Hinterindien

Hinterindien

Hinterindien (Indochina, hierzu die Karte »Hinterindien«), die östliche der beiden großen indischen Halbinseln in Asien, zwischen 92–109° östl. L. und 22°-1°35´ nördl. Br., im N. von China und Assam, im O. und S. vom Chinesischen Meer mit den Busen von Tongking und Siam, im W. von der Straße von Malakka (Sumatra gegenüber) und dem Bengalischen Meerbusen umschlossen und 2,085,000 qkm groß. Durch eine Reihe von Gebirgsketten, die im allgemeinen von N. nach S. streichen, wird H. in eine Anzahl mehr oder weniger scharf gesonderter, auch hydrographisch selbständiger Teile zerlegt. Zwischen Nieder- und Oberbirma erhebt sich das Arakan-Joma-Gebirge (s. d.), das im Kap Negrais zum Meer abfällt. Östlich davon erstreckt sich das Becken des Irawadi, auf der Ostseite begleitet vom Pegu-Joma-, weiter nördlich vom Pung-Lung-Gebirge, beide nur 900 m, im äußersten Norden vom Schau-Joma-Gebirge (bis 3190 m). Das östlich sich anschließende Salwenbecken wird im O. vom Tanen Tung-Gji-Gebirge eingefaßt, das unter verschiedenen Namen bis zur Senke von Krah (11° nördl. Br.) streicht und dann durch das südöstlich streichende Rombaungebirge (Gunong Radscha 1982 m) bis Kap Buros und Kap Romania fortgesetzt wird. Östlich vom Westsiamesischen Gebirge zieht sich das Becken des Menam hin, das Land Siam umfassend und im O. durch das Ostsiamesische Gebirge (Gebirge von Laos und Kambodscha) begrenzt, das bereits nach O. umbiegt und die Scheide gegen das Flußgebiet des Mekong bildet. Letzteres endlich wird im O. von der Anamkette begleitet, die im Kap St.-Jacques ausläuft. Östlich dieses Gebirges erstreckt sich noch ein schmaler Küstensaum nordwärts bis zum Tiefland von Tongking, dessen Fluß Songkoi einen südöstlichen Lauf verfolgt. Alle genannten Gebirgszüge ragen nicht über die Schneegrenze, selten über 2500 m hinaus. Außer dem Irawadi, der bis Bhamo schiffbar ist, und dem Songkoi, der bis Jünnan hinein befahren werden kann, dient wegen häufiger Stromschnellen kein andrer Fluß dem Verkehr in größerm Maßstab. Das Klima steht unter dem Einfluß der Monsune, deren regelmäßiger Wechsel, wie in Vorderindien, einen ebenso regelmäßigen Wechsel der beiden Jahreszeiten, der trocknen (November bis April) und nassen (Mai bis Oktober), bewirkt. Temperaturen: Akyab, Jahr 26,1°, kältester Monat Januar 21,8°, wärmster Mai 29,3°; Rangun, Jahr 26,4°, kältester Monat Januar 24,3°, wärmster April 29,1°; Bangkok, Jahr 26,7°, kältester Monat Dezember 23,8°, wärmster April 28,6°, mittlere Jahresextreme 35,4° und 15,6°; Mandalai, Jahr 27,2°, kältester Monat Januar 21,7°, wärmster April 32,8°, mittlere Jahresextreme 28,9° und16,7°. Regenmengen: Akyab 503, Bangkok 149, Mandalai ca. 70 cm. Pflanzenwelt. Im nordwestlichen H. (Birma etc.) herrschen hauptsächlich immergrüne Waldungen vor, gemischt mit sommergrünen, bestehend aus dem Teakbaum (Tectona grandis) und mehreren Dipterokarpeen (Shorea robusta, der Salbaum). Ihnen gesellen sich hinzu Eichen, Magnoliazeen (Michelia, Magnolia, Talauma) sowie Ficus elastica, während die Höhen die Fichte Pinus Merkusii ziert. In Siam und An am fällt der Reichtum an Klusiazeen (Garcinia) auf, und überall verbreitet sind die Aurantiazeen Citrus medica und C. Aurantium. Kultiviert werden der Maulbeerbaum und in den Niederungen Reis und Baumwolle, auch einheimischer Tee, ferner Gurken und Melonen. Mit seiner Tierwelt bildet H. den größten Teil der indochinesischen Subregion der orientalischen Region; hier finden sich mit Ausnahme des Orang-Utan alle Charaktertiere der orientalischen Region in reicher Individuenzahl: Gibbons, Elefant, vier Nashornarten, der malaiische Bär, Tiger, Panther, Gepard, Wolf und wilder Hund, Büffel, Wildschweine, Aristoteleshirsch, Axishirsch, Muntjak, Fledermäuse, Eichhörnchen. Charakteristisch für H. sind der Binturong (Arctitis Binturong), der Schabrackentapir (Tapirus malayanus) und der Kantschil (Tragulus), eine geweihlose Hirschart, sowie der Arni oder Riesenbüffel; an den Küsten lebt eine Halicore-Art, im Irawadi Flußdelphine. Die Vögel Hinterindiens sind die Charaktervögel der orientalischen Region. Reptilien sind zahlreich vertreten, Amphibien besonders durch Frösche und Kröten. Von den Süßwasserfischen sind hervorzuheben die Labyrinthfische (Anabas etc.). Die Molluskenfauna ist echt tropisch, ausgezeichnet durch große Naninen und Helikarien; die reich entwickelten Clausilien weisen auf einen Zusammenhang mit China hin. Die artreichen Insekten zeichnen sich größtenteils auch durch Farbenpracht aus. Das Mineralreich liefert außer Zinn (s. Malakka) und noch wenig bearbeiteten Gold-, Silber-, Blei-, Kupfer-, Antimon-, Kobalt- und Eisenerzen (neuerdings namentlich in Laos nachgewiesen) besonders Edelsteine, prachtvolle Smaragde, Saphire und Rubine (letztere namentlich bei Mogok, östlich vom Mittellauf des Irawadi) sowie Nephrit bei Mogung im nördlichen Birma. Die Bauwürdigkeit der in Laos gefundenen Steinkohle ist noch ungewiß. Salz-, Petroleum- und Naphthaquellen, z. T. in Verbindung mit Schlammvulkanen, sind aus der westlichsten hinterindischen Gebirgskette bekannt, Salz kommt auch bei Puel am Oberlauf des Mekong vor.

Die Bevölkerung zerfällt in zwei Hauptbestandteile: Malaien auf der Halbinsel Malakka und Indochinesen im übrigen H., letztere wieder in zahlreiche kleine Völkerstämme zu vier Gruppen. Eine umfaßt die Anamiten, Thai (Schau, Lao) und Birmanen; eine zweite bilden die Khamen oder Khmer in Kambodscha; eine dritte besteht aus den in die Gebirge zurückgedrängten wilden Muong, Moi, Puom, Kha, Trao, Lolo u. a., die Verwandtschaft mit den Dajak zeigen; eine vierte Gruppe wird gebildet durch zahlreiche wilde Stämme im Innern von Malakka: Orang-Binna, Orang-Utan, Orang-Semang, Orang-Sakai. Dazu kommen noch die in allen Handelsplätzen und auch anderwärts in großer Zahl angesiedelten Chinesen (mindestens 3 Mill.), während die Zahl der Europäer selbst in den ihnen gehörigen Gebieten verschwindend klein ist (kaum 60,000). In der östlichen Gruppe (Anam, Kotschinchina, Kambodscha) trägt alles chinesischen Typus, und die chinesische Sprache ist Schrift- und Gelehrtensprache; die westliche Gruppe spricht einen vorderindischen, den Palidialekt; die Schrift, das Palialphabet, ritzt man in Palmblätter. Die Malaien haben mit dem Islam arabische Schrift angenommen. Die Mehrzahl bekennt sich aber zum Buddhismus. Das Christentum wurde hier schon seit 1624 durch aus Japan vertriebene portugiesische Jesuiten ausgebreitet, die sich in Kotschinchina, Siam und Tongking niederließen, später aber durch französische Priester ersetzt wurden. In Tongking ließen sich spanische Dominikaner aus den Philippinen nieder. Jetzt gibt es hier weit über 400,000 katholische Christen. Von protestantischen Missionen sind die amerikanischen Baptisten und Presbyterianer, die englische Society for the Propagation of the Gospel, die Presbyterianer und die Leipziger Mission tätig, die über 90,000 Christen um sich gesammelt haben. Politisch ist H. verteilt zwischen England und Frankreich (s. Französisch-Indochina), deren Besitzstand fortwährend wächst, selbständig ist nur noch Siam. Gegenwärtiger Besitzstand:

Tabelle

In der Geschichte hat H. nie eine Rolle gespielt, die mit der der andern Halbinseln Südasiens, Arabien und Vorderindien, zu vergleichen wäre. Klaudios Ptolemäos nennt H. das Goldland (Chrysochersonesos), hat aber von der Gestalt der Halbinsel eine falsche Vorstellung. Der Handel führte die Römer um H. herum bis China, bereicherte jedoch nur ihre Kenntnis einzelner Küsten. Die eigentümliche Gestalt der hinterindischen Halbinsel hat auf die Gestaltung der politischen Verhältnisse bedeutenden Einfluß geübt. Die Eingebornen brachten es nie zu einem großen Einheitsstaat; der Zug der Waldgebirge wurde die Ursache, daß sich in jedem Flußgebiet ein eignes Staatsleben entfaltete. Die Portugiesen erschienen zehn Jahre nach der Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung (1498) in den hinterindischen Gewässern, fanden aber bei den Fürsten schlechte Aufnahme und nur auf der äußersten Spitze der Malaienhalbinsel einen Platz für ihr Malakka (1511). In den folgenden Jahrhunderten traten in H. weitgreifende Veränderungen ein: Anam erwarb durch Eroberung Teile von Kambodscha und Lao und erhielt durch eine weise Organisation eine bedeutende innere Stärke (Nguyendynastie seit 1570). Im W. begründete der Abenteurer Atompra (gest. 1760) in Birma ein mächtiges Reich; Siam, 1767 unterjocht, erstarkte, seit die Europäer die Macht seiner Nachbarstaaten brachen. Die Engländer schlugen 1821 Nordassam zu ihrem indischen Reich und überzogen 1824 die Birmanen mit Krieg, so daß diese 1826 Arakan und Tenasserim abtreten mußten; 1852 verleibten die Engländer die Landschaft Pegu ihren Besitzungen ein und bildeten aus diesen Teilen die Provinz Britisch-Birma. Malakka war aus den Händen der Portugiesen in die der Holländer übergegangen, die es 1824 England überließen. Dies hatte schon 1819 die Insel Singapur angekauft und darauf die schnell emporwachsende Hauptstadt ihrer Straits Settlements gegründet. Ende 1885 verleibte England ganz Birma fast ohne Schwertstreich seinen indischen Besitzungen ein; Auseinandersetzungen mit China (1886, 1894, 1897) brachten weitere Grenzverbesserungen ein (s. die Geschichtskarte bei »Großbritannien«, S. 382). Die Franzosen ließen sich 1862 von Anam das fruchtbare Mekongdelta abtreten und bildeten daraus Französisch-Kotschinchina, das sie 1867 durch neue Erwerbungen vergrößerten. 1864 stellte sich Kambodscha unter das Protektorat Frankreichs. Anam erkannte 1884 dessen Schutzherrschaft an, nachdem es Tongking abgetreten hatte, und sank bald zu einer bloßen französischen Provinz herab. 1893 mußte Siam infolge eines Konflikts mit Frankreich auf das ganze linke Ufer des Mekong und seine Inseln verzichten; Verträge von 1896 und 1902 bildeten das Nachspiel hierzu. Doch das eigentliche Ziel der französischen wie auch der englischen Politik in H. bildet Jünnan. Vgl. über die Entdeckungsgeschichte Hinterindiens den Art. »Asien«, S. 870 ff., und die Literatur bei den einzelnen Landesteilen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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