Hochgebirgsflora

Hochgebirgsflora

Hochgebirgsflora (Höhenflora, Gebirgspflanzen), die Gesamtheit der in Gebirgslandschaften über ca. 1600 m verbreiteten Pflanzenarten. Die ausgedehnten Hochländer der gemäßigten und tropischen Zone, wie die Pyrenäen, die Sierra Nevada, die Alpen, die Karpathen und die Gebirge der Balkanländer, der Kaukasus, der Tiënschan, Altai, Himalaja und das Hochland von Jünnan, ferner das nordamerikanische Felsengebirge und dessen Fortsetzung in Mexiko und Guatemala, desgleichen die tropischen und chilenischen Anden zeichnen sich floristisch durch mehr oder minder großen Reichtum an endemischen, d. h. ihnen ausschließlich eigentümlichen Arten aus. Dieselben mögen in einzelnen Fällen durch Umprägung der Artcharaktere an Ort und Stelle aus den Arten der benachbarten Talflora hervorgegangen sein. Im allgemeinen aber besteht zwischen der H. benachbarter und selbst entfernterer Gebirgsländer ein augenscheinlicher floristischer Zusammenhang. So kehren z. B. zahlreiche korrespondierende, nur in Merkmalen untergeordneten Ranges verschiedene Arten derselben Gattungen in den Hochgebirgen des westlichen und östlichen Mittelmeergebietes wieder. Derselbe Parallelismus herrscht zwischen der H. des Himalaja und den Gebirgslandschaften vom Kaukasus bis zu den Pyrenäen. Es muß demnach eine gemeinsame Abstammung aller dieser Florenelemente von einem Grundstock ursprünglicher Typen angenommen werden, der schon vor Eintritt der gegenwärtigen Oberflächengliederung die Hauptmasse der H. mit mehr oder weniger verwandten Formen ausgestattet hat. Da auch den entferntesten Gebirgsgliedern Europas und Asiens gewisse floristische Elemente gemeinsam sind, so müssen ausgedehnte Pflanzenwanderungen längs der durch klimatische Übereinstimmung verbundenen Gebirge stattgefunden haben. Letztere bilden im Gegensatz zu den Inseln (s. Inselflora) für die auf ihnen entstandenen Florenelementen Wanderungswege, die in verschieden verzweigten Linien vorzugsweise von den Hochgebirgen Asiens ausstrahlen und trotz mannigfacher Unterbrechung durch Tiefländer, Meeresteile und Wüsten durch das strichweise dichter zusammengedrängte Vorkommen derselben Formen die Richtung der ehemaligen Wanderung auch noch in der gegenwärtigen Verbreitung der Arten erkennen lassen. Für das nordeuropäisch-asiatische Gebiet wird die Geschichte dieser Wanderungen dadurch noch komplizierter, daß die während der Eiszeit eintretende umfangreiche Vergletscherung der Hochgebirge auch die Flora derselben tiefgreifend umgestaltete. Die hochwohnenden Pflanzen wurden in tiefere Regionen hinabgedrängt, zahlreiche wärmeliebende Typen gingen zugrunde, und die arktischen Pflanzen drangen nach Süden vor; es trat somit eine räumliche Vermischung von ursprünglichen Gebirgspflanzen mit arktischen Auswanderern ein. Man pflegt die Pflanzen dieser Gruppe als Glazialpflanzen zu bezeichnen. Hierher gehören Pflanzen wie Ranunculus glacialis, Arabis alpina, Draba aizoides, Silene acaulis, Cerastium alpinum, Saxifraga aizoides, Azalea procumbens, Veronica alpina, Bartsia alpina, mehrere Arten von Juncus, Eriophorum, Carex, ferner Dryas octopetala, Salix reticulata, S. herbacea, Betula nana u. a., von denen die letztgenannten auch fossil in inter- oder postglazialen Schichten des südlichen Schweden, in Seeland, in der ebenen Schweiz zwischen Zürich und dem Bodensee, in Mecklenburg, der Ukermark und andern Fundstellen Norddeutschlands, in England (Devonshire) u. a. O. gefunden worden sind. Erst allmählich drangen mit dem wieder wärmer werdenden Klima die besonders im S. erhaltenen nicht glazialen Florenelemente in die vorher vergletscherten Gebiete Mittel- und Nordeuropas ein und verdrängte von dort die Glazialpflanzen, die sich einerseits nach dem hohen Norden, anderseits in die Hochregion der viele Breitengrade südlicher gelegenen Gebirge zurückzogen. Eine ähnliche Vermischung der ursprünglichen H. mit Elementen des arktischen Gebietes wie in Europa ist während der Eiszeit auch in Nordamerika eingetreten. Im westlichen Nordamerika erstrecken sich die Spuren der Glazialpflanzen sowohl auf den Rocky Mountains als der Sierra Nevada sehr weit nach S., auf den Alleghanies dagegen fehlen sie vollständig. Auch im tropischen Afrika spielen die Hochgebirge eine ähnliche, sonst getrennte Florengebiete verknüpfende Rolle; die Flora des abessinischen Hochlandes schließt sich sehr innig an die des südwestlichen Arabien an, und zwar geben teils tropisch-afrikanisch-asiatische, teils mediterrane Typen den obern Regionen dieser Gebirge den vorherrschenden Charakter. Auch mit Vorderindien hat die tropisch-afrikanische Gebirgsflora eine Reihe von Arten, desgleichen eine noch größere Anzahl mit Südafrika (mit Ausschluß des Kaplandes) gemeinsam. Die charakteristischen immergrünen Gehölze des Mittelmeergebiets fehlen, mit Ausnahme von Erica arborea, in den afrikanischen Hochgebirgen, was aus dem ehemaligen Vorhandensein des beide Gebiete trennenden breiten Saharameeres erklärlich erscheint. Die Flora am Nordufer dieses Meeres stand in Zusammenhang mit derjenigen Persiens, Afghanistans und des Himalajagebiets, am südlichen Ufer herrschte dagegen das afrikanisch-indische Florenelement. Die Flora des Kilimandscharo steht in enger Beziehung zu der Abessiniens;verhältnismäßig nur wenige Arten sind endemisch. Ähnliches gilt für die H. der Kamerunberge, die jedoch weniger Verwandtschaft zu Vorderindien und zu Arabien erkennen läßt als die der ostafrikanischen Gebirge. Die meisten Arten (etwa 65 Proz.) hat die H. von Angola vor den übrigen Gebirgssystemen Afrikas voraus. Sehr eigentümlich ist hier das Auftreten von Vatica africana aus der Familie der Dipterokarpeen, deren Hauptzentrum in Ostindien liegt. Vgl. Drude, Handbuch der Pflanzengeographie (Stuttg. 1890); Engler, Versuch einer Entwickelungsgeschichte der Pflanzenwelt (Leipz. 1879–82, 2 Bde.) und Über die H. des tropischen Afrika (Berl. 1892). – Über die äußere Tracht der H. vgl. Alpenpflanzen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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