen abzuleiten sind und also in einem natürlichen Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen. Diese Blutsverwandtschaft soll durch die Gruppierung im System zum Ausdruck gebracht werden., mr Aufdeckung des natürlichen Verwandtschaftsgrades bietet die Paläontologie des Pflanzenreichs wegen der Dürftigkeit und Lückenhaftigkeit ihres Materials keine wesentlichen Anhaltspunkte. Auch die im Entwickelungsgange des einzelnen Individuums durchlaufenen Phasen können nur im geringen Grade zur Klärung der Abstammungsverhältnisse herangezogen werden. So bleibt also die natürliche Systematik hauptsächlich auf die morphologische Vergleichung der Arten angewiesen, eine Methode, die naturgemäß nur unsichere und je nach dem Stande der Erkenntnis schwankende Resultate zu liefern vermag, selbst wenn neben den rein organographischen auch die anatomischen Merkmale und pflanzengeographische Gesichtspunkte im weitesten Umfange herangezogen werden. Man unterscheidet in dieser Beziehung an den Pflanzen Anpassungsmerkmale (adaptive Charaktere), die in Beziehung zu den äußern Lebensumständen erworben worden sind und von Gruppe zu Gruppe oder sogar von Art zu Art innerhalb eines Verwandtschaftskreises wechseln, und Organisationsmerkmale (phyletische Charaktere), die unabhängig von der Anpassung durch Vererbung von den Vorfahren übernommen sind. Übereinstimmung in den letztern läßt auf Zugehörigkeit zu gleichen Verwandtschaftskreisen schließen. Je nachdem die Zahl der wesentlichen Merkmale, in denen die einzelnen Formen übereinstimmen, größer oder geringer ist, lassen sich in den Verwandschaftskreisen Reihen, Ordnungen und Abteilungen niederer Ordnung bilden, deren unterste die Gattungen und die aus ihnen sich zusammensetzenden Familien darstellen. Die Unsicherheit der Methode bedingt es, daß ein einheitliches, den natürlichen Verhältnissen im ganzen Umfang entsprechendes natürliches System nicht gefunden werden kann, vielmehr ist jedes natürliche System anzusehen als ein Ausdruck des jeweiligen Standes der Erkenntnis, das notwendig von der spätern Forschung überholt werden muß (s. Pflanzensystem).

Vgl. Bischoff, Handbuch der botanischen Terminologie- und Systemkunde (Nürnb. 1830–44, 3 Bde.)Radlkofer, Über die Methoden in der botanischen Systematik (Münch. 1883); Kuntze, Revisio generum plantarum (Leipz., Lond. u.a. 1891); U. Dammer, Die Beziehungen der Biologie zur Systematik (im »Biologischen Centralblatt«, Bd. 12, 1892); Wettstein, Grundzüge der geographisch-morphologischen Methode der P. (Jena 1898); Rosen, Studien über das natürliche System der Pflanzen (in Cohns »Beiträge zur Biologie«, Bd. 8, 1902); Engler, Prinzipien der systematischen Anordnung (in seinem »Syllabus der Pflanzenfamilien«, 4. Aufl., Berl. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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