- Anpassung
Anpassung (lat. Adaptatio), die Fähigkeit der lebenden Wesen, ihren Körperbau und ihre Lebenstätigkeiten veränderten Bedingungen von Lebensweise, Ernährung, Klima, Bodenbeschaffenheit, Zusammenleben mit andern Tieren etc. unmittelbar oder im Laufe der Generationen anzubequemen. Unter direkter A. versteht man die unmittelbar durch die veränderte Lebensweise selbst herbeigeführte zweckentsprechende Veränderung der Organisation, z. B. Vermehrung des Blutfarbstoffes bei Mensch und Tier, wenn sie in der dünnen Luft des Hochgebirges Aufenthalt nehmen. Die funktionelle A., bei der ein stärker in Anspruch genommenes Organ gekräftigt, ein außer Gebrauch gesetztes bis zur Verkümmerung geschwächt wird, beruht darauf, daß jedes Organ wesentlich nur in seiner Funktion lebt und daher durch stärkere Inanspruchnahme (soweit dieselbe, ohne die Harmonie des Ganzen zu stören, ausgedehnt werden kann) besser assimiliert, während unbenutzte Organe ein Scheinleben fuhren, schwächer assimilieren und endlich zu Grunde gehen. Da dieser Prozeß sich bis in die kleinsten aufbauenden Teilchen fortsetzt, so kann unter Umständen die gesamte Elementarstruktur eines Organs durch funktionelle A. verändert werden; und weil bei der funktionellen A. Neubildung und Ausmerzung von Elementarteilen Hand in Hand gehen, so nennt Roux das Prinzip, in dem sie wirkt, einen Kampf der Teile im Organismus (Kampf um den Raum und das Baumaterial). Durch diesen Prozeß erklärt sich die der Funktion entsprechende höchste Zweckmäßigkeit der Anordnung aller Teile in jedem Organ. Auf der andern Seite schwinden durch Nichtgebrauch Teile, z. B. die Augen der Höhlentiere, die Bewegungs- und Sinnesorgane der festwachsenden nder schmarotzenden Tiere dahin. Man nennt daher auch solche Organänderungen, die sich dem Geschlechte dauernd von Vorteil erweisen, adaptive, während inadaptive zum Aussterben führen. Lamarck glaubte, mit dem Prinzip der funktionellen A. die Veränderungen der lebenden Wesen in der Zeit überhaupt erklären zu können; allein Darwin zeigte, daß man eine große Reihe von Abänderungen der Lebewesen nur durch die Annahme einer indirekten A. unter dem Einfluß der natürlichen Zuchtwahl erklären könne, sofern von den nach den verschiedensten Richtungen abändernden Organismen einzelne den für die Art (z. B. durch Auswanderung oder Klimawechsel) veränderten Lebensbedingungen besser standhalten können als andre. Die indirekte A. durch natürliche Zuchtwahl schreitet dann durch eine Reihe von Generationen fort, bis das vollkommenste Maß der A. an die Lebensbedingungen der neuen Umgebung etc. nach allen in Betracht kommenden Richtungen, z. B. auch eine relative Immunität gegen die herrschenden lokalen Krankheiten, erreicht ist, wobei die Organisationshöhe des Körpers vor- und zurückschreiten kann. Die A. an sitzende Lebensweise ist für die Tiere fast immer eine rückschrittliche, weil mit dem Verlust der Bewegungsorgane und oft auch einzelner Sinnesorgane, namentlich der Augen, der Geschlechtertrennung etc., verknüpft, und noch mehr ist dies der Fall bei A. von Pflanzen und Tieren an schmarotzende Lebensweise (s. Entartung). Direkte wie indirekte A. wirken im Laufe der Generationen akkumulativ, solange die höchste mit den andern Bedingungen verträgliche Zweckmäßigkeit nicht erreicht ist, da das Erreichte vererbt wird und die erzeugenden Bedingungen fortwirken (progressive und akkumulative A.). Nach Weismann und seiner Schule sollen freilich die durch äußere Einflüsse direkt erzeugten Abänderungen nicht erblich sein (vgl. Erblichkeit), sondern nur die durch Keimvariation entstandenen, wonach die A. ausschließlich durch Zuchtwahl zu stande käme und die Lamarcksche Theorie völlig zu verwerfen wäre. Allein wir kennen zahlreiche Beispiele direkt durch bestimmte Änderungen des Mittels (z. B. Salzentziehung bei Meertieren) oder unter dem Einfluß bestimmter Vorbilder (s. Mimikry) entstehender Anpassungen, so daß die neue Theorie großen Schwierigkeiten begegnet und jedenfalls das Verständnis nicht erleichtert. Auch die sogen. Anpassungsähnlichkeit (s. Ähnlichkeit) der Schmarotzer, Wassertiere und -Pflanzen, Erdwühler untereinander spricht für gleichartige, erblich werdende Einflüsse der Lebensweise und Umgebung. Mitunter kann die A. auf das eine Geschlecht, dem dieselbe allein von Nutzen ist, beschränkt sein (geschlechtliche A.), z. B. die Pollensammelapparate mancher Bienen. Auch kommt bei Tieren und Pflanzen, die in Symbiose oder Wechselbeziehungen leben, oft eine gegenseitige A. vor. Vgl. Roux, Der Kampf der Teile im Organismus (Leipz. 1881); Lang, Über den Einfluß der festsitzenden Lebensweise auf die Tiere (Jena 1888).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.