Küstenvermessung

Küstenvermessung

Küstenvermessung, die Vermessung der Meeresküsten und der sie umsäumenden Gewässer nach allen für die Schiffahrt wichtigen Gesichtspunkten zur Darstellung dieser Aufnahmen in Seekarten. Die K. erstreckt sich auf Festlegung des Verlaufs des Küstensaumes, Topographie desselben, Bestimmung der Lage und Höhe aller für die Schiffahrt wichtigen Landmarken, wie Bergspitzen, Leuchttürme, Kirchen, Baken, Mühlen, hohe Schornsteine etc., Aufnahme des Reliefs des Meeresbodens mit den über dem Meeresspiegel auftauchenden Rissen und Sänden, Gezeiten- und Strombestimmung und Bestimmung der magnetischen Deklination. Die Art der Ausführung der K. ist, wenn auch in den Grundzügen dieselbe, doch je nach dem zu vermessenden Gebiet, den zu Gebote stehenden Mitteln und Zeit, im einzelnen verschieden. In den Kulturstaaten ist durch die Landesvermessung der Küstenverlauf, die Topographie und die Lage hervorragender Landmarken bereits bekannt, und die K. kann sich an die Landkarten anschließen; sie ist daher einfacher als an andern Küsten, wo noch keine zuverlässige Landesvermessung ausgeführt ist. Der Verlauf der Küstenvermessungsarbeiten ist in großen Umrissen der folgende: Wahl und Bezeichnung von Stationspunkten und einer Basis. Innerhalb des Vermessungsgebietes wird eine Reihe von Punkten, die weit sichtbar sind und auch gute Übersicht gewähren, ausgewählt, um als Dreieckspunkte für die Vermessung zu dienen, ebenso eine Basis, d. h. eine Linie, deren Länge als Grundlage für die Entfernungen dienen soll. Als Hauptpunkte werden namentlich Berge, Küstenvorsprünge, Inseln und Klippen sowie künstliche bereits vorhandene oder noch zu schaffende Zeichen, bestehend in Steinhaufen, Stangen mit Flaggen, aus Latten hergerichtete Aufbauten (Baken) u. dgl., verwendet, als Nebenpunkte werden nur solche für die Karte nötige Punkte gewählt, über die keine weitern Dreiecke aufgebaut werden. Die Basis wird auf möglichst ebenes und zugängliches Gelände gelegt. Messung der Basis; Triangulation. Die Länge der Basis wird festgestellt durch direkte Messung, Messung des Gesichtswinkels, unter dem ein Objekt von genau bekannter Höhe erscheint, durch den Schall und durch astronomische Ortsbestimmung der Endpunkte. Am besten und genauesten ist die direkte Messung; sie erfolgt mit Hilfe von Meßstangen, Stahlmeßbändern, Meßketten oder Leinen. In angemessenen Zwischenräumen (50 m) werden senkrechte Markierstäbe (Fluchtstäbe) mit Hilfe eines Theodoliten in der Verbindungslinie der beiden Endpunkte aufgestellt, eine Leine straff an denselben ausgespannt und an derselben entlang mit den genannten Hilfsmitteln die horizontale Entfernung gemessen. Die Ausmessung mit Meßstangen, 5 m langen Holzlatten, hat den Vorzug, daß das Gelände bei denselben weniger eben sein kann; die Stange wird bei geneigtem Boden mit der Hand horizontal gehalten und mit einem Lot abgesenkelt. Schneller und bequemer kommt man auf ebenem Boden mit einem Stahlmeßband zum Ziel. Dasselbe wird an den Fluchtstäben entlang straff gespannt, das Ende (gewöhnlich 20 m) durch eine in die Erde gesteckte Stahlpinne bezeichnet, dann von dieser die nächste Länge gemessen etc. Die Messung wird, um Fehler zu vermeiden, mehrmals wiederholt. Gestattet das Gelände keine direkte Messung, muß man von beiden Endpunkten der Basis den Winkel messen, unter dem ein seitwärts von der Basis befindliches Objekt von bestimmter Höhe erscheint, wobei gleichzeitig die Horizontalwinkel bei den Basisendpunkten gemessen werden. Dieser Fall kommt bei der K. zuweilen vor, wenn man an schwer zugänglicher Küste das seitwärts von der Basis verankerte Schiff mit benutzt. Wo ein Theodolit mit Höhenkreis vorhanden ist, wird oft der parallaktische Winkel einer in einem Endpunkte der Basis aufgestellten möglichst langen Distanzlatte vom andern Basisendpunkte aus gemessen und daraus die Basis berechnet. Man kann die Basislänge auch finden durch Bestimmung der Zeit, die der Schall einer abgefeuerten Schußwaffe zum Zurücklegen der Entfernung gebraucht (der Schall legt in der Sekunde einen Weg von 341,3 m + 0,606 (t°-15°) zurück, (worin t die Temperatur in Celsiusgraden bedeutet) oder durch astronomische Ortsbestimmung der Endpunkte. Die beiden letzten Methoden sind nur bei größern Entfernungen anzuwenden und werden leicht ungenau. Die direkte Messung einer oder mehrerer kleiner Grundlinien ist vorzuziehen, und wo man einer größern bedarf, von jenen durch Winkelmessungen auf eine solche überzugehen. Die Richtung der Basis wird bestimmt durch Visieren mit einem Kompaß von einem Endpunkt zum andern unter gleichzeitiger Bestimmung der Deklination, oder durch Festlegung des terrestrischen Azimuts mit astronomischen Beobachtungen.

Die Stations- und Basispunkte werden durch Triangulation miteinander verbunden, d. h. zwischen ihnen werden (am besten mit dem Theodoliten) Winkel gemessen, und so Dreiecke gebildet, durch welche die gegenseitige Lage der Punkte bestimmt ist. Auf einer Hauptstation, gewöhnlich einem Endpunkte der Basis, wird die geographische Länge und Breite durch astronomische Beobachtungen ermittelt. Häufig wird eine Reihe von Stationspunkten auch durch einen sogen. Polygonzug miteinander verbunden, d. h. von den einzelnen Punkten werden der Reihe nach die Winkel nach den beiden benachbarten Stationen gemessen, die Richtung und Länge der Verbindungslinien bestimmt; die Punkte bilden sodann die Ecken eines Polygons.

Festlegung der Küstenumrisse; Topographie. Alle Vorsprünge und Einschnitte der Küstenlinie werden von den Stationspunkten aus anvisiert und durch die Schnittpunkte dieser Visierlinien (Tangenten an die Küste) wird eine große Anzahl von Küstenpunkten ihrer Lage nach festgelegt. Zwischen diesen Nebenpunkten wird durch Abschreiten des Strandes und durch Messung von Horizontallinien zwischen den Punkten und der Abstände der Strandlinie von diesen der Lauf des Küstensaumes festgestellt und gleichzeitig seine Beschaffenheit gezeichnet. Ist die Küste nicht zugänglich, so erfolgt die Aufnahme vom Boot aus. Die Topographie des eigentlichen Küstensaumes, ob Flach- oder Steilküste, ob sandig oder bewachsen, die Lage von Häusern und sonst bemerkenswerten Gegenständen am Strande, Landungsstellen, Frischwasserläufen und was sonst für die Schiffahrt von Belang, wird in gleicher Weise wie die Küstenlinie für die Eintragung in die Karte genau bestimmt. Die Umrisse der Erhebungen und ihre Höhe über dem Meer, auch in weiterm Abstande von der Küste, werden soweit wie möglich festgestellt. Die Höhen werden in der Regel trigonometrisch durch Winkelmessungen, selten mit Hilfe des Barometers, bestimmt, die kleinen Höhenunterschiede des Geländes durch Nivellement. Die Anwendung der Phototopographie (Photogrammetrie) auf die K. insbes. zur Aufnahme von Sandbänken, die bei Niedrigwasser trocken fallen, ist schon um 1896 von Thoulet in Frankreich versucht, indessen bisher noch nicht genügend ausgenutzt worden, trotzdem durch sie großer Zeitgewinn bei der K. zu erwarten ist.

Vertonungen. Von besonderm Nutzen für das Auffinden der Landmarken an einer Küste sind Vertonungen, d. h. Ansichten der Küste, wie sie vom Meer aus erscheint. Diese werden vom Schiff oder Boot aus in geeigneter Entfernung von der Küste von besonders charakteristischen und für die Schifffahrt wichtigen Teilen der Küste derart angefertigt, daß zwischen den hervorragenden Gegenständen Horizontalwinkel sowie ihre Höhenwinkel über der Wasserlinie gemessen, diese in bestimmtem Maßstab als lineare Entfernungen (die Höhenwinkel meistens in größerm, 11/2-2fachem Maßstab der Horizontalwinkel) zu Papier gebracht und dazwischen der Umriß der Küste mit allem Bemerkenswerten eingezeichnet wird. Unter der Vertonung wird die Entfernung und Richtung, von der der wichtigste Punkt gesehen wurde, angegeben. Von einzelnen wichtigen Landmarken werden besondere Zeichnungen gefertigt. Neuerdings benutzt man soviel wie möglich Photographien aus mindestens 3 Seemeilen Abstand vom Lande zur Herstellung von Küstenansichten.

Die Wassertiefen werden bis zu Tiefen von 4 m mit Peilstangen (mit einer Dezimeterteilung versehene hölzerne Stangen) auf Dezimeter genau gemessen, bei größern Tiefen durch das Lot, bis zu 20 m auf halbe Meter, darüber hinaus auf ganze Meter genau; bis zu 10 m gewöhnlich vom Boot aus, auf größern Tiefen vom Schiff aus. Die Lotungslinien (d. h. die Linien, in denen die Lotungen ausgeführt werden) werden möglichst parallel zueinander und senkrecht zur Strandlinie angeordnet; einige parallel dem Strande laufende Lotungslinien dienen zur Kontrolle der auf den erstern gemachten Tiefenmessungen. Die abzulaufenden Lotungen werden durch Deckpeilungen von Landmarken bestimmt, d. h. sie fallen in die Verlängerung der Verbindungslinie zweier Landmarken; sind natürliche Landmarken dafür nicht vorhanden, so werden künstliche Marken (Baken) aufgestellt. Der Abstand der Lotungslinien voneinander hängt von der Beschaffenheit des Grundes und der Wassertiefe ab. Je geringer die Tiefen und je unebener der Grund, desto dichter werden die Linien gelegt. Jedenfalls müssen die Lotungen so bemessen sein, daß für die Schiffahrt gefährliche Klippen, Risse und Bänke nicht unentdeckt bleiben. Das Boot fährt in der Lotungslinie fortwährend lotend mit gleichmäßiger, nicht zu rascher Fahrt entlang; alle 1–2 Minuten wird der Ort des Bootes durch Winkelmessungen zwischen 2 oder 3 bekannten und der Lage nach bestimmten Landmarken vom Boot aus, oder durch Einschneiden des Bootes mit zwei an Land aufgestellten Theodoliten bestimmt. Bei größerer Entfernung vom Lande müssen andre Mittel (Berechnung aus Kurs und Fahrt, astronomische Beobachtungen) für die Ortsbestimmung zu Hilfe genommen werden. Wird beim Loten eine Untiefe oder bemerkenswerte Unregelmäßigkeit der Tiefe entdeckt, so wird die Stelle durch Verankerung einer Boje od. dgl. bezeichnet und dann samt Umgebung genau ausgelotet und aufgenommen. Trockenfallende Sande werden wie Inseln aufgenommen; die hervorragenden Punkte der Umrißlinien werden durch Tangentenvisuren von bekannten Punkten festgelegt und dazwischen die Linien, ähnlich wie die Strandlinien der Küste, durch Ablaufen und Abstandmessen bestimmt.

Die Grundbeschaffenheit ist für das Ankern der Schiffe wichtig, oft auch bei dickem Wetter für die Ortsbestimmung wissenswert. Daher werden gleichzeitig mit den Lotungen zur Feststellung der Beschaffenheit des Meeresbodens Bodenproben ausgeholt. Zu diesem Zweck wird eine am untern Ende des Lotes befindliche kleine Höhlung mit Talg ausgeschmiert, an dem bei Berührung mit dem Meeresboden Teilchen haften bleiben. Sollen Grundproben für wissenschaftliche Untersuchungen erlangt werden, wendet man Lote mit Kammern und Ventilen oder Grundzangen an.

Pegelbeobachtungen. Alle gemessenen Tiefen müssen für einen bestimmten Wasserstand berichtigt werden; in Gewässern, wo Ebbe und Flut läuft, geschieht dies in der Regel auf das mittlere Niedrigwasser zur Springzeit (z. B. in der Nordsee), wo keine Gezeiten stattfinden, auf den mittlern Wasserstand: Mittelwasser (Ostsee). Deshalb müssen gleichzeitig mit den Lotungen Wasserstandsbeobachtungen angestellt werden. Dies geschieht mit Pegeln, die je nach den örtlichen Verhältnissen des Vermessungsgeländes an einer oder verschiedenen Stellen aufgestellt werden. Bei den Vermessungen werden am besten und gewöhnlich die einfachsten Arten der Pegel, d. d. einfache Latten, die eine deutlich aufgetragene Teilung in Dezimeter und Zentimeter tragen, verwendet. Wegen der verschiedenen Arten der Pegel oder Wasserstandsmesser, ihrer Ausstellung und ihres Gebrauchs wird auf den Artikel »Pegel« verwiesen.

Strombeobachtungen. In Gewässern, wo Strömungen laufen, werden diese von festen Standpunkten, aus verankertem Boot oder Schiff, mit Hilfe des Logs (s. d.) oder besonderer Strommesser bestimmt.

Eintragung des Vermessungsmaterials in die Karte. Die gesamten Aufnahmen werden zunächst in eine Arbeitskarte von großem Maßstab eingetragen, die Basis nach geographischer Länge und Breite, Streckenlänge und Richtung, alle übrigen Stations- und festgelegten Punkte je nach ihrer Bestimmung, entweder direkt durch Auftragen der gemessenen Winkel und Abstände, oder indem man sich die Koordinaten jedes Punktes berechnet und diese abträgt, die Strandlinien nach den Messungen und gemachten Skizzen, die Lotungslinien nach den Richtlinien und den Ortsbestimmungen und unter richtiger Verteilung der zwischen den Ortsbestimmungen gemachten Lotungen, alle Land- und Seemarken, Sande, Risse, Inseln etc.; die Vertonungen werden am Rand oder in freiem Felde der Karte eingezeichnet. Nach dieser Arbeitskarte werden von Kartographen der hydrographischen Ämter (s. Hydrographie) die für den Gebrauch bestimmten Seekarten angefertigt.

Unter fliegender K. versteht man solche Vermessung, die keine festen Stützpunkte hat, sondern lediglich von Bord eines Schiffes ausgeführt wird, das in Bewegung ist (running survey). Der von dem Schiff zurückgelegte Weg dient als Basis; durch Peilungen und Winkelmessungen wird die Lage der Landmarken festgelegt. Diese Art der Vermessung kommt zur Anwendung bei Aufnahmen unbekannter Inseln, einzelner Felsen und ähnlicher, bisher noch nicht vermessener Landmassen. Ein angemessener Abstand des Schiffes von der Küste, 3–4 Seemeilen, richtige Wahl der Kursrichtung, im spitzen Winkel zum Lauf der Küstenlinie, und eine gleichmäßige, geringe, nicht über 5 Seemeilen die Stunde betragende Fahrgeschwindigkeit sind Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung solcher Vermessung, die wegen ihrer Ungenauigkeit nur bei Mangel von Zeit für gründlichere Vermessung zu rechtfertigen ist. In Küstengegenden mit stark veränderlichen Fahrwassertiefen, wie z. B. im Wattengebiet der deutschen Bucht der Nordsee, ist die K. besonders schwierig und fordert häufige Wiederholungen und Neuzeichnungen der Seekarten, da die Wassertiefenverhältnisse die wichtigsten Angaben der Seekarten sind. Alle größeren Seemächte, besonders Großbritannien, halten deshalb ständig eine große Zahl von Vermessungsschiffen (s. d.) im Dienst, nicht nur, um bisher noch unvermessene Küstengebiete (deren es, dank des englischen Eifers auf dem Gebiete der K., der sich in der Bearbeitung von über 4000 Seekarten für alle Erdgegenden betätigt hat, nur noch sehr wenige gibt) neu aufzunehmen, sondern um die ältern K. immer wieder auf Änderungen zu prüfen. Die K. ist in Friedenszeiten die wichtigste Arbeit der Kriegsflotten zum Besten der eignen und internationalen Seeschiffahrt.

Vgl. »Anleitung zu Küstenvermessungen« (3. Band des »Lehrbuchs der Navigation«, hrsg. vom Reichsmarineamt, Berl. 1901); »Hydrographic Office. General Instructions for the Hydrographic Surveyors of the Admiralty« (Lond. 1903); v. Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Bd. 1 (3. Aufl., Hannov. 1905); Hoffmann, Nautische Vermessungen (ebenda); Börgen, Anstellung von Beobachtungen über Ebbe und Flut (ebenda); Shortland, Nautical surveying (Lond. 1890); Robinson, A treatise on marine surveying (das. 1882); »Notes on the organisation of the Coast Survey« (Washington, amtlich).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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