- Autographensammlungen
Autographensammlungen (hierzu die Tafeln »Autographen berühmter Personen«), Sammlungen von Originalhandschriften als solchen. Dergleichen A. sind daher keine Archive oder Manuskriptsammlungen; doch wie es der Bibliothekar als eine erfreuliche Zugabe betrachtet, wenn das durch seinen Inhalt wertvolle Manuskript zugleich die Eigenschrift des Verfassers ist, so wird dem Autographensammler der Inhalt eines Schriftstückes niemals gleichgültig sein, zumal dieser auch für die materielle Bewertung desselben ausschlaggebend ist. Obwohl nun A. an und für sich nicht die Bestimmung haben, der wissenschaftlichen Forschung zu dienen, so rettete der Sammler schon oftmals Handschriften vor der Vernichtung und leistete in diesem Sinne der Wissenschaft seine Dienste. Wenn schon von solchem Standpunkt aus das Sammeln von Autographen keineswegs in den Bereich der bloßen Kuriositäten fällt, so hat es ferner einen eigentümlichen Reiz, dem geheimnisvollen Zusammenhang nuischen dem Charakter eines Menschen und seiner Handschrift nachzuspüren, und daß das häufige Bestehen eines solchen Zusammenhanges nicht in Abrede gestellt werden kann, beweist z. B. der bekannte Umstand, daß weibliche Handschriften von männlichen in der Regel leicht unterschieden werden können. Die Liebhaberei an Autographen kam Ende des 16. Jahrh. zuerst in Frankreich auf, und zwar pflegten diese Sammlungen damals vorzugsweise historische Aktenstücke, Gesandtschaftsberichte, Memoiren, Urkunden und Briefe berühmter Personen zu enthalten, wie sie auch vornehmlich zum Zweck der geschichtlichen Forschung und der Publizistik angelegt wurden. Die großartigste derartige Sammlung autographischen Materials von Anfang des Mittelalters an bis auf die neueste Zeit herab besitzt die öffentliche Bibliothek in Paris. Von Frankreich aus fand das Sammeln von Autographen zunächst in England, wo, abgesehen von zahlreichen Privatsammlungen, das Britische Museum eine auserlesene Sammlung birgt, und von da seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. auch in Deutschland Eingang, wo es besonders in den letzten Jahrzehnten sehr in Schwang kam. Infolge davon wurden die Autographen Gegenstand des Verkehrs, und es bildete sich der Autographenhandel zu einem besondern Gewerbszweig aus, der meist mit dem Antiquar-, Buch- und Kunsthandel verbunden ist. Der Ein- und Verkauf findet teils durch Auktionen, teils aus freier Hand, d. h. durch Kataloge mit fest bestimmten Preisen, statt. Der erste Versuch, eine von Richelieu herrührende Sammlung öffentlich zu versteigern, wurde 1801 in Paris gemacht, während der erste Autographenkatalog, die Sammlung von Pixéricourt enthaltend, 1822 ebenfalls in Paris erschien. 1838 gründete Charon in Paris das erste Autographengeschäft, das nach einiger Zeit Aug. Laverdet, dann Gabriel, später Eugène Charavay und seit neuerer Zeit die Witwe des erstern übernahm. In Deutschland ward die erste Autographenauktion 1838 in Wien durch den Buchhändler Gräffer veranstaltet; ihr folgte 1843 die zweite, von T. O. Weigel, jetzt Oswald Weigel, in Leipzig bewerkstelligte. In letzter Zeit hielten größere Autographenauktionen ab: List u. Francke in Leipzig, J. M. Heberle in Köln, Leo Liepmannssohn und J. A. Stargardt in Berlin sowie Gilhofer u. Ranschburg in Wien. Die bedeutendsten Autographenhändler in Deutschland sind: Otto Aug. Schulz in Leipzig, Friedr. Cohen (Sammlung Alex. Posonyi) in Bonn, Richard Bertling in Dresden, L. Liepmannssohn, R. Zeune (A. Spitta) in Berlin. Im Ausland sind Noël Charavay u. Mad. Vve. Gabr. Charavay in Paris, Langham u. Co., I. Pearson u. Co., Sotheby, Wilkinson u. Hodge, Sotheran u. Co. in London und W. R. Benjamin in New York zu nennen. Die große Nachfrage nach Autographen, besonders von den Koryphäen der klassischen Epoche der deutschen Literatur, hat auch zu Fälschungen Veranlassung gegeben; so wurde 1856 zu Weimar einem Architekten v. Gerstenberg der Prozeß gemacht, weil er Autographen Schillers in großer Anzahl angefertigt und verkauft hatte. Zur Verifikation zweifelhafter Autographen dienen dem Sammler besonders Faksimiles, die durch Lithographie, Kupferstich oder Holzschnitt vervielfältigt und in besondern Werken zusammengestellt sind. Die bedeutendsten derselben sind die 1843 in Paris erschienene »Isographie des hommes célèbres« von Th. Delarue (4 Bde.), sowie das 1864–66 in London erschienene »The autographic mirror« (4 Bde.). Von deutschen Werken sind zu erwähnen: Dorows »Faksimiles von Handschriften« (Berl. 1836); Weigels »Autographen-Prachtalbum« (Dreißigjähriger Krieg, Leipz. 1848); »Sammlung historisch berühmter Autographen« (Stuttg. 1846); Schlottmanns »Deutsches Stammbuch« (3. Aufl., Leipz. 1858); »Geliebte Schatten« (hrsg. von Götz, Mannh. 1858); für die Gegenwart das vom Deutschen Familienblatt veröffentlichte Selbstschriftenalbum »Aus Sturm und Not« (Berl. 1881) und »Deutsche Dichter und Denker der Gegenwart« (hrsg. von Wasmuth, das. 1885). Eine kleinere Sammlung bieten unsre beifolgenden Tafeln.
Anweisungen für Sammler geben Fontaines »Manuel de l'amateur d'autographes« (Par. 1836) und Günthe: und Schulz' »Handbuch für Autographensammler« (Leipz. 1856), letzteres mit Angabe der damaligen Durchschnittspreise auf Auktionen. In diese Rubrik ist auch die von Etienne, jetzt Noël Charavay in Paris seit 1862 herausgegebene Zeitschrift »L'amateur d'autographes«, ferner Eugène, jetzt Mde. Vve. Gabriel Charavays »Revue des autographes« zu rechnen, denen sich die 1884 von Fischer von Röslerstamm begründete und seit 1890 von Richard Bertling in Dresden fortgeführte, aber inzwischen eingegangene Monatsschrift »Mitteilungen für Autographensammler« anreiht. Ferner erscheinen seit gegen Ende der 1880er Jahre bei S. Davey, jetzt Langham u. Co. in London, »The Archivist« und bei W. R. Benjamin in New York »The Collector«. – Bei der Bestimmung des materiellen Wertes der Autographen kommen verschiedene Gesichtspunkte in Betracht. Die hauptsächlichsten derselben sind zunächst bas Interesse an der schreibenden Person und der mehr oder minder interessante Inhalt des Schriftstückes; ferner das seltenere oder häufigere Vorkommen von Autographen der betreffenden Persönlichkeit sowie die mehr oder minder gute Erhaltung der Handschriften. Von großer Wichtigkeit ist, ob das Schriftstück ganz eigenhändig geschrieben, mit voller Unterschrift, Datum, Adresse und (neuerdings) auch Postmarke versehen, oder ob dasselbe von andrer Hand ausgefertigt und nur die Unterschrift eigenhändig ist Groß ist die Verschiedenheit in der Anlage von A.; während manche Sammler soviel wie möglich alle Namen berühmter Persönlichkeiten zu vereinigen suchen, beschränken sich andre auf bestimmte Geschichts- und Literaturepochen, auf einzelne Nationen oder auf bestimmte Berufskreise und Gebiete der menschlichen Geistestätigkeit.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.