- Kamm [1]
Kamm, das zum Reinigen und Ordnen der Haare dienende bekannte Werkzeug, aus Horn, Hartgummi, Schildpatt, Elfenbein, Knochen, Holz, Zelluloid, Metall und aus künstlichen Massen, z. B. aus Leim mit phosphorsaurem Kalk. Um das Haar dunkler zu färben, bediente man sich verwerflicherweise der Bleikämme. Zur Herstellung der Hornkämme werden in den gerade gebogenen, durch Schaben und Hobel vorgerichteten (zugeschickten) Hornplatten die Zähne mit einer Säge eingeschnitten (gezwickelt), mit Feilen zugespitzt, abgerundet und geglättet. Darauf erfolgt die Vollendung durch wiederholtes Schaben, Reiben und Polieren auf Filz mit Polierpulver. Verzierungen entstehen durch Pressen zwischen heißen Platten (s. Horn, S. 556). Meist werden Kämme jetzt auf Maschinen erzeugt entweder durch »Doublieren« auf Durchschnitten mit Stempeln von Kammform, so daß zwei Kämme aus einer Platte entstehen, indem die Zähne des einen von den ausgestoßenen Schroten des andern gebildet werden oder durch Einschneiden der Zähne mittels Kreissägen, die in entsprechender Zahl nebeneinander auf einer Welle sitzen. Vgl. Friedrich, Die Kammfabrikation, ihre Geschichte und gegenwärtige Bedeutung (Nürnb. 1883).
Kulturgeschichtliches. Aus Holz oder Knochen geschnitzte Kämme waren, wie Gräberfunde u. Wand- und andre Malereien bezeugen, schon bei den alten Ägyptern im Gebrauch, ebenso bei den Babyloniern und Assyrern, deren kunstvolle Haar- und Bartfrisuren auf die Anwendung von Kämmen hinweisen, vielleicht schon von besondern Haar- und Bartkämmen, deren Gebrauch bei den alten Indern im Epos »Ramajana«, das in den letzten Jahrhunderten v. Chr. entstanden ist, ausdrücklich erwähnt wird. Die Griechen und Römer hatten Kämme aus Buchsbaumholz, Elfenbein und Metall, deren Griffe oft kunstvoll geschmückt waren. Sie wurden aber nicht in die Haare zum Festhalten von Zöpfen, Locken u. dgl. gesteckt, sondern dienten nur zum Auskämmen der Haare. Goldene Einsteckkämmchen, die nur zum Putz des Haares dienten, sind nachweislich zuerst bei den Araberinnen zur Anwendung gekommen. Im Mittelalter wurde bereits mit Kämmen, die wie bei den Griechen und Römern aus Buchsbaumholz und Elfenbein geschnitzt wurden, großer Luxus getrieben. Aus dem 11. Jahrh. haben sich reich mit Edelsteinen besetzte Kämme erhalten, unter ihnen der sogen. Bartkamm Heinrichs I. im Dom zu Quedlinburg. Kämme aus Elfenbein d ien len im Mittelalter auch zum liturgischen Gebrauch, indem sie vom Bischof benutzt wurden, bevor er in vollem Ornat zur Darbringung des Meßopfers an den Altar trat. Daraus erklärt es sich, daß noch jetzt in einzelnen Kirchen solche Kämme vorhanden sind. Einsteckkämme und zwar Scheitel- und Seitenkämme, die teils zur Befestigung der Haare, teils nur zum Schmuck des Haares dienen, sind im Lauf des 19. Jahrh., je nach der vorherrschenden Frisur, oft in die Mode gekommen und aus allen oben angeführten Stoffen, häufig mit reichen Verzierungen von Gold, Silber, Perlen, Edelsteinen, Perlmutter etc., hergestellt worden. In neuerer Zeit haben auch hervorragende Schmuckkünstler Entwürfe zu kunstvoll verzierten Kämmen geliefert (s. Tafel »Schmucksachen I«, Fig. 7 und 10). Besonders beliebt sind Kämme aus braunem, marmoriertem oder goldgelbem Schildpatt, die, meist in Italien hergestellt, oft mit reichem Schnitzwerk ausgestattet sind.
Dem modernen K. der europäischen Kulturvölker stehen nach Material und Form ungemein verschiedene Kammarten bei den außereuropäischen Kulturvölkern und vor allem bei den Naturvölkern zur Seite. Sehr nüchtern und zweckentsprechend, in der Form außerdem unsern Kämmen nahe verwandt, ist der asiatische K. (China, Japan, Hinter- und Vorderindien etc.). Bei den Völkern Vorderindiens und Ceylons dient er vorwaltend als Steckkamm, d. h. zum Festhalten des Haares in der gewünschten Form nach dem Ordnen der Frisur. In Ostasien besorgen diesen Dienst Haarnadeln mannigfachster Form. Bemerkenswert sind aus dem Süden des Erdteils sonst nur noch die Bambuskämme der Negritostämme auf Malakka; sie sind in ihrem kompakten Teil mit Zaubermustern bedeckt und dienen als Amulette gegen Krankheiten. Der gesamte Norden Asiens, insonderheit die Hyperboreer, scheint ursprünglich ganz ohne K. gewesen zu sein, zweifellos der durch das harte Klima bedingten dauernden schweren Kopfumhüllung halber; wo es dort heute Kämme gibt, gehen sie auf fremden (russischen oder chinesischen) Einfluß zurück.
Auch Amerika ist ursprünglich arm an Vorrichtungen zum Ordnen und Zusammenhalten des Haares, woran vielleicht, ebenso wie bei den schlichthaarigen Rassen und Völkern Asiens, in erster Linie das schlichte, leicht zu ordnende Haar die Schuld trägt. Von den Eskimo sind Kämme bekannt, die in der Form den unsrigen ähneln und in Futteralen von Birkenrinde aufbewahrt werden. Auch der Kammreiniger, ein haariger Fellstreifen, erinnert an entsprechende Vorrichtungen bei uns. Prachtvoll geschnitzte Kämme aus Horn sind dagegen im modernen Mexiko gebräuchlich (Fig. 1, S. 516); ähnlich geschmackvolle, wenn auch in Aufbau, Stil und Ornamentik völlig von ihnen verschiedene, werden endlich bei den Indianern des Xinguquellgebiets im südlichen Brasilien, den Bakaïri, Nahuquá, Trumaï etc. gebraucht. Es sind von hölzernen Querbalken zusammengehaltene Stäbchensysteme, die mit farbigen Fäden durchflochten sind. Die Muster schließen sich der übrigen, anscheinend geometrischen Xingu-Ornamentik an (Fig. 2).
Ein Gebiet außerordentlich ausgedehnter Haarpflege ist Afrika. Was dem Neger an Länge des Haupthaares abgeht, sucht er durch möglichst kunstvolle Frisuren zu ersetzen. Dabei macht er, im Gegensatz zu den Kulturvölkern, durchaus keinen Unterschied zwischen dem K. als Reinigungs- und Frisiergerät und demselben als Schmuck; der K. verbleibt in der Tat fast ganz allgemein in der mit seiner Hilfe vorher erzeugten Frisur, die bei manchen Völkern, wie bei den Somal, Galla, Nubiern und Bakuba, geradezu erst durch ihn charakterisiert wird (s. Tafel »Afrikanische Völker I«, Fig. 12). Die Struktur und die Dichte des Negerhaares bringt es dann ferner mit sich, daß derbe Kämme mit wenig Zinken vorherrschen, ja daß die ein- oder mehrfache Nadel in manchen Gebieten vorherrscht, so im ganzen Osthorn bei den Somal (Fig. 3, S. 516), Galla, Danakil, bei den Kaffervölkern, im Kassaigebiet und in Gabun, bei den Monbuttu, Niamniam etc. bis zum Benuë hin. Holz, Knochen, Elfenbein, Flußpferdzahn, Stachelschweinborsten, Horn, Bambus, Kupfer, Messing und Eisen geben das Material zu diesen meist langen, nur an ihrem Kopf der Verzierung Raum bietenden Nadeln. Meist sind diese Köpfe einfache Verdickungen, zuweilen sind sie jedoch zu Schnupflöffeln (Kaffern), Parfümbüchsen (Haussa), Messern (Wasaramo), Pfeilspitzen (Mayakalla) etc. ausgestaltet worden.
Der eigentliche K. Afrikas ist entweder aus einem einheitlichen Stück (Holz, Knochen, Elfenbein etc.) herausgearbeitet oder aber aus Einzelstäbchen (Gras, Binsen) mit Hilfe von Schnurgeflecht und Umwickelung zusammengesetzt. In diesem Falle sind die Kämme stets nur einfach gestaltet und wenig oder gar nicht verziert. Ausnahmen bilden nur die hübschen, mit Zebrahaar durchflochtenen und mit Stanniol belegten kleinen Kämme der Wayao, Wamwera und Wangindo im Süden Deutsch-Ostafrikas (Fig. 4) und die mit hübsch gemustertem Rohrgeflecht durchsetzten Stäbchenkämme der Loangoküste.
Viel mehr Raum zu künstlerischer Betätigung geben die geschnitzten Kämme. Die des Ostens sind weit häufiger Doppelkämme (mit zwei Zinkenreihen) als die des Westens, daher schon aus diesem Grunde meist größer und wuchtiger. Am schönsten sind die Ebenholzkämme der Suaheli (Fig. 5) und die mit reichem Figurenschmuck versehenen Kämme der Wagalla in Unjamwesi. Im Westen sind wieder die Loangoküste (Fig. 6), dann aber vor allem Oberguinea (Liberia, Goldküste) durch oft recht naturalistisch geschnitzte Griffteile ausgezeichnet.
Für die negroiden Völker Melanesiens gilt im großen und ganzen dasselbe wie für Afrika, nur daß die reichere Natur elegantere, reichere Formen begünstigt.
Nadelartige Kämme, oft reich ornamentiert und stets mit Federbesatz, sind charakteristisch für Neuguinea (Fig. 7) und die Salomonen, die beide außerdem aber auch noch zusammengesetzte Kämme von vielen Zinken haben (Fig. 8 u. 9). Der federgeschmückten Haarnadel Melanesiens entspricht weiter nördlich der lange, schmale K. der Karolinen (Fig. 10), der 0,5 m an Länge erreicht. An Größe übertroffen wird dieser noch durch den wuchtigsten aller Kämme, den aus Stäbchen zusammengeflochtenen, geometrisch gemusterten, 0,6 m und mehr an Länge erreichenden K. von den Admiralitätsinseln (Fig. 11), dem gegenüber der derselben Gruppe angehörige Stäbchenkamm (Fig. 12) nur durch seine höchst phantastische, aus bildsamer Paste herausgearbeitete Ornamentik ausgezeichnet ist. Diese schließt sich aufs innigste der des gesamten übrigen Kulturbesitzes jener Insulaner an. Anthropologische Konterfeie ihrer Verfertiger bieten schließlich die in ihrem Stil ganz vereinzelt dastehenden Holzkämme der Echiquierinseln im Bismarck-Archipel (Fig. 13).
In Polynesien herrscht die Zweiteilung nach Material und Aufbau ebenfalls vor. Verbreitungszentrum sind hier die Samoa-Inseln und deren weitere Umgebung. Der zusammengesetzte K. bietet hier nichts Bemerkenswertes (Fig. 14), wohl aber der aus einer dünnen Holzplatte gefertigte. Er ist architektonisch stets würdevoll aufgebaut (Fig. 15) und erinnert in manchen Zügen fast an die Gotik (Fig. 16). Vgl. Weule, Afrikanische Haarzierate (in der Beilage zur Münchener »Allgemeinen Zeitung«, 1897, Nr. 203).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.