Amerikanische Völker

Amerikanische Völker

Amerikanische Völker (hierzu Tafel »Amerikanische Völker I und II«, mit Erklärungsblatt). Die Ureinwohner Amerikas, die jetzt nur den 14. Teil der Gesamtbevölkerung ausmachen, gehören einer Rasse, der amerikanischen, an und zerfallen in die längs der Polarküste wohnenden Eskimo (s. d.) und in die Indianer (s. d.), die in einer großen Zahl verschiedensprachiger Völker über den ganzen Erdteil verbreitet sind. Über die Herkunft der amerikanischen Völker ist viel gestritten worden. Wegen mehrfacher Übereinstimmungen der physischen Merkmale mit denen der mongolischen Rasse hat man sie aus China oder Japan, aber auch wegen ähnlicher Kulturentwickelung aus Polynesien einwandern lassen. Wahrscheinlicher ist die Annahme einer nordischen Herkunft, sei es von Asien her über die Beringstraße oder eine ehemalige Landverbindung im Zug der Alëuten, oder von Osten her über eine Landbrücke, die zur Eiszeit Europa mit Grönland verbunden haben soll. Aber die alte und selbständige Kultur der amerikanischen Völker, ihre bei aller Verschiedenheit nach demselben Grundplan der Einverleibung gebauten Sprachen (s. Amerikanische Sprachen), endlich der Nachweis, daß Amerika bereits zur Diluvialzeit bewohnt gewesen ist, zwingen uns, den Zeitpunkt einer solchen Einwanderung weit in die Urzeit des Menschengeschlechts zurückzuversetzen. Unter Berücksichtigung der geographischen Verbreitung und der sprachlichen Verwandtschaft lassen sich folgende Hauptgruppen der amerikanischen Völker aufstellen: 1) die Eskimo (Tafel I, Fig. 3 und 4) von Grönland, dem Arktischen Archipel und der Nordküste Nordamerikas von Labrador bis Alaska. Ein Zweig derselben sind die Alëuten (Tafel I, Fig. 1) auf den gleichnamigen Inseln. 2) Die indianischen Jägervölker in Kanada und den Vereinigten Staaten, zu denen die Athabasken oder Tinneh, die Algonkin, Irokesen, Tschokta-Muskogi, Natchez, Pani, Dakota oder Sioux und Kiowa gehören (Tafel I, Fig. 6–8 u. 12–15). 3) Die in zahlreiche Sprachstämme zersplitterten Bewohner der Nordwestküste und Kaliforniens, die Tlinkit, Haida, Selisch, Sahaptin oder Nez percés, ferner die Yuma und die Pueblostämme in Arizona und New Mexico (Tafel I, Fig. 2, 5, 16). 4) Die zentrale Gruppe, die Indianervölker Mexikos und Zentralamerikas. Hierher gehört der uto-aztekische Sprachstamm, der mit seinen Verzweigungen sich von den Ufern des Columbiaflusses bis zur Landenge von Panama ausdehnt. Seine nördlichsten Glieder, die Ute, Schoschonen und Komantschen, bilden den Schoschonenzweig (Tafel I, Fig. 9–11), zum sonorischen Zweige gehören die Pima im mexikanischen Staat Sonora und am Gilafluß in Arizona, während der Nahuatlzweig das Kulturvolk der Azteken begreift. Ferner gehören zur zentralen Gruppe die mexikanischen Völker der Otomi, Tarasco, Totonaco, Zapoteken, Mixteken, Chinanteken und Chapaneken, die Maya in Yucatan, die Choles und Chinca in Guatemala, die Chicaque, Paya, Mosquito in Honduras, die Chontal, Ulva, Rama und Mangun in Nicaragua (Tafel I, Fig. 17).

In Südamerika lassen sich gleichfalls vier Gruppen unterscheiden. 1) Die Andesvölker, zu denen die Kulturvölker der Tschibtschain Kolumbien und der Ketschua und Aymara in Peru und Bolivia gehören. Dazu kommen die Puquina, Yunca, Atacamenos und Tschangos in Peru und die Araukanen in Chile (Tafel II, Fig. 8–10, 15). 2) Die Indianervölker im Gebiete des Amazonenstroms. Zwei große Sprachfamilien sind hier verbreitet, die der Kariben und die der Arowaken oder Maipure. Andre Sprachgruppen bilden die Miranha am obern Rio Negro und Japura, die Tikuna am Rio Napo und die Pano am obern Ucayali (Tafel II, Fig. 1, 5, 6, 7, 12). 3) Die Indianervölker des östlichen und zentralen Brasilien. Zu ihnen gehören die Tapuya oder Gesvölker mit den Cayapo und Botokuden, ferner die Karaya, Trumai und Bororo, endlich die Tupi-Guarani (Tafel II, Fig. 2–4). 4) Die Pampavölker und Feuerländer. Die weiten Ebenen des Gran Chaco bewohnen die Guaykuru, zu denen auch die ausgestorbenen Abiponen gehörten. Die Pehueltschen oder Puelches am Rigro Negro sind ein Mischvolk zwischen Araukanern und Pampasvölkern. Die Patagonier oder Tehueltschen und die Feuerlander nehmen die Südspitze des Kontinents ein (Tafel II, Fig. 11, 13, 14, 16). Die Berührung mit den Europäern ist besonders den nomadischen Jägervölkern Nordamerikas verderblich geworden. Weniger nachteilig ist die europäische Einwanderung für die Urbevölkerung Mittel- und Südamerikas gewesen. Hier bilden noch vielfach, wie in Mexiko, Zentralamerika, Ecuador und Bolivia, die indianischen Ureinwohner den zahlreichsten Bestandteil der Bevölkerung. Die Zahl der gesamten Urbevölkerung Amerikas zur Zeit der spanischen Einwanderung schätzt man auf 100 Mill.; jetzt dürften davon wenig mehr als 10 Mill. übrig sein. Dazu kommt noch eine große Zahl von Mischlingen zwischen Europäern und Indianern (Mestizen) und Negern und Indianern (Zambos). Vgl. Literatur bei »Amerika«, S. 431.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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